Offenheit schafft Vertrauen
Die Caritasverbände und die ihnen angeschlossenen Mitgliedsorganisationen hängen in hohem Maße von öffentlichen Mitteln ab und sind auf Zuwendungen privater Geldgeber angewiesen. Die organisierte Caritas benötigt daher in besonderer Weise das Vertrauen von Politik, Gesellschaft und Spendern. Doch in den letzten Jahren mehren sich mediale Angriffe auf die freie Wohlfahrtspflege1 und sonstige gemeinnützige Organisationen.2 Wie ein roter Faden zieht sich dabei der Vorwurf durch, dass es bei der freien Wohlfahrtspflege an der Transparenz ihrer Aktivitäten fehle. Kritiker sehen die mangelnde Transparenz der freien Wohlfahrtspflege auch als gravierenden Wettbewerbsnachteil der gemeinnützigen gegenüber gewerblichen Einrichtungen.3
Die Kritik an der Intransparenz kann aus mehreren Gründen nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden und muss daher ernst genommen werden.
Wird die Rechtsform Verein missbraucht?
Bei der Kritik an den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege klingt in letzter Zeit auch immer häufiger der Vorwurf durch, die sehr frei gestaltbare Rechtsform des Vereins werde im Bereich der Wohlfahrtspflege offenbar missbraucht.4 Die als Vereine organisierten Caritasverbände und viele ihrer Mitgliedsorganisationen erbringen in großem Umfang entgeltfinanzierte Sozialleistungen. Ein Großteil ihrer Tätigkeit findet daher unzweifelhaft in Form von wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben, allerdings in der Form der steuerlich privilegierten Zweckbetriebe, statt. Im Gegensatz zum Recht der Kapitalgesellschaften ist der Schutz des Rechtsverkehrs und der Mitglieder beim eingetragenen nichtwirtschaftlichen Verein in der Tat deutlich geringer ausgestaltet. Der Gesetzgeber hatte offensichtlich keinen Anlass gesehen, die Gläubiger des Vereins zu schützen. Deshalb wollte er von Anfang an aus Gründen des Gläubigerschutzes verhindern, dass Personenvereinigungen die Rechtsform des Vereins für eine wirtschaftliche Tätigkeit in großem Umfang wählen können. In Rechtsprechung und Rechtsliteratur ist allerdings anerkannt, dass ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb der Eintragung in das Vereinsregister nicht im Wege steht, wenn er für die Verfolgung des satzungsgemäßen Zwecks unentbehrlich ist (Nebentätigkeitsprinzip). Typische Beispiele für die "Deckungsgleichheit" von satzungsgemäßem Zweck und "wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb" sind danach Krankenhäuser und andere soziale Einrichtungen.5 Damit würden caritative Vereine, die entgeltfinanzierte soziale Einrichtungen für ihre satzungsgemäßen Zielgruppen betreiben, dabei generell noch im Rahmen des Nebentätigkeitsprivilegs agieren.
Verein kann freiwillig Gläubigerrisiken vermindern
Gefordert wird aber auch in diesem Fall6, dass Gläubigerschutzinteressen dem Unterhalten der wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe nicht entgegenstehen dürfen. Gläubigerschutzinteressen sind unzweifelhaft bei einem Verein, der eine nennenswerte Zahl entgeltfinanzierter sozialer Einrichtungen betreibt, immer betroffen, da mit zunehmendem Umfang der Geschäftstätigkeit naturgegeben auch die Risiken der Gläubiger wachsen, im Fall der Insolvenz mit ihren Forderungen leer auszugehen. Dies kann nur dadurch verhindert werden, dass der Verein die gleichen gläubigerschützenden Anforderungen freiwillig erfüllt, die der Gesetzgeber zum Beispiel an eine GmbH stellt.
Dazu gehört zum Beispiel die Beachtung
- bestimmter Vorgaben der Mindestkapitalausstattung,
- der Bilanzierungs-,
- der Publizitäts- und
- der Prüfungspflichten nach §§ 238-342e HGB
- einschließlich der Besonderheit der Konzernrechnungslegung bei Vereinen mit ausgegründeten Tochtergesellschaften im Alleinbesitz sowie
- der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht der Vereinsorgane im Außenverhältnis.7
Soweit ein caritativer Verein bei der Erbringung von Sozialleistungen für die satzungsgemäße Zielgruppe diese Anforderungen des Gläubigerschutzes erfüllt, dürfte er noch im Rahmen des Nebenzweckprivilegs agieren und damit nicht in Gefahr geraten, dass ihm wegen Führens eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs die Rechtsfähigkeit nach § 43 Abs. 2 BGB entzogen wird.
Genau wie andere Organisationen der Wohlfahrtspflege hat die Caritas mit der Schwierigkeit zu kämpfen, die historisch gewachsene, in hohem Maße ausdifferenzierte Verbandsstruktur der Öffentlichkeit plausibel zu machen. Es handelt sich bei der Caritas in Deutschland zum Glück eben nicht um einen so mitunter gescholtenen zentral steuerbaren "Sozialkonzern", in dem Transparenz von oben nach unten angeordnet werden könnte. Die dezentrale Struktur und die Selbstständigkeit der Mitgliedsorganisationen und Gliederungsebenen des Deutschen Caritasverbandes ist Voraussetzung für die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Hilfeangebote. Sie bietet den dezentralen Entscheidungsträgern eine größere Nähe zu den örtlichen Hilfebedarfen und entspricht dem Prinzip der katholischen Soziallehre. Sie ist auf diese Weise Garant für die Zukunftsfähigkeit der Caritas bei zunehmender Säkularisierung der Gesellschaft und zurückgehenden Staatsfinanzen.
Hindernis für Transparenz: keine Konzernstruktur
Die Vielfalt der Organisationsstrukturen sowie der permanente Anpassungsdruck aufgrund sich verändernder rechtlicher Rahmenbedingungen, der auf den Mitgliedsorganisationen lastet, erschweren es im Übrigen auch den Verbänden, sämtliche Aktivitäten ihrer Mitgliedsorganisationen vollständig zu erfassen und transparent zu machen. Notwendige Transparenzdaten können eben nicht im Rahmen einer alle Aktivitäten erfassenden zentralen Konzern-Buchhaltung einschließlich Konzern-Controlling nach standardisierten Vorgaben generiert und fortgeschrieben werden.
Dennoch kann und muss noch viel dafür getan werden, die Arbeit gegenüber der Politik, Gesellschaft und der Öffentlichkeit besser zu erläutern und offenzulegen. Eine nicht aufwendige, gleichwohl aber wichtige Maßnahme, um die Transparenz der freien Wohlfahrtspflege zu verbessern, betrifft den Verbandsaufbau und die gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen der Verbände und ihrer Mitgliedsorganisationen. Die Gliederungen des Deutschen Caritasverbandes (Diözesan-, Regional- und Orts-Caritasverbände) sollten ihre Mitgliedsorganisationen (korporative Mitglieder) offenlegen. Umgekehrt sollten auch die Mitgliedsorganisationen ihre Verbandsmitgliedschaft in ihren Kanon der offenzulegenden Organisationsmerkmale aufnehmen. Zur Transparenz der Verbandsmitglieder gehört auch die Darstellung der von ihnen betriebenen Einrichtungen einschließlich wesentlicher Eckpunkte des Leistungsprofils.8
Bei Ausgründungen hält man sich oft bedeckt
Intransparent sind häufig die von den Caritasverbänden und ihren korporativen Mitgliedern ausgegründeten, als gemeinnützig anerkannten Kapitalgesellschaften (GmbH, AG), weil die Identität der Anteilseigner und ihre Anteile weder für die Mitarbeitenden der Einrichtungen noch für die allgemeine Öffentlichkeit preisgegeben werden.9
Wesentliche Charakteristika einer Organisation ergeben sich aus ihren wichtigsten selbstverpflichtenden Rechtsgrundlagen wie zum Beispiel den Satzungen und sonstigen Handlungsgrundlagen wie Leitbildern, Qualitätsgrundsätzen oder Verhaltenskodizes. Es sollte selbstverständlich sein, dass der Caritas angeschlossene kirchliche Einrichtungsträger nicht nur die mit der Kirchenzugehörigkeit verbundenen kirchlichen Autonomieprivilegien in Anspruch nehmen, sondern auch keine Zweifel über ihre Zugehörigkeit zur katholischen Kirche aufkommen lassen.
In der organisierten Caritas helfen Menschen anderen Menschen. Organisationen erhalten daher in Gesellschaft und Öffentlichkeit nur dann ein Gesicht, wenn sie zu ihren wichtigsten Repräsentanten und Funktionsträgern stehen. Caritative Organisationen sollten daher die Personaldaten der wichtigen Funktionsträger(innen) in ihren satzungsgemäßen Organen (insbesondere Geschäftsführungsorgane und Aufsichtsorgane) auch dann dauerhaft zum Beispiel in ihrem Internet-Auftritt öffentlich zugänglich machen, wenn dazu wie beim Verein keine gesetzliche Verpflichtung besteht. Hierbei ist auch das wesentliche Merkmal, das die organisierte Caritas von gewerblichen Unternehmen der Sozialwirtschaft unterscheidet, zu berücksichtigen: Während in den Organen gewerblicher Unternehmen in der Regel die wirtschaftlichen Interessen der Anteilseigner repräsentiert sind, verstehen sich die in den Organen der Caritas ehrenamtlich tätigen Katholik(inn)en zu Recht als demokratisch legitimierte Garanten und Treuhänder der gemeinnützigen Zweckbindung ihrer Organisation. Wenn dies aber so ist, kann die Caritas bei der Darstellung ihrer Identität nicht länger auf die Identität ihrer wichtigsten Garanten und Gewährsträger verzichten.
Zur notwendigen Transparenz der Caritas gehört es auch, wesentliche Wirtschaftsdaten in kompakter Form der Öffentlichkeit (zum Beispiel im Internet-Auftritt) besser zugänglich zu machen. Die zurzeit geführte Einrichtungsstatistik ist außerordentlich wichtig, reicht allerdings allein nicht aus. Zu Recht wird daher das Fehlen einer Finanzstatistik der freien Wohlfahrtspflege insgesamt bemängelt.10
Fazit
- Zu begrüßen ist, dass der DCV und das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland im Herbst 2010 einen gemeinsamen Transparenzstandard für sich und ihre Mitgliedsorganisationen (Gliederungen, Fachverbände und sonstige korporative Mitglieder) erarbeitet und verabschiedet haben (s.a. neue caritas Heft 21/2010, S. I-XX).
- Soweit nicht die freie Wohlfahrtspflege selbst eigene Anstrengungen in Richtung mehr Transparenz unternimmt, wird hierdurch das Handeln des Gesetzgebers auf den Plan gerufen.11 Schon jetzt ist deutlich erkennbar, dass mit jedem weiteren Skandal der Druck auf gesetzgeberisches Handeln in der öffentlichen Debatte zunimmt.12 Die Einführung der im Internet nach § 115 Abs. 1a SGB XI zu veröffentlichenden Qualitätsnoten der Pflegeeinrichtungen ("Pflegenoten") führt bereits jetzt dazu, dass Einrichtungen, die nicht Gefahr laufen wollen, nur nach diesen Qualitätsnoten von potenziellen Nutzern bewertet zu werden, selbst mehr Anstrengungen unternehmen müssen, um ihr Leistungsprofil öffentlich darzustellen.
- Es kann davon ausgegangen werden, dass Transparenz und freiwillige Informationen generell auch geeignet sind, die eigenen Chancen auf dem Leistungs- und Spendenmarkt zu verbessern.13
Anmerkungen
1. Beispiele der jüngsten Zeit: Schleichende Zweckentfremdung. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.4.2010; Handaufhalten für den guten Zweck. In: Focus 15/2010; Diakonie Oldenburg: Clever ausgetrickst. In: Wohlfahrt intern Heft 8/2010, S. 18; Vom Geben und Nehmen, Frankfurter Allgemeine, 29.9.2010.
2. Die abgabenrechtliche Privilegierung gemeinnütziger Zwecke auf dem Prüfstand. Gutachten des wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium der Finanzen, August 2006; Gemeinnützig oder gemeingefährlich. In: Frankfurter Allgemeine vom 24.1.2007.
3. Ottnad, Adrian; Wahl, Stefanie; Miegel, Meinhard: Zwischen Markt und Mildtätigkeit : Die Bedeutung der Freien Wohlfahrtspflege für Gesellschaft, Wirtschaft und Beschäftigung. München, 2000, S. 176.
4. So auch ausdrücklich OLG Dresden, Urteil vom 9.8.2005 - 2 U 897/04 - allerdings aufgehoben durch BGH-Urteil vom 10.12.2007 - II ZR 239/05 - (betraf das Kolping-Bildungswerk Sachsen e.V.) BGHZ 175, S.12 = NZG 2008, S. 670 = DNotZ 2008, S. 542.
5. So Jahn, Ines: Rechnungslegung nichtwirtschaftlicher Vereine bei Anwendung handelsrechtlicher Rechnungslegungsgrundsätze. Aachen, 2009, S. 33; vgl. auch Hemmerich, Hannelore: Möglichkeiten und Grenzen wirtschaftlicher Betätigung von Idealvereinen : vereinsinterne und vereinsexterne Organisation ihrer Geschäftsbetriebe. Heidelberg, 1982, S. 106.
6. Reichert, Bernhard: Vereins- und Verbandsrecht. S. 34; OLG Düsseldorf: Der Rechtspfleger, 1998, S. 251.
7. Reichert, Bernhard: a.a.O., S. 22.
8. Im Rahmen der modernen integrierten elektronischen Kommunikation (zum Beispiel Verlinkungen zwischen Verbänden und angeschlossenen Einrichtungen im Internetauftritt, integriertes Management des eigenen Internetauftritts durch gemeinsame Datenbanken wie das CariNet) können hochrationelle, ressourcenschonende dezentrale Verfahrensweisen eingesetzt werden.
9. Siehe Näheres bei Griep, Heinrich; Renn, Heribert: Das Recht der Freien Wohlfahrtspflege : Grundlagen und Perspektiven. Freiburg, 2011, S. 51.
10. Ottnad, Adrian; Wahl, Stefanie; Miegel, Meinhard: a.a.O., S. 183.
11. Die Pflegeeinrichtungen betreffenden Pflege-Transparenz-Maßnahmen in § 115 Abs.1a SGB XI sind Reaktionen des Gesetzgebers auf immer wieder in den Medien thematisierte Pflegeskandale.
12. Siehe zum Beispiel Arbeitspapier der AG "Transparenz im Nonprofit-Sektor", veröffentlicht unter: www.transparency.de/Nonprofit-Sektor.1427.0.html
13. Graf Strachwitz, Rupert: Verschwiegenheit und Transparenz gemeinwohlorientierter Akteure. In: Walz, Wolfgang Rainer (Hrsg.): Rechnungslegung und Transparenz im Dritten Sektor. 2004, S. 203 ff.