Caritas stellt die Antennen auf Empfang
"Unternehmerisches Handeln", "Solidarität", "Anwaltschaftlichkeit" - das sind große Begriffe, die eine umfassende ethisch-religiöse Abhandlung verdienen. Caritasunternehmen sehen diese Begriffe jedoch zunächst einmal aus der Perspektive des Alltags in einem kirchlichen Unternehmen. Denn es ist der Alltag, der sie jeden Tag vor Herausforderungen stellt, und es ist der Alltag, in dem sich immer wieder aufs Neue erweist, ob und wie man dem Anspruch, der in diesen Begriffen mitschwingt, gerecht wird.
Auch wenn sich im Bereich der Unternehmensführung vieles verändert hat - das Spannungsfeld, in dem sich Caritasunternehmen bewegen, ist gleich geblieben: Es ist die Spannung zwischen dem kirchlichen Auftrag als Anbieter für Kund(inn)en und Klient(inn)en, dem Anspruch der Anwaltsfunktion für bedürftige Menschen und dem großen Ziel, Solidarität in dieser Welt zu stiften. Dies ist Auftrag und Anspruch zugleich. Es scheint fast als Anmaßung, all diese Erwartungen erfüllen zu wollen.
Beispiele aus der Altenhilfe:
Hilfe nur für Wohlhabende?
Kirchliche Anbieter sind oft die teuersten. Die günstigen Anbieter sind die privaten, oftmals mit geringerem Standard. Dieses Dilemma zeigt sich auch in der Altenhilfe der Caritas: Sie hat hohe Standards, hohe Personalkosten und damit auch einen hohen Preis. Aber damit können sich die Ärmeren diese Angebote nicht mehr leisten. Dabei will die Caritas doch gerade für diese Menschen da sein. Doch die Gesellschaft bringt die notwendige Solidarität nicht auf, allen, auch sozial schwächeren Menschen, Zugang zu vergleichbaren Angeboten zu schaffen. Damit wird die Caritas ihrem Anspruch nicht gerecht. Anders formuliert:
Nur wer den Preis bezahlt, erfährt Hilfe und profitiert von der Kompetenz der Caritas. Ausgerechnet jene alten Menschen, die ein Leben lang ihrer Kirche verbunden waren und die nun Hilfe nötig haben, lässt die Caritas im Stich. Dies stellt das Handeln der Caritasunternehmen infrage und lässt an der Caritasarbeit zweifeln.
Caritas muss auf Veränderungen am Markt reagieren
Menschen benötigen vorübergehend Hilfe, zeitlich begrenzt oder befristet. Derzeit stehen für rund 1,5 Millionen ambulant versorgte pflegebedürftige Menschen nur 33.000 Kurzzeitpflegeplätze zur Verfügung. Hier ist ein riesiges Potenzial nicht genutzt. Nur - wie kann es richtig genutzt werden? Indem einfach mehr Kurzzeitpflegeplätze eingerichtet werden? Oder gilt es nicht eher, sich von dem strengen Begriff Kurzzeitpflege zu lösen? Das könnte etwa eine Hinwendung zu alternativen Angeboten und neuen Wohnformen bedeuten, beispielsweise Gästezimmer, Pflegewohnungen, Verhinderungspflege. Es könnte auch Kooperationen mit Kliniken oder mit der Behindertenhilfe beinhalten. Es gilt, sich diesem neuen Markt zuzuwenden und sich auf neue Angebote einzulassen, auch dann, wenn sie traditionellen Vorstellungen nicht entsprechen.
Die Sozialstation bildet ein Herzstück der Gemeinden
Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen steigt rasant. Sind es heute etwa 1,9 Millionen Menschen, so werden es im Jahr 2030 voraussichtlich über drei Millionen sein. Parallel dazu wünschen sich fast alle Menschen, möglichst lange in ihrer vertrauten Umgebung zu bleiben. Dies kann den Sozialstationen ein ganz neues Aufgabenfeld erschließen und ein neues Profil ermöglichen. Neben den bisherigen Pflegeleistungen müssen viel mehr niederschwellige Angebote bereitgestellt werden, wie etwa Hilfe im Haushalt, Beratung, Begleitung und vieles mehr. Viele Sozialstationen haben sich bereits auf diesen Weg gemacht. Aber diese neue gewandelte, erweiterte Sozialstation braucht die Verbindung zur örtlichen Caritas und zu den Kirchengemeinden. Wenn hier Aufgaben, Hilfen und Dienste neu konzipiert und verknüpft werden, können auch neue Formen entstehen. Damit werden Menschen mit ihren Bedürfnissen in die Mitte genommen und unterstützt, so dass sie auch weiterhin Teil ihrer Gemeinde sein können.
Natürlich ist bei allen Beispielen auch die Finanzierung eine zentrale Frage. Sie ist meist zu niedrig oder falsch. Tatsache aber ist: Die öffentlichen Kassen sind überschuldet, Sozialsysteme sind gefährdet und Realeinkommen sinken. Angesichts dessen ist es eine der größten Herausforderungen, hier immer wieder Möglichkeiten der Finanzierung zu finden und diese auch zu sichern. Vor diesem Hintergrund stellen sich immer wieder folgende Fragen:
- Wie erreichen die Angebote alle Interessent(inn)en, auch die mit schmaler Brieftasche?n
- Wie kommen Caritasunternehmen zu wirtschaftlich vertretbaren Ergebnissen?
- Ist die Bereitschaft der Solidargemeinschaft tatsächlich am Ende?
- Was müssen Caritasunternehmen verändern? Wie müssen sie sich selbst verändern?
Die Qualitätsdiskussion ist zu kurz geraten
Wohl die meisten Caritasunternehmen haben sich intensiv mit Qualitätsmanagement (QM) beschäftigt, manchmal freiwillig, oft gezwungenermaßen. Es ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn Unternehmen ihre Prozesse analysieren, strukturieren und beschreiben. Unternehmen werden geordnet. Zumindest theoretisch entstehen mehr Klarheit und Verbindlichkeit.
Aber nicht nur die Idee, auch die Systeme stammen aus der Wirtschaft. Die QM-Systeme - häufig nach DIN ISO 9000 ff. - orientieren sich an standardisierten Normen.
Bei allen positiven Impulsen bleibt die gesamte QM-Diskussion jedoch oft an der Oberfläche. Selbst die vorangestellten Leitbilder bleiben allgemein und führen oft zu vielen Floskeln. Werden diese dann im Alltag angewandt, erweisen sie sich oft als eher hinderlich und manchmal sogar kontraproduktiv. In Caritasunternehmen tauchen immer weniger theologische Themen und Grundsätze auf, noch weniger theologische Maßstäbe. Die Unternehmen der Caritas bewegen sich fast nur noch im Ökonomischen, die Wirtschaft hat Sprache und Handeln besetzt. Qualität wird nicht im theologischen Kontext beschrieben. Diese Thematik muss im Forum für Caritasunternehmen Raum bekommen. Wenn die Caritas sich dem nicht selbst stellt, werden andere sie mit dieser Frage konfrontieren.
Zusammenführen und Solidarität fördern
Über viele Jahrzehnte wurden Hilfen und Dienste entwickelt und aufgebaut. Böse Zungen behaupten, für jedes Problem wäre eine eigene Einrichtung geschaffen worden. Gleichsam wie in einem Setzkasten sind Hilfsangebote entstanden: Hoch spezialisiert und -differenziert, aber oft einfach nebeneinander und mehr auf das Besondere gerichtet, weniger auf das Gemeinsame. Vor lauter Spezialisierung ist der gesamte Mensch sozusagen aus dem Rahmen gerutscht. Damit wurde, zumindest unbewusst, dazu beigetragen, dass die Menschen auseinandergehen und weniger zusammengeführt werden.
Wird es in der Zukunft diese vielen einzelnen Einrichtungen überhaupt noch geben? Oder werden nicht vielmehr multifunktionale Zentren die notwendigen Hilfen und gewünschten Dienste erbringen und steuern? Diese Veränderung wird Caritasunternehmen wesentlich treffen und vor ganze neue Aufgaben stellen. Eine dieser Herausforderungen und ihre Konsequenzen sind bereits an vielen Stellen spürbar - unter anderem die Frage der Konkurrenz. Caritasunternehmen stehen nicht nur in starker Konkurrenz zu Nicht-Caritasunternehmen, sondern auch im Wettbewerb untereinander. Aber darüber hinaus werden auch zunehmend Konkurrenzsituationen auftreten, die sich abspielen zwischen Caritasunternehmen, der verbandlichen Caritas und den Kirchengemeinden. Diese Konkurrenz wird inzwischen an vielen Stellen sichtbar. Aber nur in wenigen Fällen wurden Formen der konstruktiven Neugestaltungen und des Zusammenwirkens gefunden. Dies wird aber eine Schlüsselfrage für den Erfolg in der Zukunft werden. In der Pädagogik spricht man von Inklusion, das heißt Vielfalt in der Einheit - ein zutiefst christlicher Ansatz.
Dieser Gedanke hat auf Caritasunternehmen Auswirkungen. Wer zusammenführen und integrieren will, der muss auch den Blick auf die Gesamtheit richten. Wer ist heute bedürftig? Sind es nur die Menschen im hohen Alter, die Kranken oder die, die aus der gesellschaftlichen Ordnung herausfallen? Oder sind es vielleicht auch Menschen oder Gruppen, deren Bedürftigkeit wir heute noch gar nicht richtig erkennen?
Der Bund Deutscher Katholischer Jugend hat gemeinsam mit anderen eine neue Sinus-Studie in Auftrag gegeben. Sie hat unter anderem zutage gefördert, dass es in allen Jugendmilieus in Deutschland eine große Sehnsucht nach Spiritualität und Sinn gibt, dass sich die Mehrheit der Jugendlichen aber von der Katholischen Kirche distanziert. Dieses Ergebnis ist sicher von Bedeutung für die Zukunft der kirchlichen Jugendarbeit und der Jugendverbände, aber darum geht es hier nicht in erster Linie.
Vielmehr muss auch Caritasunternehmen dieses Ergebnis zu denken geben. Wie soll Solidarität in Zukunft gelingen, wenn die junge Generation sich abwendet? Wer wird in zehn oder 20 Jahren einstehen für die Schwächeren in dieser Gesellschaft? Werden die Hilfen und Dienste überhaupt noch gefragt sein? Wenn so großes Interesse an den Sinnfragen bei jungen Menschen besteht, muss man sich doch fragen, ob die richtigen Angebote in ausreichender Form bereitstehen. Ist die Caritas genügend in der Erziehung und Bildung von Jugendlichen präsent? Sind junge Menschen bedürftig, ohne dass man es bisher erkannt hat?
Unternehmen auf krummen Wegen
Wenn die Caritas zusammenführen und integrieren will, dann darf sie nicht nur im Randbereich der Gesellschaft wirken, sondern ist explizit gefordert, auch und gerade in der Mitte präsent zu sein. Die Angebote müssen grundsätzlich für alle Menschen offen sein, ganz gleich, welchen persönlichen, kulturellen, wirtschaftlichen oder ethnischen Hintergrund diese Menschen haben.
Die Caritas steht zunehmend vor der Herausforderung, Mitarbeiter(innen) zu gewinnen, die nicht nur kompetent und bereit sind, in kirchlich geführten Unternehmen zu arbeiten, sondern die auch den christlichen Auftrag mitgestalten können und wollen. In einzelnen Regionen, in denen Vollbeschäftigung herrscht, wird es zunehmend ein Thema, geeignete und leistungsfähige Mitarbeiter(innen) zu gewinnen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Die Veränderungen beispielsweise im kirchlichen Arbeitsvertrags- und Tarifrecht passieren so langsam, dass dies jedem Unternehmen jegliche Gestaltungsfreiheit nimmt. Viele Caritasunternehmen suchen nach Wegen und haben zwischenzeitlich auch manch krummen Weg gewählt, um diesem Dilemma zu entkommen.
Künftig wird viel mehr in die Mitarbeiter(innen) investiert werden müssen. Wenn von christlicher Qualität die Rede ist, muss man besonders auf die Führungskräfte bauen. Denn sie sind die tragenden Säulen. Es sind fachlich hoch qualifizierte Persönlichkeiten, aber in religiösen Dimensionen sind viele über den "Ministrantenstatus" nicht hinausgekommen.
Und auch wenn viele diese Frage nicht gerne hören: Was ist der Grund, dass nach wie vor kaum Frauen Führungspositionen in Caritasunternehmen innehaben?
Chancen für die Zukunft
Caritasunternehmen stehen vor gewaltigen Herausforderungen und ebensolchen Veränderungen. Dennoch brauchen sie diese nicht zu scheuen: Sie haben unglaubliche Potenziale und Chancen, die es allerdings zu nutzen gilt:
- Für die glaubwürdige Entwicklung der Caritasunternehmen braucht es eine Qualitätsdiskussion, die auch die theologische Fundierung in den Mittelpunkt stellt. Gerade hier wäre eine Qualifizierung der Mitarbeiter(innen) wünschenswert. Der Spitzenverband könnte Motor und Rahmengeber sein, denn es kommt auf das Verbindende, nicht auf das Trennende in den Caritasunternehmen an. Und es muss auch die Frage erlaubt sein, ob dafür nicht auch Kirchensteuermittel eingesetzt werden können.
- Caritasunternehmen müssen zu einem neuen Verständnis von Kommunikation und Kooperation gelangen. Viele tradierte Abgrenzungen und Trennungen auch im kirchlichen Bereich gilt es zu überwinden, sonst werden Potenziale verschenkt. Es muss gelingen, verstärkt Kooperationen auch mit unterschiedlichen Caritasunternehmen und Kirchengemeinden einzugehen. Warum sollen nicht auch Partnerschaften und Kooperationen mit nichtkirchlichen Anbietern und Organisationen möglich sein?
- Wenn Caritasunternehmen auch in Zukunft noch Unterstützer haben wollen, dann müssen sie auch für gut situierte Menschen Anbieter sein. Sie müssen prüfen, ob sie im ausreichenden Maße und in der rechten Form Angebote für junge Menschen haben. Diese Jugend wird die Zukunft gestalten und morgen für Werte und religiöse Fundierung eintreten - oder eben nicht.
- Caritasunternehmen müssen und dürfen erfolgreich sein. Und der Erfolg wird sich nicht einstellen, wenn es das Spannungsfeld zwischen Dienstleistungserbringung, Anwaltschaftlichkeit und Solidaritätsstiftung nicht mehr gibt. Der Erfolg wird dann gegeben sein, wenn sie sich dieser Auseinandersetzung jeden Tag wieder neu stellen.