Verbesserung in einigen Punkten
Am 21. September hat der Bundesrat das Pflege-Neuausrichtungsgesetz (PNG) passieren lassen. Für die Anrufung des Vermittlungsausschusses fanden sich keine Mehrheiten. Damit steht dem Inkrafttreten der Pflegereform nichts mehr im Wege. Der Deutsche Caritasverband (DCV) hat den Gesetzgebungsprozess intensiv begleitet. Wie sind die wichtigsten Ergebnisse zu bewerten?
Zunächst ist festzustellen, dass das Gesetz seinem Titel nicht gerecht wird, da es die Pflege nicht wirklich neu ausrichtet. Die erhoffte Umsetzung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs steht weiter aus. Inzwischen hat der Expertenbeirat seine Arbeit zwar wiederaufgenommen; es ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass der neue Begriff noch in dieser Legislaturperiode in Gesetzesbuchstaben gegossen werden kann. Dies ist der zentrale Kritikpunkt des DCV am PNG. Statt eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs gelten nun Übergangsregelungen. Dazu wird im Vorgriff auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff die "häusliche Betreuung" nach § 124 als neuer Leistungskomplex in die Pflegeversicherung eingeführt. In Anspruch nehmen können diese Leistung alle häuslich versorgten Pflegebedürftigen, die Sachleistungen nach § 36 SGB XI erhalten, sowie Versicherte mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz in der Pflegestufe 0. Der Sachleistungsbetrag nach § 36 SGB XI steht für häusliche Betreuung zur Verfügung, sofern Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung gewährleistet sind. Problematisch ist, dass der Gesetzgeber keine gesetzliche Definition der häuslichen Betreuung erlassen hat, sondern diese lediglich als "Leistungen der Unterstützung und sonstigen Hilfen im häuslichen Umfeld des Pflegebedürftigen und seiner Familie" umschrieben hat. Als Beispiele hierfür werden angeführt: Unterstützung bei Aktivitäten zur Kommunikation und Aufrechterhaltung sozialer Kontakte, Unterstützung bei der Alltagsgestaltung, insbesondere durch Hilfen zur Entwicklung und Aufrechterhaltung einer Tagesstruktur, zur Durchführung bedürfnisgerechter Beschäftigungen und zur Einhaltung des Tag-Nacht-Rhythmus.
Arbeitsgruppe übersetzt die Neuregelungen in die Caritas
Die neue Leistung muss nun im Vertrags- und Vergütungsrecht und in den Regelungen zur Qualitätssicherung umgesetzt werden. Dazu hat der DCV eine verbandsinterne Arbeitsgruppe eingesetzt. Da die im Gesetz genannten Leistungsausprägungen zahlreiche Schnittstellen zu den Leistungen der Eingliederungshilfe aufweisen, sind Abgrenzungsprobleme schon vorprogrammiert.
Positiv zu bewerten ist indes, dass häuslich betreute Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ohne Pflegestufe künftig auch Anspruch auf Pflegegeld, Pflegesachleistung, Kombinationsleistung sowie auf Ersatzpflege und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen erhalten. Erheblich mehr Pflegegeld und eine höhere Pflegesachleistung erhalten auch alle in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkten häuslich betreuten Pflegebedürftigen der Pflegestufen 1 und 2. Ausgeklammert bleiben die häuslich Betreuten der Pflegestufe 3 sowie alle stationär versorgten Menschen - was der DCV kritisiert.
In Modellvorhaben sollen sogenannte Betreuungsdienste erprobt werden, die neben häuslicher Betreuung auch hauswirtschaftliche Leistungen erbringen. Die klassische Pflege bleibt den Pflegediensten vorbehalten. Der DCV wird die Modellvorhaben mit kritischem Blick auf Chancen und Risiken aus Sicht der Pflegebedürftigen begleiten.
Während der Kernbereich der Reform also Licht und Schatten aufweist, sind eine Reihe von Verbesserungen für die Pflegebedürftigen zu vermerken, für die sich der DCV im Vorfeld der Pflegereform eingesetzt hatte: So haben Pflegebedürftige künftig bereits ab Antragstellung einen Anspruch auf Pflegeberatung, den die Pflegekassen innerhalb von zwei Wochen einlösen müssen. Sie können dazu auch Beratungsgutscheine ausstellen, die bei unabhängigen Beratungsstellen eingelöst werden. In der Praxis wird sich jedoch die Frage stellen, wer als unabhängig und neutral anerkannt wird.
Erweiterte Berichtspflichten der Pflegekassen
Des Weiteren muss den Versicherten künftig ihr Pflegegutachten inklusive der Rehabilitationsempfehlung automatisch gemeinsam mit dem Bescheid übermittelt werden. Die Rehabilitationsempfehlung, bisher Bestandteil des Gutachtens, wird künftig gesondert erstellt. Das wird dazu führen, dass der Rehabilitationsbedarf von den Gutachter(inne)n stärker als bisher ins Augenmerk genommen wird.
Die Kassen müssen für die Jahre 2013 bis 2015 jährlich über die Anzahl der positiven Empfehlungen und der Ablehnungen sowie über die Gründe für die Ablehnungen berichten; dies hatte der DCV gefordert. Durch eine Reihe von Maßnahmen sollen die Begutachtungsfristen künftig besser eingehalten werden. So werden neben dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) unabhängige Gutachter(innen) eingeführt. Diese müssen vom MDK beauftragt werden, sofern innerhalb von vier Wochen nach Antragstellung die Begutachtung noch nicht erfolgt ist. Dabei soll der/die Pflegebedürftige sogar zwischen drei Gutachtern wählen dürfen, was aus Sicht des DCV das Verfahren allerdings eher verlängert als verkürzt. Des Weiteren soll der Pflegebedürftige bei einer Fristüberschreitung künftig 70 Euro pro begonnener Woche erhalten. Dieses Geld sollte aus Sicht des DCV sinnvollerweise anderweitig eingesetzt werden.
Positiv zu bewerten ist, dass der Gesetzgeber die pflegenden Angehörigen stärkt. So soll künftig das Pflegegeld auch während der Kurzzeit- und Ersatzpflege weitergezahlt werden, wie es auch der DCV gefordert hatte. Die Fortzahlung erfolgt leider nur in hälftiger Höhe. Der DCV hatte sich zur Entlastung der pflegenden Angehörigen zudem dafür eingesetzt, die Wartefristen für die Inanspruchnahme der Ersatzpflege zu streichen, eine Möglichkeit zur ambulanten Inanspruchnahme von Kurzzeitpflege zu schaffen, die Leistungsbeträge pflegestufenabhängig zu staffeln sowie Kurzzeitpflege als Nachsorge auszugestalten. All diese Vorschläge konnten in dieser Reform, nicht zuletzt aufgrund des begrenzten Finanzvolumens von 1,1 Milliarden Euro, nicht umgesetzt werden.
Zu begrüßen ist, dass pflegende Angehörige künftig einen klareren Rechtsanspruch auf Kuren haben und von ihrem pflegebedürftigen Angehörigen in die Vorsorge- oder Rehaeinrichtung, in der sie ihre Kur in Anspruch nehmen, begleitet werden können. Auch die Einrichtungen des Müttergenesungswerks dürfen künftig solche Kuren für pflegende Angehörige durchführen, wofür sich der DCV starkgemacht hatte.
Zuschüsse für barrierefreies Wohnen
Auch die neuen Wohnformen stärkt das PNG. So sollen Pflegebedürftige, die in ambulant betreuten Wohngruppen leben, künftig einen pauschalen Zuschlag von 200 Euro pro Monat zur Finanzierung einer Präsenzkraft erhalten. Des Weiteren sollen die Gründungsmitglieder solcher WGs künftig für die altersgerechte und barrierearme Ausgestaltung ihrer Wohnung einen zusätzlichen Zuschuss von 2500 Euro erhalten, wobei maximal 10.000 Euro Zuschuss pro Wohngruppe nicht überschritten werden dürfen. Der DCV hat sich mit Erfolg dafür eingesetzt, dass das Bündeln von Zuschüssen auch außerhalb von WGs ermöglicht wird, wenn eine wohnumfeldverbessernde Maßnahme mehreren Pflegebedürftigen zugutekommt, der Zuschuss von maximal 2557 Euro pro Versichertem zu ihrer Realisierung jedoch nicht ausreicht. Die Einführung der zusätzlichen Betreuungskräfte nach § 87b in der Tagespflege entsprach ebenfalls einer Forderung der Caritas. Der Verband hatte sich außerdem dafür eingesetzt, im stationären Bereich zumindest eine Verbesserung des Schlüssels für die zusätzlichen Betreuungskräfte in einer Relation von 1:20 zu erreichen, im Ergebnis ist es leider nur ein Schlüssel von 1:24 geworden.
Aus Einrichtungsperspektive sind zwei Neuregelungen besonders in den Blick zu nehmen: Vergeblich hat die Caritas gegen die gesetzliche Normierung in § 72 Abs. 3 SGB XI gekämpft, dass die ortsübliche Vergütung für die Beschäftigten gilt, für die es keine Mindestlohnregelung gibt. Auch die neue Formulierung in den Bemessungsgrundsätzen nach § 84 und § 89 SGB XI, wonach Aufwendungen der Einrichtung bei wirtschaftlicher Betriebsführung grundsätzlich zu finanzieren seien, vermag diesem Problem nicht abzuhelfen. Die Bundesratsausschüsse hatten empfohlen, diese problematische Regelung zu streichen. Leider fand der entsprechende Antrag dann im Plenum des Bundesrats am 21. September 2012 doch keine Mehrheit, weil mit der geforderten Gesetzesänderung die Anrufung des Vermittlungsausschusses verbunden gewesen wäre. Die Caritas wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass diese Regelung wieder aufgehoben wird.
Zu Schwierigkeiten in der Umsetzung wird zudem die Neuregelung in § 89 in Verbindung mit § 120 SGB XI führen, der zufolge sich jede Leistung der Pflegeversicherung verpflichtend in der Vergütung nach Zeiteinheiten - sowie unabhängig von der Zeiteinheit vor Abschluss des Pflegevertrags und bei jeder wesentlichen Änderung des Pflegezustands - niederschlagen muss.
Durch die Einführung einer zusätzlichen privaten Pflegevorsorge im SGB XI, die durch eine Zulage von fünf Euro monatlich bezuschusst werden kann, wurde der Koalitionsvertrag in einem weiteren Punkt eingelöst. Die Versicherer müssen mit allen volljährigen Bürger(inne)n mit Ausnahme bereits Pflegebedürftiger Verträge ohne Risikozuschlag und Leistungsausschlüsse abschließen, was die Prämienkalkulation allerdings verteuert.