Muss man immer alles sagen?
"Vertrauen Sie einer kirchlichen Einrichtung mehr als der eines nichtkirchlichen Trägers?" Anders als vor Jahrzehnten würden diese Frage heute wohl nur noch wenige Menschen spontan und ohne zu zögern mit einem klaren, eindeutigen "Ja" beantworten.
So war es folgerichtig, dass im Oktober 2010 sogenannte "Transparenzstandards für Caritas und Diakonie" entwickelt, in Kraft gesetzt und veröffentlicht wurden (s. neue caritas Heft 21/2010). Damit soll dem breiten gesellschaftlichen Bedürfnis nach mehr Information über die Aktivitäten in kirchlichen Einrichtungen Rechnung getragen und teilweise verloren gegangenes Vertrauen wiederhergestellt werden. Themenfelder für sogenannte Transparenzberichte sind in der Hauptsache Struktur, Leistungserstellung und wirtschaftliche Verhältnisse des betreffenden Einrichtungsträgers.
Im Fokus der Öffentlichkeit stehen dabei - man mag es noch so sehr bedauern! - weniger die erbrachten "guten Taten" (Leistungserstellung), sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse des jeweiligen Rechtsträgers. Zu den Wünschen einer interessierten Öffentlichkeit gehört die vollständige Veröffentlichung der Bilanzen und der Gewinn- und Verlustrechnungen der betreffenden Träger, wie man es von großen Kapitalgesellschaften gewohnt ist.
Verschiedene Rechtsformen sind üblich
Kirchliche Einrichtungen werden aber nur selten in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft geführt. Am häufigsten sind Trägerorganisationen in den Rechtsformen einer GmbH, einer Stiftung, eines Vereins oder einer Ordensgemeinschaft. Die unterschiedlichen Formen unterliegen auch unterschiedlichen Rechnungslegungspflichten. Während man bei Ordensgemeinschaften noch auf ein gewisses Verständnis dahingehend trifft, dass nicht jede dieser Gemeinschaften über ihre privaten Vermögensverhältnisse öffentlich Auskunft geben möchte, unterliegen GmbHs gesetzlichen Publizitätsvorschriften. Je nach Unternehmensgröße sind bestimmte Daten im Bundesanzeiger zu veröffentlichen und sind damit für Interessierte frei zugänglich. Ähnliche Erwartungen werden auch bezogen auf andere Rechtsformen geäußert. Übersehen wird dabei gern, dass bei der Publizierung von GmbH-Daten die Vermögensverhältnisse der GmbH-Gesellschafter außerhalb des Blickfelds bleiben, während etwa eine Stiftung bereits juristisch als "Vermögensmasse" definiert ist (juristisch verselbstständigte Vermögensmasse, die einem bestimmten Stiftungszweck dient, vgl. § 5 Absatz 1 Nummer 9 Körperschaftssteuergesetz). Nicht selten erfolgt schon der "Zuschnitt" einer GmbH unter dem Aspekt, welche Gegebenheiten "öffentlichkeitstauglich" erscheinen und welche nicht.
Transparenzkriterien treffen auf ein heterogenes Umfeld
Die Adressaten der Transparenzstandards unterscheiden sich jedoch nicht nur in ihrer Rechtsform, sondern auch in ihren Zielsetzungen. So kann bei den Stiftungen zwischen Förderstiftungen und Betriebsträgerstiftungen differenziert werden. Bei Förderstiftungen steht deren Vermögen im Vordergrund. Aus dessen Erträgen werden Ausschüttungen vorgenommen, um den Stiftungszweck zu erzielen. Die "gute Tat" wird also von der Förderstiftung ermöglicht, jedoch nicht unmittelbar selbst ausgeführt. Die Betriebsträgerstiftung hingegen agiert wie ein wirtschaftliches (Sozial-)Unternehmen. Sie steht im Wettbewerb mit anderen Unternehmen. "Transparenzadressat" der Förderstiftung werden neben der allgemeinen Öffentlichkeit vor allem potenzielle Antragssteller und Spender sein, während es bei der Betriebsträgerstiftung eher interessierte Kunden, Wettbewerber und Geschäftspartner sind. Zu den "Geschäftspartnern" zählen dann zum Beispiel auch Sozialhilfeträger und Pflegekassen, mit denen Leistungsentgelte ausgehandelt werden.
Diese einleitenden Bemerkungen wenden sich keineswegs gegen die von der Caritas beschlossenen Transparenzstandards, sondern wollen verdeutlichen, in welch heterogenem Umfeld diese zur Anwendung gebracht werden müssen. Bei der Rechtsträgertagung des Deutschen Caritasverbands in Weimar am 12. April 2011 wurden notwendige Grenzen der Transparenz aufgezeigt und der Inhalt des Abschnitts I Nr. 4 der Transparenzstandards konkretisiert. Als die Transparenz begrenzende Faktoren werden dort das informationelle Selbstbestimmungsrecht, die Berufsfreiheit und der Schutz des Eigentums genannt. Ebenso werden Situationen angesprochen, in denen sich Adressaten der Transparenzstandards einem Quasi-Nachfragemonopol öffentlicher Sozialleistungsträger gegenüber sehen. Deren Verhandlungsmacht würde durch eine grenzenlose Transparenz geradezu omnipotent zum Nachteil des Sozialunternehmens. In Kenntnis der genauen einrichtungsindividuellen Kostenstrukturen würde der Sozialleistungsträger bei der Aushandlung des Leistungsentgelts nämlich unterdurchschnittliche Kostenpositionen als ausreichend reklamieren, überdurchschnittliche jedoch als unange- messen ablehnen. Der Leistungsanbieter, der die Kostenstrukturen der Mitbewerber nicht kennt, hätte das Nachsehen. In solchen Fällen - so mein Plädoyer - könne einem Sozialunternehmen nicht die Veröffentlichung seiner Gewinn- und Verlustrechnung zugemutet werden.
Leider stellt sich die Realität häufig so dar, dass sich öffentliche Sozialleistungsträger keineswegs über "Gewinne" ihrer Verhandlungspartner freuen, sondern solche eher Begehrlichkeiten wecken. Denn die öffentlichen Träger sind nicht selten selbst an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit angekommen - aufgrund der bis in die jüngste Vergangenheit hinein ohne Skrupel von fast allen staatlichen Ebenen verfolgten Schuldenpolitik. Die Bereitschaft, den Einrichtungsträgern Eigenkapitalverzinsung und Wagniszuschläge zuzubilligen, ist daher äußerst begrenzt.
Den Einrichtungen fehlt oft das Geld für Innovationen
Für Leistungsentgelte beispielsweise im Bereich der Behindertenhilfe in Bayern fehlen seit der Kündigung der Pflegesatzvereinbarung 1983 (!) klare und auskömmliche Refinanzierungsregelungen für Investitionen. Innovations- und Investitionsfähigkeit der Einrichtungen hängen jedoch von solchen Regelungen ab. Der Staat hat sich aus der Objektförderung weitgehend zurückgezogen, was prinzipiell durchaus zu begrüßen wäre, wenn es denn zu entsprechenden Kompensationen in den Leistungsentgelten gekommen wäre. So aber stellt sich den Einrichtungsträgern immer wieder aufs Neue die Frage, wie sie notwendige Investitionen überhaupt finanzieren sollen. Gleichzeitig erhöhen sich fortlaufend die Anforderungen an Wohnqualität und Sicherheitsstandards, wodurch die Platzkosten steigen. Den steigenden Kosten stehen jedoch bestenfalls stagnierende Investivbeträge in den Leistungsentgelten gegenüber.
Letztendlich sei mit alledem nur zum Ausdruck gebracht, dass es für die verschiedenen Träger im Bereich der Caritas mit ihren unterschiedlichen Rechtsformen und Aufgabenstellungen auch mehr oder weniger enge Grenzen für die Veröffentlichung von Wirtschaftsdaten geben muss.
Unübersichtliche Strukturen sind kein Ausweg
Auch ist der nicht selten gewählte Ausweg aus dem Dilemma "Transparenz versus Datenschutz", die Schaffung vieler verschiedener Betriebsträger-GmbHs, nicht der Weisheit letzter Schluss. Diese können die Transparenzwünsche relativ problemlos erfüllen, weil sich relevante Sachzusammenhänge gut in Konzernstrukturen verstecken lassen. Während der Öffentlichkeit scheinbare Transparenz vorgegaukelt wird, werden die Unternehmensstrukturen für die zuständigen Kontrollorgane immer undurchschaubarer, so dass im Extremfall die wahren Zusammenhänge nur noch von wenigen "Konzernlenkern" zu überblicken sind. Die Einhaltung der guten alten Grundsätze der ordnungsgemäßen Buchführung und der Prinzipien von Bilanzklarheit und Bilanzwahrheit mag in der öffentlichen Debatte des Transparenzthemas keine große Rolle spielen, doch sei daran erinnert, dass es gerade die Verletzung dieser Grundsätze war, die zu der großen Finanzkrise der Gegenwart beigetragen hat. Intransparente Konzerngeflechte und nirgendwo bilanzierte sogenannte Zweckgesellschaften waren - und leider muss man sagen: sind - möglich, obwohl alle gesetzlichen Publizitätspflichten großer Aktiengesellschaften eingehalten wurden. Daran sollte sich die Sozialwirtschaft kein Beispiel nehmen! In einer Welt, in der das "mehr scheinen als sein" immer dominanter wird, steht das leider altmodisch gewordene "mehr sein als scheinen" gerade kirchlichen Trägern gut zu Gesicht!
Transparenz ist ein wichtiges Gut, dessen Gewichtung stets mit anderen Gütern auszutarieren ist. Vor Gott, vor dem ohnehin alles transparent ist, zählt der Schein nichts, das Sein jedoch alles! Nicht, dass man sich deswegen Transparenz auf Erden grundsätzlich sparen könnte, dafür vielleicht jedoch trickreiche Scheintransparenz!