Gesundheit vor Ort
Gerade Menschen mit altersbedingten Einschränkungen fehlt oftmals der Zugang zu notwendigen Gesundheitsleistungen, weil sie nicht über das Wissen und die nötigen Mittel verfügen, um ihre Leistungsansprüche im komplexen Gesundheitssystem geltend zu machen. Das durch den Deutschen Caritasverband (DCV) im Jahre 2008 initiierte und bis Ende 2010 von der Glücksspirale geförderte Projekt "Gesundheit vor Ort" entwickelte mit örtlichen Caritasverbänden beispielhafte Lösungsansätze, die älteren Menschen besseren Zugang zu Gesundheitsleistungen verschaffen.
Caritas Frankfurt: "Mit Lebensfreude älter werden"
Verschiedene Modelle, die das vom DCV favorisierte Konzept der sozialen Gesundheit aufgreifen und über das Thema Pflegestützpunkte und Pflegeberatung hinausgehen, wurden in Strukturen der Caritas vor Ort entwickelt und erprobt. Drei Modelle werden beispielhaft dargestellt. Abschließend werden Anforderungen, die sich aus dem Gesamtprojekt ableiten lassen, skizziert.
Das Modell "Mit Lebensfreude älter werden im Stadtteil" des Caritasverbandes Frankfurt verbessert Zugänge durch sein gesundheitsbezogenes Quartiersmanagement mit aufsuchender Gesundheitsberatung für Senior(inn)en. Das Angebot des sogenannten präventiven Hausbesuchs richtet sich an ältere, noch weitgehend selbstständige Bewohner(innen) des Stadtteils. Der Fokus des präventiven Hausbesuchs liegt dabei auf der Identifizierung von individuellen Gesundheitsrisiken, die eine Pflegebedürftigkeit begünstigen können. Daran anknüpfend findet eine persönliche Gesundheitsberatung statt. Die mobile Gesundheitsberatung kooperiert dabei eng mit dem Quartiersbüro der Caritas im Stadtteil. Das dort angesiedelte Quartiersmanagement hat nicht nur die allgemeine Entwicklung des Stadtteils im Blick, sondern kümmert sich auch verstärkt um das Thema Gesundheit im Quartier. Ältere Menschen werden beispielsweise auf Veranstaltungen angesprochen, und auf das Angebot der aufsuchenden Gesundheitsberatung aufmerksam gemacht. Ergänzend zum aufsuchenden präventiven Hausbesuch entwickelt die Caritas weitere niederschwellige Angebote in Kooperation mit dem Quartiersmanagement im Stadtteil. Dazu gehören zum Beispiel die regelmäßige Gesundheitssprechstunde im Quartiersbüro und der Aufbau von Aktivitäten innerhalb der Nachbarschaft, zum Beispiel zum Thema Bewegung, Sturzprävention, Gedächtnistraining, und themenspezifische Gesundheitsaktionstage, zum Beispiel bei Quartiersfesten.
Caritas Mettmann: Gesundheit aus einer Hand
Das Modell "Quartiersmanagement des Caritas-Altenstift Vinzenz von Paul" des Caritasverbandes Mettmann schafft Zugang zu Beratungs- und Hilfeleistungen aus einer Hand. Dies ermöglicht den älteren Bürger(inne)n, möglichst lange selbstständig in ihrem vertrauten Zuhause leben zu können. Die Besonderheit dieses Modells liegt darin, dass sich das stationäre Caritas-Altenstift den gesundheitlichen Bedürfnissen der im Stadtteil lebenden älteren Bewohner(innen) öffnet und einen sozialräumlichen Bezug zu seinem Pflege- und Unterstützungsangebot herstellt. Die meisten Menschen wollen so lange und so selbstständig wie möglich zu Hause leben. Mit zunehmenden altersbedingten Einschränkungen wird eine differenziert ausgerichtete Unterstützungs- und Hilfestruktur notwendig. Der Bedarf an Hilfe- und Unterstützungsleistungen für ältere Menschen im Stadtteil wird vom Stützpunkt des Caritas-Altenstifts ermittelt. Die im Stadtteil vorhandenen Beratungs-, Begleitungs- und Kommunikationsangebote werden aufeinander abgestimmt und für alle älteren Bewohner(innen) des Stadtteils zugänglich gemacht. Durch einen ehrenamtlichen Hausbesuchsdienst und mit Nachbarschaftshelfer(inne)n wird die kontinuierliche Unterstützung der älteren Menschen im Stadtteil gewährleistet.
Caritas Bottrop: "Gesund leben" für Migranten
Das Modell "Gesund leben" des Caritasverbandes Bottrop befähigt insbesondere ältere Migrant(inn)en, das Gesundheitssystem ihren Bedürfnissen entsprechend zu nutzen. Denn die Möglichkeiten älterer Migrant(inn)en, am Gesundheitswesen teilzuhaben, sind eingeschränkt. Als Gründe werden oftmals mangelnde Sprachkenntnis, kulturelle Unterschiede und Vorurteile genannt - sowohl auf der Seite der Migrant(inn)en als auch auf der Seite der professionellen Akteure im Gesundheitswesen. Mit dem Stützpunkt des Caritasverbandes Bottrop wird ein Ort geschaffen, der allen im Stadtteil lebenden Menschen gesundheitliche Information, interkulturelle Begegnung und die Vermittlung praktischer Hilfe anbietet. Insbesondere ältere Menschen mit Migrationshintergrund erhalten hier aktuelle Informationen zu Arztbesuchen, Medikamenten, Krankenversicherungen, ambulanten und stationären Pflegemöglichkeiten, Pflegehilfsmitteln, Hilfestellung beim Ausfüllen von Formularen, Vermittlung von Beihilfen und Kontakte zu bestehenden Gesundheitsgruppen im Stadtteil. Hausbesuchsdienste von Ehrenamtlichen ergänzen dieses Beratungsangebot. Sie vermitteln älteren, in ihrer Mobilität eingeschränkten Menschen die Kontakte zu notwendigen gesundheitlichen Hilfeleistungen in ihrer Nähe. Das niederschwellige Begegnungs- und Beratungsangebot des Gesundheitszentrums ist derzeit im katholischen Stadthaus angesiedelt, in dem schon andere Dienste der Caritas, der katholischen Familienbildungsstätte und des katholischen Bildungswerkes vorhanden sind. Die Dienste des örtlichen Caritasverbandes sind durch ihre langjährige Tätigkeit in der Kommune mit anderen Wohlfahrtsverbänden und kommunalen Stellen vernetzt. Die örtliche Caritas ist damit maßgeblich an der Entwicklung des kommunalen Integrationskonzepts für ältere Migrant(inn)en beteiligt. Sie ist Mitgestalter der kommunalen Gesundheits- und Integrationspolitik für ältere Menschen. Das Thema Alter, Migration und Gesundheit hat durch das Modell der Gesundheit vor Ort einen besonderen Stellenwert in der Kommune erhalten.
Akteure vor Ort sind gefragt
Die Modelle verdeutlichen, dass eine Verbesserung des Zugangs zu Gesundheitsleistungen für ältere Menschen am besten in deren Lebensumfeld und unter Einbindung der lokalen Akteure geschieht. Gesundheit vor Ort baut auf gewachsenen Strukturen in den Städten und Gemeinden und auf vorhandenen Netzwerken auf. Der Einbindung aufsuchender und gemeinwesenorientierter Arbeitsweisen kommt eine zentrale Bedeutung zu. Dieser gemeinwesen- und ressourcenbezogene Ansatz ist in den Altenhilfestrukturen der Caritas vor Ort kein Selbstläufer. Es gibt zielgruppennahe Akteure der offenen sozialen Altenhilfe, bei denen Gesundheit ein neues Thema ist, und es gibt medizinische Einrichtungen mit Gesundheitsbezug, die bislang wenig Kontakt zum Gemeinwesen und zu älteren Menschen in deren Lebensumfeld suchen.
Modelle der Gesundheit vor Ort benötigen aber nicht nur die ideelle, sondern auch die finanzielle Unterstützung der Kommunen. Gesundheit vor Ort soll im Gemeinwesen wachsen und mit den dort vorhandenen Ressourcen zum Blühen gebracht werden. Damit dies geschehen und von allen Akteuren unterstützt werden kann, müssen die Kommunen auch die dafür notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Kommunale Behörden arbeiten nach klaren Aufgabenprofilen mit vorgegebenen Prioritäten. Aufgaben der kommunalen Gesundheitsförderung werden eher unterstützt, wenn die Kommunen dazu aufgefordert und verpflichtet werden - wenn die Bedarfe in den Kommunen identifiziert und nachvollzogen werden können. Die Modelle der Gesundheit vor Ort sind dafür "Türöffner".
Die Projekte der Gesundheit vor Ort haben keinen festen Organisationsrahmen. Die örtlichen Strukturen der Caritas, die dazugehörigen Stadtteile und Gemeinden sowie ihre jeweilige Bevölkerungs- Sozial- und Infrastruktur sind zu unterschiedlich, um einen Königsweg vorzugeben. Im Umkehrschluss: Es ist eine Chance für die Caritas, sich in die offenen Politikfelder der Gesundheit und Pflege in den Kommunen einzuschalten und die kommunalen Rahmenbedingungen hierfür mitzugestalten.
Was es für "Gesundheit vor Ort" braucht
- Gesundheit vor Ort benötigt Motivation und Bürgerbeteiligung. Motivation und Beteiligung entstehen dann, wenn gesundheitliche Themen und Anknüpfungspunkte von engagierten Bürger(inne)n an die Caritas herangetragen werden und nicht umgekehrt.
- Gesundheit vor Ort erfordert fachübergreifende und gebietsbezogene Vernetzung. Viele Kooperationspartner mit und ohne unmittelbarem Gesundheitsbezug und möglichst kleinräumiger Perspektive werden benötigt.
- Gesundheit vor Ort braucht Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit entsteht auch in Strukturen. Für Angebote sind verbindliche Strukturen mit klarer Finanzierung zu schaffen. Kurzfristige Modellförderungen schaffen diese Nachhaltigkeit nicht.
- Die örtlichen Träger der Caritas müssen sich mit ihren Einrichtungen und Diensten auf eine gemeinwesenorientierte Organisationsentwicklung einlassen.
- Gesundheit vor Ort erfordert kooperative Fachlichkeit (Teamwork). Die Hürden der unterschiedlichen fachlichen Perspektiven sind zugunsten eines gemeinsamen Handlungskonzepts zu überwinden. Einzelne, oftmals miteinander konkurrierende Fachkonzepte müssen die Gesundheit als eigenständigen Bereich aufnehmen.
- Gesundheit vor Ort benötigt eine "Brücke" zum kommunalen und öffentlichen Gesundheitsbereich. Lokale Politik muss in die Aktivitäten der Gesundheit vor Ort eingebunden werden. Die öffentlichen Gesundheitsdienste sind zu stärken. Die Gesundheitsämter der Städte und Landkreise haben diese Aufgabe, ihnen fehlt jedoch oft die kleinräumige Perspektive.
Die Caritas vor Ort hat mit ihren unterschiedlichen Angeboten diese kleinräumigen Blickwinkel. Es besteht die Chance, dass sich die Gesundheitsangebote der Caritas mit dem Public-Health-Gedanken verbinden lassen.