Die Caritas - ein besonderer Schatz der Kirche
In einer Phase der vielfach schmerzlich und kontrovers erlebten Neuordnung der pastoralen Strukturen in allen Diözesen Deutschlands2 legen die deutschen Bischöfe den Gläubigen ihrer Diözesen, ihren Gemeinden, den Diensten und Einrichtungen der Caritas und allen caritativ Engagierten ihr Schreiben "Berufen zur caritas" vor und ans Herz. Sie hatten es bereits in ihrer Herbstvollversammlung (September 2009) beschlossen. Es ist in Ton und Inhalt voller Wertschätzung und Anerkennung für alle Formen gelebter caritas: im persönlichen Umfeld, in den Gemeinden, Gemeinschaften und Verbänden und in der gesamten Gesellschaft. Die Bischöfe bezeichnen sie gleich zu Beginn des neuen Dokumentes als einen " - oft zu wenig anerkannten - besonderen Schatz der Kirche" (1.3).
Wen und was wollen die Bischöfe erreichen? Wollen sie von den innerkirchlichen Strukturproblemen, den Reizthemen, dem Priestermangel und Gläubigen- wie auch Kirchensteuerschwund ablenken auf einen zwar erfreulichen, aber für das Leben der Kirche doch nicht zentralen "Nebenschauplatz"?
Das Gegenteil ist der Fall. Das neue Hirtenschreiben wirbt darum, sich die Mitte und wesentliche Dynamik jeglicher christlicher Existenz und Sozialform in Gottes- und Nächstenliebe neu und vertieft anzueignen. Es ist - trotz der ausdrücklichen Wertschätzung - nicht zuerst oder allein an alle Mitarbeiter(innen) der verbandlich organisierten Caritas in Deutschland gerichtet, sondern an alle caritativ Engagierten und an alle Gläubigen - durchaus keine deckungsgleichen Gruppen. Inspiriert von der Antrittsenzyklika "Deus caritas est" (DCE) Papst Benedikts XVI. erinnern die Bischöfe die Kirche und alle Getauften daran, dass Gott, der selbst die Liebe ist, alle Menschen zur Liebe beruft. Die deutschen Bischöfe treiben jenes Grundanliegen voran, das Benedikts XVI. Lehramt wie ein roter Faden durchzieht: dass die Kirche und alle Gläubigen ein glaubwürdiges caritas-Profil entwickeln - so dass alle an ihrer Liebe erkennen können, dass sie, von Gottes Liebe beschenkt, seine "Jünger" sind (vgl. Joh 13,33).
Wem das als Ablenkungsmanöver vorkommt, der sieht in seiner Analyse und Deutung der Strukturfragen zu kurz. Indem die Bischöfe von der Berufung zur caritas - zur Gottes- und Nächstenliebe - sprechen, konkretisieren sie die klassische Ausdrucksweise des II. Vatikanischen Konzils, das in seiner Kirchenkonstitution Lumen gentium (in Kap. 5) die Berufung aller Gläubigen zur Heiligkeit darlegte. Gottes- und Nächstenliebe ist nach dem Zeugnis der Evangelien das erste und wichtigste (vgl. Mk 12,29-31 parr.) - für alle Menschen, ob sie sich ausdrücklich zu ihm bekennen (wollen) oder nicht. Sie ist die wahrhaft menschliche Antwort auf das "Zuerst" der Liebe Gottes. Die Bischöfe sehen das wie der Papst in seiner jüngsten Sozialenzyklika, welche die Soziallehre der Kirche ausdrücklich in den Horizont der Liebe Gottes stellt: "Wir wollen mit unserem Schreiben die universale Berufung aller Getauften und letztlich aller Menschen zur caritas in die Mitte stellen. ‚Als Empfänger der Liebe Gottes sind die Menschen eingesetzt, Träger der Nächstenliebe zu sein, und dazu berufen, selbst Werkzeuge der Gnade zu werden, um die Liebe Gottes zu verbreiten und Netze der Nächstenliebe zu knüpfen.‘4 Diese Nächstenliebe will jeden Menschen als Gottes Ebenbild erreichen. Sie gehört zum Kern jeder persönlichen christlichen Berufung, aber auch zur Berufung und Sendung der Kirche in allen ihren Strukturen und Gestalten." (6.)
Im Neuen Testament ist der entscheidende griechische Begriff hierfür agape, lateinisch caritas. Caritas wurde zum glücklichen Eigennamen der "diakonia", der organisierten Liebestätigkeit in der katholischen Kirche weltweit. Die Bischöfe unterscheiden zwischen "caritas" (mit kleinem Anfangsbuchstaben) und "Caritas" (mit Großbuchstaben) als Eigenname, ohne sie jedoch zu trennen. Sie verdeutlichen damit den universalen Horizont, in dem alles diakonische oder caritative Handeln steht. Wie die Berufung zur Gottes- und Nächstenliebe jeden und alle Menschen im Herzen erreichen will, so ist sie auch die Basis einer - im Bischofswort nur en passant angesprochenen - großen, umfassenden, sogar menschheitlichen Ökumene. Sie endet an keiner Konfessions- oder Religionsgrenze. Natürlich haben die deutschen Bischöfe mit ihrem Wort auch die gemeindlich und verbandlich organisierte Caritas im Blick, aber nicht isoliert, sondern selbstverständlich eingebettet in die Kirche und ihre Sendung, aus Gottes Liebe zu leben und sie in der ganzen Welt in Tat und Wahrheit zu bezeugen.
Das Bischofswort stärkt die Nächstenliebe
Das Bischofswort nimmt nicht primär und mehr oder weniger anerkennend-mahnend zur Lage und zu Fragen der organisierten Caritas beziehungsweise des Verbandes Stellung, vergleichbar dem aus dem Jahr 19995. Es führt dessen Gedanken vom "Netzwerk helfender Hände" weiter. Es stimuliert darüber hinaus die (Selbst-) Besinnung aller kirchlichen Realitäten auf die Mitte des christlichen Glaubens, seines Gottes- und Menschenbildes und deren praktische Folgen einerseits; andererseits will es alle stärken, die sich in tätiger Nächstenliebe spontan, ehrenamtlich und beruflich engagieren. In diesem tieferen Sinne liegt ein ganz neues, sehr geistliches c/Caritas-Wort der Bischöfe vor, mit Chancen und Grenzen. Die Grenzen: Es ist kein caritas-theologisches Kompendium; es bietet keine tagesaktuelle Analyse der gesellschaftlichen, innerkirchlichen oder verbandlichen Großwetterlage, keine Soziologie der Armut in Deutschland oder milieuorientierte Handlungsstrategien. Bestimmende Trends werden nur stichwortartig genannt. Vor allem: Es ist nur ein "Wort", dessen Aufnahme und Rezeption ungewiss ist.
Die Chancen: In zumutbarem Textumfang wollen die Bischöfe die "Verbände und Gemeinden, die Dienste und Einrichtungen sowie jeden Einzelnen … in ihrem Einsatz im Geiste Jesu bestärken" (6.). Ihr Wort lässt sich trotz einiger Redundanzen nicht einfach herunterlesen oder überfliegen. Es ist die Mühe intensiver Befassung wert - dann wird es wohl Wirkung entfalten. Christliche Spiritualität ist anspruchsvoll und verlangt, bildlich gesprochen, nach ganzheitlicher Vollwertkost für die ganze Persönlichkeit, nicht nach "fast food" oder gefälligen "convenience"-Produkten. Das Wort ist in sechs Kapitel gegliedert, die im Folgenden zusammengefasst und dabei knapp kommentiert werden.
Jeder Mensch ist zur Liebe berufen
Bereits in der Einleitung (1.) wird die Berufung jedes Menschen zur Liebe herausgestellt und die gemeinsame Überzeugung aller christlichen Kirchen, dass die praktizierte Nächstenliebe "wesentlich zur Ausübung unseres christlichen Glaubens" gehört und zu "einer Zivilisation der Gerechtigkeit und Liebe" beiträgt. Jesu Botschaft vom Reich beziehungsweise der Herrschaft Gottes anzunehmen6 heißt nichts anderes als sich Gottes Liebe immer mehr zu öffnen und von ihr beziehungsweise von Gott das eigene und gemeinsame Leben bestimmen zu lassen. Wo Gott in Jesus Christus aber das Leben bestimmt und "Herr" ist, da wenden sich Menschen wie er unentwegt den Realitäten von Armut und Not, Leid, Unrecht und Bedrängnis zu. Hier scheint bereits auf, was das ganze Dokument durchzieht: Genuin christliche Religion kann nicht anders als gesellschaftlich der Gerechtigkeit und dem Gemeinwohl für alle Menschen dienen wollen.
Im 2. Kapitel wird die organisierte Nächstenliebe der Kirche in Deutschland als ein "Netzwerk der helfenden Hände" in der deutschen Gesellschaft beschrieben. Sie stelle - illustriert an einigen Beispielen aus Diözesen und Verbänden - einen fruchtbaren Boden gelebter caritas dar. Mit besonderer Aufmerksamkeit könnten "Ständige Diakone" hier lesen, dass ihr caritatives Profil besonders zur echten Einheit von Liebesdienst, Verkündigung und Liturgie beitragen kann (2.2). Diese Einheit ("statt Fragmentierungen der kirchlichen Wesensvollzüge", 2.3) liegt den Bischöfen wie Benedikt XVI. besonders am Herzen: Es ist sehr bemerkenswert, dass die Bischöfe ausdrücklich pastorale Strukturen, theologische Ansichten, Formen der Verkündigung und der Feier der Gottesdienste kritisieren, welche organisierte Caritas als unwesentlich, "nur" im Vorfeld des wesentlichen kirchlichen Lebens betrachten oder als Experten- und Verbandssache aus dem vermeintlich "eigentlichen" kirchlichen Leben auslagern. Konrad Hilpert kritisierte dies schon länger als das theologisch unhaltbare Vorfeld- und Expertenschema7, Heinrich Pompey sogar als häretisch (von "hairesis", Spaltung).8 Die Konsequenzen sind verheerend: "Durch solche Tendenzen werden die Kirche und ihre Sendung geschwächt. Sie erscheint weniger bewegt von der Liebe Christi zu den Armen und Bedrängten aller Art. Ihr Zeugnis für den Gott, der die Liebe ist, strahlt schwächer in unserer pluralen Gesellschaft als es möglich wäre und ihr zukommt." (2.3) Stattdessen müssten die Verkündigung des Evangeliums und die Feier der Eucharistie zu tätigen Werken der Liebe führen. Denn sonst "sind diese Wesensvollzüge unseres Glaubens und kirchlichen Lebens ‚in sich selbst fragmentiert‘ (DCE Nr. 14). Die sozialen Dienste der Kirche sind im Zentrum der christlichen Botschaft verankert, sie werden aus der Mitte des christlichen Glaubens mit seinem Gottes- und Menschenbild genährt und sind für die Kirche ebenso unverzichtbar wie Verkündigung und Liturgie. Caritas ist Kirche (vgl. DCE Nr. 25)" (2.3).
Das mit "Impulse aus der Enzyklika Deus caritas est zum Verständnis und Profil der Caritas" überschriebene Kapitel 3 legt dar, dass die Berufung der ganzen Kirche zur caritas im unhintergehbaren "Zuerst" der Liebe des dreieinen Gottes gründet und das kirchliche Liebeshandeln unverzichtbar zur Sendung der Kirche und aller Christen gehört. "Christliches Liebeshandeln versteht sich als bewusste, freie und dankbare ‚Antwort auf das Geschenk des Geliebtseins, mit dem Gott uns entgegengeht‘ (DCE Nr. 1)" (3.2). Im Blick auf das Verständnis von christlicher Religionsausübung und auf den sogenannten "Dritten Weg" - beides auch in ökumenischer Perspektive - ist in der Klarheit der Aussage außerordentlich beachtenswert, dass solche organisierte "Caritas […] unverzichtbarer Dienst der Kirche, kirchlicher Dienst" (3.2; vgl. Überschrift 3.3) ist.
Caritas hat Anteil an der Sakramentalität der Kirche
Wird dies theologisch ernst genommen, ist nicht von der Hand zu weisen, dass in der (gemeinschaftlich organisierten) Praxis von caritas (und damit in verbandlicher Caritas) die Kirche analog wie in Liturgie und Verkündigung verwirklicht ist - dass sie "gleichsam Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug der innigsten Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit" (Lumen gentium 1) ist. Daran wirkt sie zumal überall dort mit, wo sie Not abhilft, Hass und zerstörerische Aggression entgiftet, Versöhnung und Gerechtigkeit fördert und Vertrauen auf Gott als den Freund der Menschen weckt und stärkt. Caritas hat Anteil an der Sakramentalität der Kirche - auch wenn dies im Bischofswort nicht ausdrücklich formuliert wird.
Kapitel 4 bietet "Theologische Vertiefungen und Anregungen", Kapitel 5 geht auf charakteristische Aspekte sozial-caritativen Handelns, Spiritualität und Gebet ein. Beide Kapitel gehören organisch zusammen. Theologie, Selbstverständnis der Engagierten und praktisches Handeln bilden eine organische Einheit. Beide Kapitel stellen heraus, dass die Nächstenliebe ein Weg ist, Gott zu begegnen, wohingegen "die Abwendung vom Nächsten auch für Gott blind macht" (DCE 16). Hannes Kramer, als Caritasmitarbeiter Wegbereiter für die Wiedereinführung des "Ständigen Diakonates" nach dem II. Vatikanum, sprach ähnlich vom Sakrament des Nächsten. Im Unterschied zu Meditationspraxen, die vorrangig der eigenen "Wellness" dienen, und im Kontrast zu weltfremd wirkenden Auffassungen von "mystischer Versenkung" impliziert dies eine "Mystik des offenen Blicks" (4.1), die aus der "sozialen Mystik" der Eucharistie genährt wird. In den Ausführungen zur Bedeutung der Eucharistie für das Leben der Kirche spiegelt sich die kontinuierliche, wenn auch leider meist überhörte Kritik Papst Benedikts XVI. an allen Formen von Liturgie wider, die nicht einem "Mehr" gelebter caritas dienen. Sie ist weitaus wichtiger und wesentlicher als etwa die oft so emotional diskutierte Frage nach ordentlichem oder altem Ritus: "Die Berufung eines jeden von uns ist wirklich die, gemeinsam mit Jesus gebrochenes Brot für das Leben der Welt zu werden" und "sich also für eine gerechtere und geschwisterliche Welt einzusetzen"9 (vgl. 4.2). Gelebte Nächstenliebe ist in sich, "im Sozialen", Zeugnis für den Gott, der die Liebe ist. Als Werk des Heiligen Geistes ist Liebe die innere Form jeglichen authentischen missionarischen Handelns der Kirche. Ohne Liebe kann es keine glaubwürdige Verkündigung des Evangeliums geben. Zugleich geschieht c/Caritas um ihrer beziehungsweise der Leidenden selbst willen - und nicht in der Absicht, sie zu Christen zu machen (vgl. 4.3).
Berufung zur caritas kann auch Last sein
Besondere Aufmerksamkeit bei allen caritativ Engagierten und zumal bei den Caritas-Profis dürfte schließlich Kapitel 5 wecken: "Charakteristische Aspekte sozial-caritativen Handelns, Spiritualität und Gebet". Es spricht die unterschiedliche persönliche Beanspruchung im ehrenamtlichen und beruflichen Engagement, im spontanen Hilfeverhalten und im permanenten Dasein für andere an. Sehr bemerkenswert ist die ebenso ungewohnte wie realistische Aussage, dass die Berufung zur caritas auch wie ein Zwang erlebt werden kann, der nur mit Widerwillen ertragen oder als schwere Last erlebt wird, etwa wenn Pflegebedürftigkeit eines nahen Angehörigen wie eine plötzliche, unbedingte Forderung über einen hereinbricht. Das wird nicht geschönt. Die Spannung zwischen frohen Erfahrungen und schweren Belastungen wird gehalten. Die Erfahrung und das akzeptierende Eingeständnis der eigenen Bedürftigkeit helfen den Engagierten, nicht als "hilflose Helfer" (Wolfgang Schmidbauer) auszubrennen beziehungsweise auszukühlen.
Kompetenz und Persönlichkeit spielen eine Rolle
Damit ist auch das wichtige Thema von Professionalität und Motivation im caritativen Engagement angesprochen. Analog zur sozialarbeitswissenschaftlichen Trias Wissen - Können - Haltung werden drei Ebenen jeder helfenden Begegnung angeführt, welche auch die Kommunikations10- und Beratungspsychologie11 herausstellen: Fachliche Kompetenz, kommunikative Kompetenzen und die Persönlichkeit der Helfenden (mit ihren Erlebens- und Verhaltensmustern, Werten und Einstellungen, ihrem impliziten Welt-, Menschen- und Gottesbild). Die Berufung zur caritas schließe alle drei Ebenen in ihrer inneren Verwobenheit ein. Dies gelte nicht nur für die personennah Helfenden. Die Bischöfe nennen ausdrücklich auch die Akteure "in Leitungs- und Führungsaufgaben der Caritas, in kollegialer Zusammenarbeit und Interessensvertretung, in den Aufgaben sozialpolitischer Anwaltschaft und Solidaritätsstiftung [und …] in der anspruchsvollen Aufgabe der politischen Diakonie" (5.1) und betonen für alle: "Zur Eignung und Spiritualität für die caritative Arbeit gehört es, diesen persönlichen Reaktionen, Herausforderungen und Anfragen nicht auszuweichen." Sie drängen auf eine neue "Achtsamkeit für sich und den anderen", auf Persönlichkeits- und Herzensbildung: "Weder die Kirche und ihre Caritas noch die Hilfesuchenden erwarten von ihren Mitarbeitenden ,nur‘ Wissen und Können, sondern immer auch eine Haltung der Herzenszuwendung." (5.2) Als privilegierten Übungsort für solche Achtsamkeit sprechen die Bischöfe das Gebet an - um dessen Segen wie um dessen Not sie wissen.
Christliche Spiritualität heißt Reflexion und Wandlung
Werbend skizzieren sie christliche Spiritualität und Gebet als Dynamik und Haltung (5.3): als einen Wandlungsprozess, "in dem die Gläubigen im Schauen auf Jesus Christus ihr eigenes Leben und Tun ändern und umformen lassen", als gläubigen Umgang mit der Wirklichkeit, in dem Gebet zur Tat wird, insbesondere zur Zuwendung zur Welt des Leidens im Geist Jesu Christi. Aus diesem Duktus heraus erstaunt dann nicht (mehr), dass die Bischöfe keine spezifische "Caritas-Spiritualität" beschwören, sondern die je persönlich geprägten Spiritualitäten der caritativ Engagierten bestärken wollen und als "einen enormen geistlichen Erfahrungsschatz der Suche nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit" bezeichnen. Sie schließen diese Überlegungen mit der Hoffnung, dass dieser spirituelle Schatz auch in Gottesdienst und Verkündigung eingebracht werde, und weisen mit Alfred Delp12 der Kirche die Rückkehr in die Diakonie.
Von der gelebten caritas her kann auch dieses Hirtenwort der deutschen Bischöfe ein besonderer Schatz werden: Wenn es tatsächlich von den Diözesen, Gemeinden und Caritasverbänden und allen caritativ Engagierten kreativ aufgenommen wird; vor allem aber in dem Maße, in dem mit ihm gelingt, dass in der Berufung zur caritas "die ganze christliche und kirchliche Existenz zentriert" (6.) wird in allen strukturellen Veränderungen des kirchlichen Lebens, die in diesen Jahren fällig sind. Immerhin äußern die Bischöfe die Absicht, "die Strukturen und Abläufe innerhalb der Kirche und aller ihrer Glieder an der Berufung zur caritas zu messen" (3.1). Am 16. Dezember 2009, kurz vor der Veröffentlichung dieses Bischofswortes, an dessen Entstehung er in Kommission XIII der Deutschen Bischofskonferenz mitgewirkt hat, starb Weihbischof Josef Voss, der solche Anliegen stets vorantrieb, seinem bischöflichen Leitwort von 1988 entsprechend: "Deus caritas est".
Dem Andenken von Weihbischof Josef Voss (9. März 1937-16. Dezember 2009)
Anmerkungen
1. "Berufen zur caritas" (Die deutschen Bischöfe, 91), hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2009; online: www.dbk.de/schriften/deutsche_bischoefe/hirtenschreiben/index.html. Das Bischofswort verwendet "caritas" mit Kleinbuchstaben für praktizierte Nächstenliebe (Agape), mit Großbuchstaben die spontanen und kirchlichen Formen des Liebeshandelns. Dieser Unterscheidung schließt sich der Autor an - "caritas" will jedenfalls die innere Form von "Caritas" sein.
2. "Mehr als Strukturen ..." : Neuorientierung der Pastoral in den (Erz-)Diözesen - Ein Überblick (Arbeitshilfen, 216 und 213), hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2007. Vgl. Kostka, Ulrike; Neher, Peter: Caritas in den neuen pastoralen Räumen, in: neue caritas Jahrbuch 2010, S. 27-31.
3. Wo nicht anders ersichtlich, beziehen sich die Zahlen in Klammern auf die Gliederung des Bischofswortes.
4. Caritas in veritate (29.6.2009), Nr. 5.
5. Caritas als Lebensvollzug der Kirche und als verbandliches Engagement in Kirche und Gesellschaft (Die Deutschen Bischöfe, 64), hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1999.
6. Vgl. Merklein, Helmut (2000): Jesus, Künder des Reiches Gottes, in: Kern, Walter; Pottmeyer, Herrmann Josef; Seckler, Max (Hrsg.): Handbuch der Fundamentaltheologie. Traktat Offenbarung Bd. 2, Tübingen : Francke Verlag (2000), S. 115-139.
7. Caritas und Sozialethik, Paderborn: Schöningh 1996.
8. Vgl. Caritas unter dem Anspruch Jesu. In: Die neue Ordnung 54 (2000), S. 105-122, hier: 108 (Fn. 19).
9. Sacramentum caritatis, Nr. 88.
10. Vgl. Thomann, Christoph; Schulz von Thun, Friedemann: Klärungshilfe 1 : Handbuch für Therapeuten, Gesprächshelfer und Moderatoren in schwierigen Gesprächen. Reinbek : Rowohlt 1988/2003, S. 364f.
11. Vgl. Bachmair, Sabine et al.: Beraten will gelernt sein : Ein praktisches Lehrbuch für Anfänger und Fortgeschrittene. 9. Aufl., Weinheim/Basel : Beltz 2008; Nestmann, Frank; Engel, Frank; Sickendieck, Ursel (Hrsg.): Das Handbuch der Beratung. 2 Bde., 2. Aufl., Tübingen : DGVT 2007.
12. Der Jesuit Alfred Delp (*1907, hingerichtet von den Nazis 1945) war Mitglied des Kreisauer Kreises im Widerstand gegen den Nationalsozialismus.