Konsumbewusste Erziehung ist möglich
In der Landeshauptstadt München sind relativ viele Haushalte verschuldet. Grund genug für die Stadt, im Herbst 2003 neue Präventionsprojekte ins Leben zu rufen, die die Konsum- und Finanzkompetenz in Familien fördern sollen. Helga Gabler vom Caritas-Zentrum München-Innenstadt war es ein besonderes Anliegen, dieses Thema bereits in der frühkindlichen Entwicklung anzusiedeln - mit der Projektidee "Süßes Leben - überquellende Kinderzimmer". Die Sozialpädagogin arbeitet seit Jahren in der Schuldner- und Insolvenzberatung der Caritas; früher auch als Erzieherin in einem Kindergarten. Aus dieser beruflichen Kombination und durch die Erfahrungen mit verschuldeten Familien entstand der Vorschlag. Er wurde vom Münchener Stadtrat angenommen und zunächst für zwei Jahre finanziert. Aufgrund der hohen Nachfrage und des anhaltenden Erfolges ist das Projekt in die Regelförderung der Landeshauptstadt übernommen worden.
Seit dem Projektstart im März 2005 haben jährlich rund 20 Elternabende stattgefunden. Die Nachfrage war in manchem Jahr höher als die Kapazitäten. Um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, werden sowohl die Eltern als auch die Erzieher(innen) in die Arbeit mit einbezogen. Anfangs waren nur Elternabende in Kindergärten vorgesehen. Zwischenzeitlich wurde das Angebot auf Kinderkrippen und Schulhorte ausgeweitet. Dadurch können Eltern mit Kindern im Alter von einem bis zehn Jahre erreicht werden.
Den Eltern soll bewusst werden, wie wichtig ihre Rolle als Vorbild für ihre Kinder ist. Dazu ist es nötig, einen kritischen Blick auf das eigene Konsumverhalten zu werfen. Wie verhalte ich mich in Konflikt- und Stresssituationen? Gehe ich gleich in die Stadt und kaufe mir als "Tröster" zwei Paar Schuhe oder kann ich meine Probleme auch anders lösen?
Die Konsumentwicklung der vergangenen zwanzig Jahre zeigt klar, dass nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene unter hohem gesellschaftlichen Druck stehen. Ein Beispiel ist, wie heute Kindergeburtstage gefeiert werden. Es reicht vielfach nicht aus, mit ein paar Freunden, mit Spielen und selbst gebackenem Kuchen zu feiern, nein - es muss immer öfter ein großartiges Event sein. Zauberer, Clowns, ein gemietetes Schwimmbad oder vielleicht ein Kinobesuch; gerne auch ein richtig teurer Themengeburtstag im passendem Umfeld oder eine Feier auf dem Reiterhof für die ganze Klasse! Nicht zu vergessen, dass jedes Gastkind ein sogenanntes Dankeschön-Geschenk zum Abschied bekommt!
Mithalten um jeden Preis ist vielfach die Devise, und so setzen sich Familien häufig einem ausgeprägten Konsum-, Leistungs- und Förderwahn aus. Kinder müssen immer früher, immer schneller alles können und besuchen deshalb nicht selten bereits im Kindergartenalter drei bis vier Kurse pro Woche. Von Englisch bis Specksteinschnitzen, von Ballett bis Schlagzeug; es wird nichts ausgelassen, was die Kinder an der gymnasialen Reife scheitern lassen könnte. Für sich gesehen, mag jeder einzelne Kurs richtig gewählt sein. Die Angebote sollten sich aber an der Neigung und Begabung des Kindes orientieren. Wöchentlich ein bis maximal zwei Kurse sind vollkommen ausreichend, auch bis weit ins Schulalter hinein.
Ein afrikanisches Sprichwort besagt: "Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht!" Kinder brauchen Zeit, um eigene Erfahrungen und Einsichten zu gewinnen und Zeit, um diese auch verarbeiten zu können. Eltern und Erziehende sollten die Räume für diese Entwicklung bereitstellen.
Zu viele Konsumartikel machen nicht glücklich
Permanente "Bespaßung" und Überhäufung mit Konsumartikeln machen weder glücklich noch selbstbewusst. Studien1 haben belegt, dass eine starke Konsumorientierung und die Wichtigkeit von Markenartikeln besonders bei Kindern und Jugendlichen auftreten, die frühkindlich kein gesundes Selbstwertgefühl beziehungsweise Selbstbewusstsein entwickeln konnten.
Neben der sozialen ist auch die ökologische und die ökonomische Bildung wichtiger Bestandteil des Präventionsangebots. Mit den Eltern wird über den schonenden Umgang mit Ressourcen gesprochen. Läuft beim Zähneputzen ständig das Wasser oder dreht man den Wasserhahn zwischendurch zu? Welcher Urlaub ist der richtige für die ganze Familie? Ab wann braucht man ein Handy? Dies alles kommt in Form einer Konsumbiografie zu Beginn der Veranstaltung zur Sprache. In Gruppenarbeit blicken die Teilnehmer(innen) in ihre eigene Kindheit zurück und beantworten entsprechende Fragen. Wie prägen diese Erfahrungen mein Verhalten heute? Welche Werte sind in den Familien wichtig, oder auch: Welche positiven Effekte lassen sich durch weniger Konsum erzielen? Die Ergebnisse der Gruppenarbeit stellen die Eltern selbst vor. In der anschließenden Diskussion verwandelt sich das Tabuthema Geld sehr oft in ein Thema, über das offen und ehrlich gesprochen wird.
Ziel ist, alle betroffenen Eltern zu erreichen
Die Eltern, die zu den Veranstaltungen kommen, suchen zum einen Bestätigung und Stärkung, zum anderen konkrete Ratschläge und Hilfestellungen. Über die Teilnehmer(innen) und das pädagogische Fachpersonal wird versucht, auch die Eltern zu erreichen, die nicht auf solche Veranstaltungen gehen. Sie geben als Multiplikator(inn)en die Inhalte der Elternabende weiter, durch ein positives Vorbild, aber auch durch veränderte Kindergartenkonzepte. Eltern können beispielsweise ein selbst gekochtes Essen anstatt einer Tiefkühlpizza oder einen Spielenachmittag ohne Fernsehen anbieten. Durch die Veranstaltung sensibilisierte Erzieher(innen) können in Elterngesprächen Probleme zu diesem Themenbereich deutlicher ansprechen. Ein ausführliches Skript bietet Gelegenheit, die Inhalte der Veranstaltung nachzulesen.
Kitas und Schulen sind als eine Art Zweitfamilie für viele Kinder und Jugendliche anzusehen. Die Verantwortung, die auf Erziehenden und Lehrern lastet, ist groß und sollte nicht nur ein Augenmerk auf die kognitive Entwicklung der Kinder haben. Künftig soll nicht allein durch die Erfahrungsberichte, sondern auch durch Vorgespräche in den Kitas der tatsächliche Hilfe- und Fortbildungsbedarf des Fachpersonals zu diesem Thema ermittelt werden. Bereits zum dritten Mal wird im Herbst 2009 am Pädagogischen Institut in München für Erzieher(innen) und Kinderpfleger(innen) der Landeshauptstadt München eine Fortbildung zum Thema Konsumerziehung und deren Einbindung in den konzeptionellen Alltag in den Kitas angeboten.
Das Projekt "Süßes Leben - überquellende Kinderzimmer" wurde über einen Zeitraum von zwei Jahren wissenschaftlich vom Institut für Grundlagen- und Programmforschung in München begleitet. Die Ergebnisse dieser Studie2 und die zahlreichen positiven Rückmeldungen aus den Kitas und der Eltern, bundesweite Anfragen und Einladungen zu Vorträgen bestätigen, dass dieses Präventionsangebot ein hochaktuelles Thema in unserer Gesellschaft aufgegriffen hat.
Anmerkungen
1. Lange, Elmar; Muck, Frank: Werkstatt Konsumpädagogik : Sozialwissenschaftliche Grundlagen und pädagogische Skizzen. Hoheneck Verlag, 1997, S. 14 ff.
2. Die Studie "Schuldenprävention in Kindergärten und Berufsschulen" ist nachzulesen unter: www.gp-f.com, Rubrik: Studien und Gutachten.