Innovation kann trainiert werden
Innovation ist für uns als Caritas alles andere als neu: Die Caritas selbst ist eine große Innovation. Als lokale Initiative von Lorenz Werthmann vor über 125 Jahren gestartet, um Menschen in Not zu helfen und mit neu gegründeten Einrichtungen unter anderem Kinder und Frauen zu unterstützen, hat sie sich zu einer professionellen unternehmerischen Bewegung etabliert. Heute befinden wir uns in einer Zeit, in der sich vielfältige Krisen überlagern. Gerade haben wir als Wohlfahrt mit über 30.000 Menschen für ein soziales NRW demonstriert und damit eine der größten Demonstrationen organisiert, die die Landeshauptstadt Düsseldorf seit Jahrzehnten gesehen hat.
Das zeigt: Es ist auch heute an der Zeit für Veränderungen. Zeit dafür, Bedarfe zu benennen und tragfähige Lösungen zu entwickeln. Genau das sind Merkmale von Innovation. Genau das sind Fähigkeiten, die wir als Caritas in den zurückliegenden 125 Jahren unter Beweis gestellt haben und über die dieses Heft unter dem Titel "Caritas innovativ" eindrucksvoll berichtet.
Und dennoch: Die Zukunft mit ihren Gestaltungsmöglichkeiten muss in den Blick genommen, Impulse müssen identifiziert werden, um unseren Innovationsmuskel zu stärken. Denn diesen werden wir in den nächsten Monaten und Jahren intensiv benötigen. Doch wie gelingt es, diesen Muskel zu trainieren und gezielt Innovationen zu befördern?
Die Perspektive weiten und Bedarfe verstehen
Los geht es damit, im wahrsten Sinne des Wortes aufzubrechen. Das Handeln unterbrechen, den Alltag und das Vertraute verlassen und losziehen. Aufbrechen und das Unbekannte entdecken. Innovation heißt nicht, alles neu erfinden zu müssen, sondern auch andere Ansätze kennenzulernen, Inspiration zu tanken und bestehende Lösungen weiterzuentwickeln. Aufbruch kann bei Kongressen und Workshops stattfinden. Eine Expedition zu unternehmen, ist eine weitere Möglichkeit: Wie arbeitet zum Beispiel die Caritas im Ausland, und welche Erkenntnisse können wir aus einem informellen Austausch mit den unternehmerischen Talenten hinter neuen Angeboten gewinnen? Die Möglichkeiten reichen von Start-ups bis zu Universitäten, von Stiftungen bis zu Konzernen, von NGOs bis zu Ministerien und von Netzwerken bis zu Kommunen.
Ebenso bedeutsam ist es, tief zu tauchen. Also nicht nur die Fläche zu erkunden, sondern das Problem zu verstehen, die Ursachen zu ergründen. Hierbei sind die Perspektiven von Betroffenen einzuholen und ihre spezifische Sicht und ihre Erkenntnisse in den Mittelpunkt zu stellen. In der Marktforschung wird das "Customer Centricity" genannt. Der Punkt ist, nicht vom Produkt, sondern von den Nutzer:innen und ihren Bedürfnissen her zu denken.
Progression statt Perfektion
Aus der Start-up-Welt, die gemeinhin mit Eigenschaften wie agil, dynamisch, schnell und innovativ in Verbindung gebracht wird, dürfen wir lernen: Einfach anfangen! Ziel ist es, ein möglichst einfaches, ressourcensparendes und brauchbares Produkt zu entwickeln. Gemeint ist ein Prototyp, mit dem wir Annahmen überprüfen, Reaktionen der Zielgruppe testen und erste Schritte machen können. Dabei steht nicht das perfekte Resultat oder die gut durchdachte endgültige Lösung im Fokus, sondern vielmehr die stetige Weiterentwicklung und Verbesserung.
Regelmäßig ist die Entwicklung von Innovationen eng mit einzelnen Personen verbunden, die für eine Idee brennen, Verantwortung tragen und Risiken eingehen. Solche sogenannten Entrepreneure zeichnen sich durch ihre unternehmerische Herangehensweise aus. Innerhalb der Caritas lohnt sich die Suche nach solchen Menschen, die in einem positiven Sinne von einer Idee besessen sind, dafür Hürden überwinden und ihre Umsetzung enthusiastisch vorantreiben. Auch für sie gibt es einen Namen: Social Intrapreneurs. Sie zeichnet ihr Mut zu unternehmerischem Handeln aus. Unternehmerisch ist hier aber nicht auf eine ökonomische Bedeutung zu reduzieren. Unternehmen versteht sich als Gegensatz zu unterlassen. Das ist die Eigenschaft, die wir brauchen, um neue Lösungen in die Welt zu bringen und Veränderung zu gestalten.
Die Forderung nach Wirkungsorientierung und -messung bewegt uns als Caritas ständig. Im Zusammenhang mit innovativen Ansätzen spielt dieser Ansatz eine besondere Rolle: Die Entwicklung muss sich nutzendenorientiert und an den Bedarfen der Zielgruppe ausrichten. Mit dem Ziel vor Augen, die Lebenslagen unserer Zielgruppen zu verändern und ein gesellschaftliches Problem grundlegend zu lösen, definieren wir einen hohen Anspruch an unsere Arbeit und nehmen ihre Wirkung in den Blick. Die Rolle der Organisation, Finanzierungsmechanismen und Umsetzungsstrukturen orientieren sich dann vorrangig am Wirkungspotenzial.
Schnell wird klar, dass solch grundlegende Veränderungen selten von einem Angebot alleine erreicht werden. Ein abgestimmtes Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen und Akteure hingegen zahlt auf das Ziel ein. Dieses Verständnis stärkt die Offenheit und das Bewusstsein für Innovationen und fördert die Vernetzung innerhalb und außerhalb der Caritas.
Von Experimentierfeldern und hybrider Finanzierung
Eine wichtige Ressource ist die Kultur: Wie offen und bereit sind wir für Neuerungen? Sind wir neugierig oder machen uns diese eher Angst? Innovationsförderlich ist eine Kultur, in der sich Führungskräfte zu Neuem bekennen, in der Freiräume und Spielwiesen existieren. Auch die beschriebenen Aspekte der Nutzerorientierung und das Handeln von Intrapreneuren sind kulturstiftend.
Aber was ist mit den finanziellen Ressourcen? Hier ist es hilfreich, ein gutes Verständnis für Entwicklungszyklen aufzubauen, um mit den Finanzierungen "spielen" und hybride Finanzierungsstrategien aufbauen zu können. Das heißt, die passenden Finanzierungen zum richtigen Zeitpunkt zu wählen. Zu einem frühen Zeitpunkt der Innovation ist eher eine flexible und risikoaffine Finanzierung notwendig. Daher spielen Spenden, Crowdfunding und Stiftungsförderungen eine große Rolle, ebenso wie Eigenmittel, Innovationsmittel oder Preisgelder. Insbesondere für diese frühphasige Förderung sehe ich innerhalb der Caritas noch große Entwicklungschancen: Große Innovationsfonds oder Stipendien für Intrapreneure könnten hier gezielt Spielraum schaffen. Nach der Entwicklungsphase steht eine breite Palette von Möglichkeiten zur Verfügung. Finanzierungen der öffentlichen Hand könnten auch hier durch Drittmittel ergänzt werden. Zum Beispiel sollten wirtschaftliche Geschäftsbetriebe als Optionen geprüft werden. Für die Verbreitung und Weiterentwicklung von erprobten Lösungen spannen sich noch einmal andere Finanzierungsmöglichkeiten auf. Durch Sponsoring, Kapitalkampagnen oder Unternehmenskooperationen kann die bestehende Finanzierung ergänzt werden - aber auch Lizenzierung und Impact Investing bieten sich als Ergänzung an. Wobei das Thema Impact Investing für uns als Caritas noch ein interessantes Lern- und Experimentierfeld darstellt.
Einfach mal machen …
Seit gut zwei Jahren engagieren sich die Caritasverbände für den Kreis Coesfeld und die Stadt Herten für die Innovationsförderung innerhalb der Caritas. Mit neuen Formaten wie dem Tag der Ideen, Ideen-Werkstätten und digitalen Innovations-Workouts wird die innovative Kultur gestärkt, Mitarbeitenden Mut gemacht, neue Ideen zu entwickeln und zu erproben, Wissen zum Innovationsmanagement vermittelt und werden Freiräume zum Experimentieren geschaffen.
Von Anfang an war das Ziel, regionale, thematische und verbandliche Grenzen zu überwinden und ein neuartiges Netzwerk aufzubauen. Deshalb ist das Programm für andere Verbände geöffnet worden und wird weitere Akteure wie Studierende, Stiftungen, Kommunen und Unternehmen einbinden und damit vielfältige Perspektiven in die Innovationsentwicklung einbinden.