Familienorientierung geht alle Fachbereiche der Caritas an
Das Thema, mit dem sich das Projekt "Stark für Familien" des Deutschen Caritasverbandes (DCV) in den vergangenen drei Jahren beschäftigt hat, ist, auf einen kurzen Nenner gebracht: mehr Familienorientierung in den Diensten und Einrichtungen der Caritas.1
In manchen Arbeitsfeldern mag dieses Thema anmuten, als trüge man Eulen nach Athen: Familienorientierung ist dort integraler Bestandteil des Konzepts, Kund(inn)en und ihre Angehörigen werden selbstverständlich in die inhaltliche Planung, in die Gestaltung und Auswertung von Angeboten einbezogen. Auch der äußere Rahmen stimmt: Öffnungszeiten sind den Zeitbedürfnissen von Familien angepasst, während Veranstaltungen gibt es eine Kinderbetreuung, und einmal wöchentlich findet Beratung im nahe gelegenen Stadtteilzentrum statt. Andernorts - vor allem in Arbeitsbereichen, die wenig direkten Bezug zur Zielgruppe "Familie" oder zu den Angehörigen ihrer Klientel haben - stellt sich hingegen häufiger die Frage: Was bedeutet Familienorientierung konkret für unsere Arbeit? Wie können wir mehr Familienorientierung praktisch umsetzen?
Im Projekt "Stark für Familien" hat sich eine Arbeitsgruppe mit dieser Fragestellung befasst und das "1x1 der Familienorientierung" entwickelt, das nun nach Konsultation mit den Diözesan-Caritas- und den Fachverbänden vorliegt (s. Info-Kasten in neue caritas Heft 1472008, Seite 18). Basierend auf den Qualitätsgrundsätzen2 des DCV, konkretisiert und ergänzt die Handreichung bestehende Qualitätsleitlinien und -rahmenhandbücher verschiedener Fachbereiche. Sie soll den Blick dafür schärfen, bei der Angebotsentwicklung von Diensten und Einrichtungen nicht nur die direkten Nutzer(innen), sondern auch deren familiäres Bezugssystem zu integrieren. Um Praktiker(inne)n und Planer(inne)n eine Arbeitshilfe zu bieten, ist das "1x1 der Familienorientierung" mit Prüf- und Praxisindikatoren unterlegt: Dieses Instrumentarium hilft bei der Selbstevaluation, wenn es darum geht, wie Familienorientierung als fachübergreifendes Qualitätsmerkmal in der sozialen Arbeit umgesetzt werden kann.
Was sind Merkmale von Familienorientierung, an die sich Dienste und Einrichtungen der Caritas halten können? Zunächst einmal gehört dazu eine konsequente Ausrichtung von Angeboten und Arbeitsstrukturen an den Bedarfen, die Familien je nach Familienphase, ökonomischer Situation und soziokulturellem Milieu haben. Dafür braucht es systematische Bedarfsanalysen - diese sollten auch Familien im Umfeld einbeziehen, die bisher noch keine Nutzer sind. (Selbst-)Evaluationen zeigen, inwieweit bisherige Angebote tatsächlich die Bedarfe der Zielgruppe(n) treffen und wo nachjustiert werden muss. Bisher werden Methoden der Bedarfsermittlung und Evaluation in der Praxis immer noch zu wenig eingesetzt.
Stützendes lokales Umfeld
Sozialräumliche und lebensweltorientierte Arbeitsansätze bieten hier sowohl methodisch als auch inhaltlich einen Zugang. Denn Familienleben findet hauptsächlich in der Gemeinde, in der Stadt, im Stadtteil statt. Eine bedarfsgerechte Infrastruktur ist vor allem bei eingeschränkter Mobilität - sei es bei Familien mit kleinen Kindern, bei alten oder behinderten Menschen oder bei Familien mit schmalem Geldbeutel - wichtig für ein gelingendes Alltagsmanagement. Unterstützungsnetzwerke im direkten Umfeld zu knüpfen, verlangt aber in der Regel beträchtlichen persönlichen Aufwand, den gerade Familien in prekären Lebensverhältnissen oft kaum leisten können. Für sie sind - im Sinne von Empowerment - lebensraumorientierte Angebote mit der Möglichkeit, eigene soziale Netzwerke zu knüpfen, umso wichtiger. Für Dienste und Einrichtungen bedeutet das, sich für ihr lokales Umfeld zu öffnen: Sie sollten ihre Angebote als Teil der dortigen sozialen Infrastruktur sehen und die Weiterentwicklung vorhandener Ressourcen im lokalen und familiären Umfeld ihrer Klientel unterstützen. Am besten gelingt dies durch vernetztes Arbeiten und durch die Einbeziehung spezialisierter Angebote zu integrierten Dienstleistungen: So zum Beispiel durch die Schuldnerberatung, die neben weiteren Beratungs- und Gruppenangeboten im wohnortnahen Gemeinde- oder Familienzentrum stattfindet.
Einladend gestaltete Angebote
Angebote für Familien müssen niederschwellig sein - inhaltlich, räumlich und zeitlich, so dass Familien leicht, schnell und unbürokratisch einen Zugang finden. Gerade in ländlichen Gemeinden mit einer schwachen Infrastruktur erfordert dies viel inhaltlich-organisatorische Fantasie. Dass auch hier über Kita, Schule oder Pfarrgemeinde viel für Familien getan werden kann, belegt zum Beispiel das Caritas-Familienbüro in Schmitten (s. Kasten in neue caritas Heft 14/2008, S. 18). Familien suchen vor allem konkrete lebens- und alltagspraktische Unterstützung und Entlastung - und zwar in einem Rahmen, der zunächst einmal nicht als verbindlich, geschweige denn als stigmatisierend empfunden wird. Keiner will schließlich ein "Fall" sein. Offene und präventive Angebote lassen Freiräume, ermöglichen den Aufbau vertrauensvoller Beziehungen zwischen Mitarbeitenden und Ratsuchenden. Damit öffnen sie auch Türen für die passgenaue Weitervermittlung an Fachdienste.
Ehrenamtliche - ein Schatz, der Pflege braucht
Die Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen und freiwillig Engagierten bietet Familien das, was hauptamtliche Mitarbeiter(innen) in der Regel zu wenig haben: Zeit. Kein Wunder also, dass sich Patenschaftsprojekte innerhalb der Caritas einer zunehmenden Beachtung erfreuen.3 Die Pat(inn)en stehen innerhalb eines vereinbarten Zeitrahmens regelmäßig, zum Beispiel für zwei Stunden pro Woche oder 14-täglich, zur Verfügung. Sie können sich in dieser Zeit ganz auf die Bedürfnisse des "Patenkinds" oder der "Patenfamilie" einlassen - sei es bei der Hausaufgabenhilfe, bei der Versorgung von Säuglingen und Kindern, bei Behördengängen oder beim Besuch im Krankenhaus.
Zeit, zwischenmenschliche Nähe, geringe Kosten und bedarfsgerechte alltagspraktische Unterstützung - das macht Patenschaftsprogramme so interessant, sowohl für Familien wie auch für soziale Dienste und Einrichtungen als ergänzendes Angebot. Darüber gerät mancherorts in Vergessenheit, dass für die Aufgaben der Ehrenamtlichen/Freiwilligen genügend finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden müssen - für Kosten, die den Pat(inn)en entstehen, für inhaltliche Begleitung und Fortbildung. Aufgrund der Bedeutung, die ehrenamtliches und freiwilliges Engagement für die soziale Arbeit mit Familien hat, ist diesem Thema im "1x1 der Familienorientierung" ein eigenes Kapitel gewidmet.
Mehr Präsenz zeigen
Die Caritas muss mit ihren vielfältigen familienunterstützenden Angeboten mehr Präsenz im Alltag der Menschen zeigen - das hat das Projekt "Stark für Familien" deutlich gemacht. Öffnung der Dienste und Einrichtungen ins Gemeinwesen ebenso wie fachbereichsübergreifende Vernetzung in der Caritas, stärkere Partizipation und Befähigung von Menschen zur selbstbestimmten Teilhabe sind die Schlüsselwörter- dazu muss der Mensch in seinen sozialen Bezügen, seinen existierenden oder auch fehlenden familiären Netzen und Verpflichtungen, im Mittelpunkt stehen.
Das Konzept "1x1 der Familienorientierung" bietet Kriterien und Handlungsansätze dafür, wie sozialräumlich-lebensweltliche Bezüge in der Angebotsge- staltung hergestellt und Angebote so vernetzt und integriert werden können, dass sie passgenau auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Zielgruppen abgestimmt sind. Es gibt konkrete Anhaltspunkte, wie niederschwellige Angebote umgesetzt werden und wie das Methodenrepertoire, zum Beispiel in der Beratung4, weiterentwickelt werden kann.
Im Verlauf des Projekts wurde aber auch offensichtlich, dass in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Caritas in den vergangenen Jahren vieles in Bewegung gekommen ist, um Familienorientierung noch mehr als bisher zu verwirklichen, sei es in der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, in der Behinderten- oder Altenhilfe. Der Ideenwettbewerb "Stark für Familien", der im Jahr 2007 im Rahmen des Projekts bundesweit durchgeführt wurde, hat eine Fülle an innovativen und beispielgebenden Projekten und Handlungsansätzen aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Caritas erbracht. Unter www.caritas.de/ideenboerse-familie sind sie künftig zu finden (s. Info-Kasten in neue caritas Heft 14/2008, S. 18) Die Ideenbörse Familie vernetzt und informiert hauptberufliche, ehrenamtliche oder freiwillige Mitarbeiter(innen) der Caritas zu Themen und Projekten "rund um die Familie". Ihre Projektdatenbank zeigt: Familie ist ein Querschnittsthema, das alle Arbeitsbereiche angeht. Daher wird das Referat Familie und Generationen des DCV das Anliegen "Stark für Familien" im Rahmen seiner Regelaufgaben weiterverfolgen.
Anmerkungen
1. Vgl. neue caritas Heft 16/2007, S. 13 f.
2. Eckpunkte für Qualität der verbandlichen Caritas. Beschluss des Zentralrats des DCV, Freiburg i. Br., 28. Januar 2003.
3. Beim Ideenwettbewerb "Stark für Familien" des DCV im Jahr 2007 waren unter den acht prämierten Projekten zwei Familienpatenschaftsprogramme. Das Referat Migration und Integration des DCV hat anlässlich der 12. Honnefer Migrationstage 2007 eine "Auswertung der Patenschaftsprojekte der Dienste und Einrichtungen der Caritas für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund" vorgelegt. Deren Ergebnisse sind weitgehend auf Familienpatenschaften übertragbar. In der Befähigungsinitiative des DCV wurde eine Fülle von Ausbildungspatenschaften und Mentoren-Programmen für Kinder und Jugendliche bundesweit identifiziert (vgl. die Rubrik Projektdatenbank unter www.befaehigungsinitiative.de mit Suchmöglichkeit auch nach Kategorien).
4. Schuster, Eva: Hausbesuche sind oft der einzige Zugang. In: neue caritas Heft 16/2007, S. 15-17.