Mit einem Bus wird Bildung erreichbar
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen gibt es derzeit rund 214 Millionen internationale Migrant(inn)en, also Menschen, die ihr Heimatland für mindestens ein Jahr verlassen, um ihren Lebensmittelpunkt ins Ausland zu verlegen. Ein Großteil dieser Menschen bricht jedoch nicht alle Bindungen in die alte Heimat ab. Dank schnellem Internet, günstigem Telefonieren und erschwinglichen Flugpreisen stehen viele Migrant(inn)en weiterhin in engem Kontakt mit Familienangehörigen, Freunden oder Berufskolleg(inn)en im Herkunftsland. Das gilt auch für Migrant(inn)en aus dem sogenannten Globalen Süden, das heißt den besonders armen Regionen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Sie fühlen sich dabei den Menschen und der Region, die sie verlassen haben, häufig weiterhin so verbunden, dass sie durch Geldsendungen versuchen, die oftmals schwierige Lebenssituation ihrer Verwandten zu verbessern. Diese Geldströme ("remittances") weisen mittlerweile ein beachtliches Volumen auf. Nach Angaben der Weltbank beliefen sie sich im Jahr 2009 weltweit auf über 400 Milliarden US-Dollar und überstiegen damit die weltweite offizielle Entwicklungshilfe (ODA) deutlich.
Einige der Migrant(inn)en möchten trotz ihres vergleichsweise großen finanziellen Engagements noch mehr für die Entwicklung ihrer Herkunftsregion tun. In diesem Bestreben schließen sie sich mit Gleichgesinnten zusammen, in aller Regel Landsleuten, die häufig sogar aus derselben Region, Stadt oder demselben Dorf stammen. Doch auch Deutsche ohne Migrationshintergrund und Migrant(inn)en aus anderen Ländern arbeiten in diesen Vereinen mit. Gemeinsam ist ihnen der enge Bezug zum Partnerland und der Wunsch zu helfen. Mit Kleinprojekten versuchen sie zusammen mit lokalen Kooperationspartnern in der Zielregion Schwierigkeiten vor Ort zu lösen. Die Probleme können in den unterschiedlichsten Bereichen liegen, vom Bildungs- über den Gesundheitssektor bis hin zur Infrastruktur oder Energieversorgung. So engagiert sich beispielsweise eine deutsch-marokkanische Migrantenorganisation im Atlasgebirge. Dort sind viele kleinere entlegene Dörfer nicht an das ohnehin dürftig ausgebaute öffentliche Transportsystem angeschlossen. Dadurch war es den Schüler(inne)n, die in diesen isolierten Gebieten leben, nicht möglich, nach der Grundschule eine weiterführende Bildungseinrichtung zu besuchen. Ihre Eltern besitzen keine eigenen Transportmöglichkeiten, um die Kinder täglich in das über 20 Kilometer entfernte Schulzentrum des nächstgrößeren Ortes zu bringen. Die marokkanischen Migrant(inn)en nahmen sich des Problems an, indem sie durch eigene Gelder und Spenden Dritter einen alten Bus in Deutschland kauften, ihn zu einem Schulbus umbauten und nach Marokko überführten. Mit dem Bus hatten die Kinder die Möglichkeit, das Schulzentrum zu erreichen und ihre schulische Ausbildung fortzusetzen.
Der marokkanische Verein realisierte zudem noch eine innovative Idee: Um die Kinder und Jugendlichen der kleinen Dörfer weiter zu fördern, bauten die deutsch-marokkanischen Projektpartner eine kleine Bibliothek in den Schulbus ein. Die Ausleihe ist für alle Kinder und Jugendlichen der Region kostenlos.
Jugendliche erlernen im Senegal ein Handwerk
Eine andere in Deutschland ansässige Migrantenorganisation unterstützte den Bau eines Ausbildungszentrums im Osten des Senegals, einer isolierten Region an der Grenze zu Mali. Dort wurden Klassenzimmer und Werkräume errichtet sowie Werkzeuge und Arbeitsmaterialien angeschafft. Die Jugendlichen können nun eine Ausbildung in unterschiedlichen handwerklichen Berufen machen und erhalten die Chance, als Facharbeiter eine Beschäftigung in der Region zu finden. Auch hier hatten die senegalesischen Migrant(inn)en in Zusammenarbeit mit ihren lokalen Projektpartnern noch ein Stück weiter gedacht: Die Räume des Ausbildungszentrums stehen auch für Schulungen im Bereich der Gesundheitsvorsorge und Hygiene bereit - ein Feld, in dem nach wie vor eine große Aufklärungsarbeit notwendig ist.
Die skizzierten Projekte verdeutlichen den Ideenreichtum der Migrantenvereine und die Spannbreite ihres Engagements. Die Migrant(inn)en wissen aufgrund eigener Erfahrung und des weiterhin engen Kontakts in ihre alte Heimat in aller Regel sehr gut, welche Alltagsprobleme die Menschen dort haben und was es braucht, um Abhilfe zu schaffen. Diese Kenntnisse machen sie in gewisser Weise zu Expert(inn)en. Von Vorteil sind zudem ihre Sprachkenntnisse, die Vertrautheit mit den vorherrschenden kulturellen Normen sowie ihre sozialen Netzwerke im Partnerland, aber auch in Deutschland. Durch die sehr engen persönlichen Bindungen ist das Engagement der Migrant(inn)en darüber hinaus häufig auch auf einen längerfristigen Zeitraum angelegt und weniger von aktuellen Entwicklungen abhängig.
Das entwicklungspolitische Engagement der Migrant(inn)en bietet also eine Reihe von Vorteilen. Bei der Verwirklichung ihrer Ideen sind viele Vereine jedoch auch mit einigen typischen Problemen konfrontiert, die schon in der Planungsphase einsetzen. Denn bereits hier sollte sorgsam die Umsetzbarkeit des geplanten Vorhabens überprüft werden. Die Beteiligten müssen kritisch analysieren, ob die eigenen, im Verein vorhandenen planerischen und organisatorischen Kompetenzen ausreichen, um das Projekt zu verwirklichen - und gegebenenfalls auch längerfristig zu betreuen. Fortbildungen im Bereich des Projektmanagements können die eigenen organisatorischen Kapazitäten beträchtlich erhöhen und die Projektplanung absichern. Der Arbeitsaufwand, der auch in Kleinprojekten auf die Vereinsmitglieder zukommt, wird häufig unterschätzt. Daher sollten in jedem Fall mehrere Vereinsmitglieder dauerhaft in das Projekt eingebunden werden, um zu verhindern, dass die Projektverantwortung letztendlich bei nur einer einzigen Person liegt. Es gilt die berühmte "One-Man-Show" zu vermeiden, sonst droht bei Problemen oft der Projektabbruch.
Projektpartner vor Ort müssen mit ins Boot
Damit das Projekt im Zielland akzeptiert wird, sollten bei den Planungen und der Projektumsetzung in jedem Fall die lokalen Projektpartner eng eingebunden werden. Man spricht hier von "Ownership" der Zielgruppe, die für den Erfolg des Projekts sehr wichtig ist. In vielen Fällen müssen auch die lokalen Projektpartner erst ihre organisatorischen Kompetenzen ausbauen, um den Anforderungen des Projekts wirklich gewachsen zu sein. Eine häufig gewählte und durchaus gangbare Lösung ist der direkte Wissenstransfer durch den deutschen Migrantenverein: Sobald dieser über die technisch-planerischen Kompetenzen verfügt, bietet er im Zielland kurze Schulungen an, um den Partner auf einen ähnlichen Kenntnisstand zu bringen. Es können auch Fachkenntnisse, wie im senegalesischen Beispiel im Bereich der Gesundheitsvorsorge und Hygiene, weitergeben werden. Nach dem Prinzip "Train the trainer" findet so ein Wissenstransfer statt, den die Migrantenvereine häufig eigenständig erbringen können. Zudem sollte sichergestellt werden, dass auch die Partnerseite über entsprechende personelle Ressourcen verfügt. Ideal wäre beispielsweise die Zusammenarbeit mit einem (mittelgroßen) Verein, der in der Zielregion fest verankert ist, oder mit einer Dorfgemeinschaft.
Ein ganz entscheidendes Kriterium für den Erfolg des Projekts ist dessen Nachhaltigkeit. Hier geht es um die Frage, ob sich die neu geschaffenen Strukturen in der Zukunft auch selbst tragen können. Ist beispielsweise gewährleistet, dass der oben beschriebene Schulbusbetrieb auch in den kommenden Jahren aufrechterhalten werden kann? Wer bezahlt die laufenden Kosten und Wartungsarbeiten? Es muss also eine finanzielle und organisatorische Trägerstruktur geschaffen werden, die in der Lage ist, derlei Probleme selbstständig zu lösen. Ist dies nicht der Fall, droht eine Daueralimentierung des Projekts, was die Möglichkeiten der beteiligten Akteure oft übersteigt. In der Folge droht das Projekt zu scheitern.
Die marokkanische Migrantenorganisation hat sich deshalb entschieden, eine kleine Gebühr für den Pendelverkehr des Schulbusses zu erheben, die einerseits von den Eltern bezahlbar ist und andererseits die laufenden Kosten deckt. Das marokkanische Bildungsministerium hat nach Verhandlungen mit den Projektpartnern die Erstausstattung der Schulbusbibliothek zugesagt.
Weil dem entwicklungspolitischen Engagement der Migrantenvereine ein großes Potenzial zugeschrieben wird, gibt es eine Reihe von Förderinstitutionen auf Bundes- und Länderebene, die gemeinnützige Entwicklungsprojekte unterstützen. Voraussetzung für die finanzielle und organisatorische Hilfe ist, dass die antragstellenden Vereine als private gemeinnützige Träger anerkannt sind. Wichtig ist, dass die Finanzierungszuschüsse stets projektbezogen sind. Eine dauerhafte institutionelle Förderung des Vereins ist ausgeschlossen. Ferner sollte beachtet werden, dass in aller Regel die Projektpartner finanzielle Eigenmittel aufbringen müssen - diese können auch teilweise in Form von Arbeitsleistungen erbracht werden.1
Anmerkung
1. Informationen unter: www.caritas.de/79373.html und www.giz.de