Religion als Potenzial, um die Persönlichkeit zu entwickeln
Das christliche Profil in Einrichtungen und Diensten der Jugendhilfe soll mit einem Projekt im Diözesan-Caritasverband Dresden-Meißen gestärkt werden. Es orientiert sich am Konzept der "Religionssensiblen Erziehung" von Martin Lechner, der einen Lehrstuhl für Jugendpastoral und Religionspädagogik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Salesianer Don Boscos in Benediktbeuern innehat (s. auch den Beitrag in Heft 15/2011 auf S. 9). Das Konzept bietet sich als Orientierung an, da die meisten Jugendlichen und viele Mitarbeitende in der Jugendhilfe konfessionslos sind.
Das Projekt setzt bei existenziellen Fragen der Jugendlichen an. Es geht darum, sie bei ihrer Suche nach einem glücklichen Leben, nach Wegen der Selbstverwirklichung, aber auch der Schuldbewältigung ernst zu nehmen und zu begleiten. Der Umgang mit diesen religiösen Fragen erfordert eine hohe Sensibilität der pädagogischen Fachkräfte gegenüber den Jugendlichen und der eigenen religiösen Überzeugung.
Religion als wichtige Ressource
Die pädagogische Arbeit ist zwar an sich schon christlich, insofern Gott "gerade dann gegenwärtig wird, wenn nichts als Liebe getan wird" (Benedikt XVI., Deus caritas est 31c). Durch das Projekt soll die bewusste Vermittlung christlicher Werte gefördert und Orientierungshilfe gegeben werden. Dadurch bietet sich für Einrichtungen und Dienste in katholischer Trägerschaft auch die Chance, sich nach außen zu profilieren.
Pädagogisch begründet sich das Projekt darin, dass zur Professionalität sowohl Fachlichkeit als auch Menschlichkeit gehören. Diese Menschlichkeit kann durch eine christliche Haltung gelebt werden und der Arbeit so eine spezifische Qualität geben. Christliche Religion kann aus entwicklungspsychologischer Perspektive eine wichtige Ressource für die Entwicklung Jugendlicher sein, die zur Lebensfähigkeit beiträgt.
Das Projekt zielt darauf ab, Angebote zu machen, die Mitarbeiter(innen) bei ihrer pädagogischen Arbeit theologisch und spirituell unterstützen. Zudem soll die religiöse Bildung von Jugendlichen durch die gemeinsame Planung, Durchführung und Auswertung konkreter Projekte gefördert werden. Auch die Zusammenarbeit der einzelnen Einrichtungen und Dienste mit den Pfarrgemeinden soll intensiviert werden. Denn der Auftrag der Jugendpastoral "betrifft nicht nur die kirchlich gebundenen Jugendlichen, sondern richtet sich an alle", wie es in den Leitlinien der Jugendpastoral I.3 der Pastoral-Kommission der Deutschen Bischöfe heißt.
Möglichst viele Einrichtungen mit einbeziehen
Um das Projekt bekanntzumachen, wurde der Kontakt zu einigen Dekanats-Caritasverbänden, die im Bereich der Jugendhilfe vertreten sind, also Dresden, Meißen, Leipzig, Chemnitz und Zwickau gesucht und das Vorhaben den Mitarbeiter-Teams aus zwölf Einrichtungen und Diensten vorgestellt (Heime, Mutter-Kind-Wohngruppen, Tagesgruppen, Beratungseinrichtungen, Schulsozialarbeit, offene Jugendarbeit). Auch das Caritas-Schulzentrum Bautzen, dessen Wohnheim und der St. Martin Caritas-Hilfeverbund in Eilenburg wurden einbezogen.
Die Katholische Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendsozialarbeit im Freistaat Sachsen und der Caritasverband für das Bistum Dresden-Meißen in Abstimmung mit dem Bischöflichen Ordinariat des Bistums Dresden-Meißen stuften dieses Thema als sehr wichtig ein und entwickelten ein Fachkonzept für den Theologischen Fachdienst. Das Bonifatiuswerk zeigte sich sehr interessiert an dem Projekt, das bis Ende 2012 läuft und unterstützt das Anliegen inhaltlich und finanziell für zwei Jahre.
Die Resonanz auf das Projekt ist einerseits sehr positiv, andererseits ist eine große Zurückhaltung zu spüren, sich mit religiösen Themen zu beschäftigen. Von den Mitarbeiter(inne)n werden immer wieder Vorbehalte in Bezug auf den zeitlichen Aufwand oder die Aufnahmebereitschaft der Jugendlichen geäußert. Als schwierig gestaltet sich auch die Zusammenarbeit mit den örtlichen Pfarrgemeinden, da diese oft wenig Interesse zeigen, von sich aus auf die Einrichtungen und Dienste zuzugehen.
Provokative Thesen stoßen auf Widerstand
Auch vor diesem Hintergrund wurden auf der ostdeutschen Regionalkonferenz des Bundesverbandes katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfe (BVkE) und der Diözesanen Arbeitsgemeinschaften für Erziehungshilfe 2011 in Leipzig verschiedene Thesen zur Diskussion gestellt. Provokative Thesen wie "Angebote religionssensibler Erziehung erregen bei den Klient(inn)en und/oder deren Familien unnötiges Aufsehen und erschweren den Kontakt", "Dass die Caritas etwas mit Kirche und Gott zu tun hat, ist vielen nicht klar und sollte deshalb lieber im Verborgenen bleiben" weckten erfreulicherweise erheblichen Widerstand.
Im August 2010 fand eine erste überregionale Tagung für die Leiter(innen) und Mitarbeiter(innen) in Dresden statt. Sie diente zum einen dem bistumsübergreifenden Erfahrungsaustausch im Bereich der religionssensiblen Erziehung. Zum anderen gab es vier Impulse zum Thema "Meine Arbeit mit Jugendlichen - christlich betrachtet". Diese regten an, die geleistete Arbeit noch unter einem weiteren, vor allem biblisch orientierten Horizont zu sehen.
Eine weitere überregionale Tagung gab es im Februar 2011 in Burgstädt, um Strategien zur Stärkung des christlichen Profils zu entwickeln und unterstützende Angebote des Theologischen Fachdienstes des Caritasverbandes für das Bistum Dresden-Meißen zu besprechen. Als Impuls berichteten der Gesamtleiter des Don-Bosco-Jugend-Werks in Burgstädt, Jens Klafki, und der Seelsorger der Einrichtung, Heinz Menz, über die Situation vor Ort, beispielsweise die Gründung eines Pastoralteams aus christlichen und konfessionslosen Mitarbeiter(inne)n, die Erstellung eines Pastoralkonzeptes und die religionssensiblen Angebote, wie Tagesimpulse und Gottesdienste.
Eine Fachtagung zum Thema: "Dienst am Nächsten. Das katholische Profil in den Diensten und Einrichtungen der Caritas im Bistum Dresden-Meißen" fand im Juni statt. Mitwirkende waren der Diözesan-Caritasverband, die Don Bosco Jugend-Werk GmbH Sachsen und die CSW- Christliches Sozialwerk gemeinnützige GmbH.
Ein Aktionstag im Kletterwald
Ein Beispiel, wie das Projekt in der Praxis umgesetzt wird, sind die Feste des Kirchenjahres. Deren Bedeutung wurde für die Einrichtungen und Dienste in eine Sprache übersetzt, die unabhängig von der kirchlichen Sozialisation verständlich ist. Ergänzend werden methodische Anregungen zur Gestaltung dieser Feste gegeben. Orientiert am Kirchenjahr werden zudem immer wieder theologische Impulse verfasst, die anknüpfend an biblische Geschichten auf die Situation der Mitarbeiter(innen) hin ausgelegt oder bei der Eröffnung von Teamsitzungen verwendet werden.
Im September 2010 gab es für Schülerinnen aus Bautzen in Zusammenarbeit mit einer Lehrerin einen Aktionstag im Kletterwald, verbunden mit einer Psalmenmeditation. Psalmenworte können durch ihren Reichtum an Assoziationsmöglichkeiten auch in anderen Situationen erinnert werden und sind dann verknüpft mit denen, die im Kletterwald bewältigt werden konnten. So können die Fähigkeiten, die dort eingeübt wurden - sich zu bewegen und gleichzeitig zu orientieren, auf und ab zu klettern und Hindernisse zu überwinden - durch Gedanken aus den Psalmen vertieft für den Lebensweg hilfreich werden.
Besonders zu den großen Festen gibt es Veranstaltungsangebote für die Jugendlichen. So gab es beispielsweise in der Vorbereitung auf Ostern 2011 einen Projekttag in einem Mädchentreff. Im Mittelpunkt stand die Erzählung von der Rettung des Volkes Israel aus ägyptischer Gefangenschaft, da diese befreiende Erfahrung einen wichtigen Bezug zum Osterereignis vermittelt. Daraus haben die Mädchen ein Theaterstück mit musikalischen Elementen gestaltet und gespielt.
Interesse an christlichen Angeboten ist gestiegen
Auch die Lebensgeschichten Heiliger machen immer wieder neugierig. So ha-ben beispielsweise junge Mütter großes Interesse geäußert, die Namenspatron(inn)e(n) ihrer Kinder kennenzulernen. Deren Lebensgeschichten wurden in verständlicher Sprache mit ihrem Bedeutungsgehalt für die heutige Zeit und für konfessionslose junge Mütter erzählt und mit dem jeweiligen Symbol zur Erinnerung mit auf den Weg gegeben. Dadurch sollen Mütter unterstützt werden, ihrem Kind christliche Werte und Orientierungshilfen zu vermitteln.
In einer Tagesgruppe läuft das Projekt "Wieso, was ist eigentlich sozial?" an. Dabei geht es um soziales Lernen für Kinder, orientiert an den Zehn Geboten. Zu jedem dieser Gebote wurden vom Christlichen Sozialwerk, Dresden, in Kooperation mit der Theologieprofessorin Elisabeth Jünemann aus Paderborn Materialien und Arbeitshilfen entwickelt. Diesen Sommer pilgerte eine Gruppe Jugendlicher, die im Heim leben, zehn Tage auf dem norddeutschen Jakobsweg.
Da die Caritas im Bistum Dresden-Meißen auf die Mitarbeit von Menschen anderer Religionen, anderer Konfessionen oder Menschen ohne religiöses Bekenntnis angewiesen ist, stellt die Umsetzung des katholischen Profils eine besondere Herausforderung dar. Nach einem Jahr Erfahrung mit dem Projekt lässt sich ein deutlich gesteigertes Interesse an christlichen Angeboten in den Diensten und Einrichtungen der Jugendhilfe feststellen. Ziel ist, die Nachhaltigkeit dieser Entwicklung über die Zeit des Projektes hinaus zu sichern.