Marktfähig bleiben heißt mitarbeiterorientiert sein
Die Wettbewerbsfähigkeit in der Altenhilfe wird zukünftig nicht nur von der Nachfrage der Kund(inn)en abhängen. Wesentlich wird auch die Frage sein, ob es gelingt, Menschen zu finden, die sich bewusst für die Arbeit in der Altenhilfe entscheiden. Die mangelnde Attraktivität als Arbeitgeber für gegenwärtige und zukünftige Mitarbeitende ist ein Risiko, das erst nach und nach ins Bewusstsein rückt.
Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass es in der Altenhilfe zunehmend schwieriger wird, Fach- und Führungskräfte zu finden, zu gewinnen und langfristig zu binden. Da ist zum einen der demografische Wandel. Dieser führt zu einer fast paradoxen Situation: Denn was einerseits die Nachfrage in der Altenhilfe beschert, stellt auf der anderen Seite eine Bedrohung dar, wenn fraglich wird, ob es noch genügend Menschen gibt, die sich für eine Arbeit in der Altenhilfe interessieren.1 Zum anderen ist eine Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit zum Beispiel von Müttern mit (kleinen) Kindern oder von alleinerziehenden Müttern zu verzeichnen. Mit diesem Trend einher geht der Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf - auch bei Vätern.
Gute Atmosphäre macht den Arbeitsplatz wertvoll
These 1: Vorausschauende Personalpolitik ist hinschauende Personalpolitik. Sie nimmt die Motivationsstruktur der Mitarbeiter(innen) in der Altenhilfe ernst.
Es sind die Beziehungen, die Arbeitsatmosphäre und die Achtung der Selbstständigkeit, die einen Arbeitsplatz wertvoll machen. Dies bestätigen deutschlandweit die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragungen des Verbands katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD).2 In diesen Ergebnissen wird unter der Frage "Welche Punkte gefallen Ihnen an Ihrer Arbeitssituation?" am häufigsten das Arbeitsfeld genannt: "Dass ich Menschen helfen kann" sowie "Dass ich eine sinnvolle, abwechslungsreiche und verantwortungsvolle Tätigkeit habe", gefolgt von Aussagen zur Organisation: "Dass ich selbstständig arbeiten kann. Dass ich die Möglichkeit habe, mir meine Zeit selbst einzuteilen." Darauf folgt die Wertschätzung des menschlichen Umgangs mit Kolleg(inn)en: "Dass ich ein gutes Verhältnis zu meinen Kolleg(inn)en habe. Dass wir uns gegenseitig vertrauen."
Diese Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Berufswahl der Mitarbeiter(innen) in der Altenhilfe durch den Wunsch bestimmt ist, Menschen helfen zu wollen und in Beziehung mit anderen Menschen zu treten. In der Praxis wird jedoch häufig deutlich, dass diese Wünsche auf einen Berufsalltag treffen, in dem es wenig Zeit für menschliche Begegnungen gibt, in dem Rollen und Leitbild unklar sind. Oberkirchenrätin Cornelia Coenen-Marx hat zu diesem Umstand in einem Vortrag auf der Messe "Pflege und Reha" im Jahr 2008 darauf hingewiesen: "Ein Indiz dafür, dass der Berufsalltag in der Pflege aus dem Lot geraten ist, ist die Diskrepanz zwischen der Berufsmotivation der Berufseinsteiger und den Gründen, die Pflegekräfte dazu bewegen, diesen Beruf wieder aufzugeben."3 Dies betrifft nicht nur die äußere Kündigung, sondern auch die innere.
Fatale Botschaft: "Das, was du tust, ist falsch"
These 2: Vorausschauende Personalpolitik weiß um die Gefahren der extremen Fremdbestimmung und der institutionellen Entfremdung der Mitarbeiter(innen).
Das berufliche Handeln der Mitarbeiter(innen) in der Altenhilfe ist durch eine extreme Fremdbestimmung geprägt. Im Sinne des Verbraucherschutzes ist Kontrolle ohne Zweifel notwendig. Problematisch wird es, wenn Mitarbeitenden ständig vermittelt wird, dass das, was sie machen, nicht richtig ist. Die Folgen sind fatal: Der Blick geht weg vom Kunden hin zur Kontrollbehörde. Es kommt damit zu dem, was einmal als das "Kanalarbeitersyndrom" bezeichnet worden ist: Dadurch, dass ich mich immer mit dem "Letzten" befasse und permanent vermittelt bekomme, dass ich etwas falsch mache, fühle ich mich auch zunehmend als das "Letzte". Mit dieser Haltung wird das Image der Pflege in der Öffentlichkeit auch von Pflegenden in dieser Richtung geprägt.
Neben der externen Fremdbestimmung besteht die Gefahr, dass sich die Mitarbeitenden durch die Institutionalisierung der Einrichtungen und Träger ihrer Arbeit entfremden. Selbstverständlich ist eine gewisse betriebswirtschaftliche Größe im Wettbewerb notwendig. Gefährlich wird es, wenn Wachstum und Größe zum Selbstzweck werden. Der Managementtheoretiker Reinhard Sprenger hat dies für den Profit-Bereich einmal so zusammengefasst: "Nicht erst in Zeiten der Großfusion sind Gefühle der Macht- und Einflusslosigkeit eine der größten Bedrohungen für Vertrauen. In unüberschaubaren, jedes menschliche Maß vermissen lassenden Organisationen verkümmern die letzten Reste von Vertrauen. Es kommt zu ,Ich-Die‘-Unterscheidungen, die eine Verantwortungsübernahme für den Erfolg des Ganzen nahezu unmöglich machen. ,Rädchen-im-Getriebe-Gefühle‘ und ,Was-soll-ich-denn-schon-bewegen-können‘-Einstellungen sind die Folgen erlebter Bedeu- tungslosigkeit des eigenen Beitrags. Darüber hinaus wachsen Anonymität, Beziehungslosigkeit und Hierarchie."4 Diese Entwicklungen sind inzwischen auch in Non-Profit-Organisationen angekommen: Es kommt zu einem Verlust der emotionalen Heimat am Arbeitsplatz und zu einer Entfremdung vom Arbeitgeber.
Arbeit muss Sinn machen
These 3: Vorausschauende Personalpolitik versucht die institutionelle Entfremdung zu überwinden: durch sinnvolle Arbeit und eine von Vertrauen geprägte Organisationskultur.
Dort, wo Menschen erfahren, dass ihre Arbeit Sinn macht, brauchen wir nicht über äußere Motivation zu reden. Sinnvolle Arbeit entsteht dadurch, dass die Mitarbeiter(innen) etwas zurückbekommen und nicht nur geben, dass sie Handlungs- und Entscheidungsspielräume haben und Verantwortung übernehmen können. Daraus entsteht innere Motivation, die dauerhaft und belastbar ist, weil sie von inneren Wertvorstellungen gespeist wird.
Im Marketing heißt es: "Wettbewerb in der Altenhilfe ist Wettbewerb um Vertrauen" - Wettbewerb um Vertrauen der Kund(inn)en und um Vertrauen der aktuellen und potenziellen Mitarbeiter(innen). Es ist nicht mehr nur das Unternehmen, das seine Mitarbeitenden auswählt. Zukünftig suchen sich vor allem die potenziellen Mitarbeiter(innen) das Unternehmen aus, und zwar in dem Maß, in dem sie überzeugt sind, dass sie hier ihre Wertvorstellungen umsetzen und ihre Bedürfnisse befriedigen können.
Caritas und ihr christliches Profil
These 4: Vorausschauende Personalpolitik basiert auf einem christlichen Verständnis von Arbeit.
Der Hinweis auf die Bedeutung von sinnvoller Arbeit und der wertschätzenden Organisationskultur hat auch eine spirituelle, eine theologische Dimension. Papst Johannes Paul II. hat in seiner Enzyklika "Laborem exercens" darauf hingewiesen, dass nach christlichem Verständnis Arbeit eine zweifache Bedeutung hat: Sie soll zum einen "gute Früchte bringen", das heißt, einen Nutzen für andere schaffen, und sie soll zum anderen dafür sorgen, dass der Mensch "in der Arbeit mehr Mensch wird"5. Hier liegt der Schlüssel für ein alternatives Handeln als Führungskraft und für eine Andersartigkeit als Caritas-Unternehmen, denn an diesem Punkt kommen Kundenorientierung und Mitarbeiterorientierung zusammen: Arbeit soll für andere Früchte bringen - und sie soll dazu beitragen, selbst immer mehr Mensch zu werden. Dies bietet zudem die Grundlage für den Einsatz ausgewählter Personalentwicklungs- und Personalmarketinginstrumente: Es geht zuerst um die Haltung, dann um die Instrumente.
These 5: Vorausschauende Personalpolitik weiß, dass die Instrumente des internen und externen Personalmarketings in die Gesamtstrategie des Unternehmens integriert sein müssen und langfristig auf einer Organisationskultur aufbauen, die von Vertrauen und Wertschätzung geprägt ist.
Führungskräfte haben einige Stellschrauben, mit denen sie erfolgreich organisationsintern Einfluss nehmen können. Die erste ist die Entwicklung zukunftsfähiger Konzepte anhand der Bedürfnisse der Kund(inn)en, die zweite die betriebswirtschaftliche Steuerung der Einrichtungen und die dritte die Personalpolitik, die Personalführung und die Personalentwicklung - und damit mögliche Instrumente des internen und externen Personalmarketings. Für die Altenhilfe haben sich aus dem Fundus der internen Instrumente insbesondere systematisch und langfristig geplante Fort- und Weiterbildung, Karriere- und Nachfolgeplanung, regelmäßiges Vorgesetztenfeedback innerhalb standardisierter Gespräche mit der Führungskraft sowie flexible und familienfreundliche Arbeitszeitmodelle bewährt.
Aus der Vielzahl der möglichen externen Personalmarketinginstrumente, die für die Altenhilfe besonders geeignet sind, seien ebenfalls einige Beispiele genannt: Pflege des Kontakts zu Bildungseinrichtungen im Gesundheitswesen, Teilnahme an Jobmessen, Entwicklung und Einhaltung eines Verhaltenskodexes gegenüber Bewerber(inne)n und die Teilnahme an externen Wettbewerben und Audits, wie beispielsweise dem Audit Beruf und Familie.
Aus all den Beispielen und andiskutierten Thesen ist sicherlich deutlich geworden, dass hier die Kraft eines Trägerverbunds von Vorteil ist, beispielsweise, um das Markenimage zu nutzen oder langfristige Karriere- und Nachfolgeplanung im Verbund anzugehen.
Das Ziel ist es, Mitarbeiter(innen) langfristig an das Unternehmen zu binden. Voraussetzung dafür ist, dass die zu diesem Zweck eingeleiteten Schritte nicht einzeln gesehen werden, sondern eingebettet sind in eine mitarbeiterorientierte und wertschätzende Unternehmenskultur, bei der sich die Führungskräfte um die Belange der Mitarbeiter(innen) kümmern und Rahmenbedingungen schaffen, unter denen gerne gearbeitet wird. Vorausschauende Personalpolitik ist und bleibt eine nicht delegierbare Führungsaufgabe - um zukünftig am Markt erfolgreich zu sein.
Anmerkungen
1. Vgl. dazu die Aussage von Klaus Helm, Pressesprecher der Agentur für Arbeit Villingen-Schwenningen, am 17. April 2009 im Schwarzwälder Boten: "Sobald die Krise vorbei ist, beginnt der Kampf um jeden Auszubildenden und jede Auszubildende."
2. VKAD (Hrsg.): Gesamtbericht Mitarbeiterbefragungen 2003-2005. Freiburg, 2006.
3. Coenen-Marx, Cornelia: Gute Pflege genügt uns nicht. Vortrag beim Pflegeforum von Caritas und Diakonie in Stuttgart am 8. April 2008.
4. Sprenger, Reinhard: Vertrauen führt : Worauf es im Unternehmen wirklich ankommt. Frankfurt, 2002, S. 145 ff.
5. Johannes Paulus pp. II.: Laborem exercens. Rom, 14. September 1981. Vgl. dazu Reber, Joachim: Mitarbeiterseelsorge, spirituelle Bildung und spirituelle Kultur : Theologische Anmerkungen. In: Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart (Hrsg.): Der Geist der Caritas trägt und bewegt : Caritas-Spiritualität in karitativen Verbänden, Diensten und Einrichtungen. Stuttgart, 2008, S. 14.
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Personalführung (DGFP) e.V. (Hrsg.): Retentionmanagement : Die richtigen Mitarbeiter binden. Grundlagen, Handlungshilfen, Praxisbeispiele. Düsseldorf, 2004.
Müller, Thomas; Volz-Neidlinger, Martin: Qualifizierte Fach- und Führungskräfte in der Altenhilfe finden, gewinnen und binden : Personalmarketing als entscheidendes Erfolgskriterium. In: Altenheim 1/2009, S. 14-18.