„Wir müssen uns darauf einstellen, dass sie lange bleiben werden“
Die Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen aus der Ukraine ist groß. Viele Menschen bieten Zimmer oder private Wohnungen an. Dabei gibt es einiges zu beachten. Irene Porsch, Flüchtlingsbeauftragte der Caritas im Erzbistum Köln, beantwortet die wichtigsten Fragen.
Redaktion: Was sollte man beachten, bevor man Menschen aus der Ukraine aufnimmt?
Irene Porsch: Die Menschen aus der Ukraine sind keine Feriengäste, die für ein bis zwei Wochen bleiben, Stadt und Kultur genießen wollen und dann wieder zurückkehren in ihre Heimat. Die Geflüchteten haben von heute auf Morgen ihre Heimat verlassen müssen und hatten auf dem Weg hierher teilweise erschütternde Kriegserlebnisse. Oft mussten die Ehemänner zurückbleiben, weshalb die Frauen und Kinder in großer Sorge sind und versuchen, Kontakt zu halten.
"Die Menschen aus der Ukraine sind keine Feriengäste."
Redaktion: Wie ist die große Bereitschaft zur Aufnahme zu erklären?
Porsch: Dieser Krieg findet in unserer unmittelbaren europäischen Nachbarschaft statt - und wir fühlen uns selbst bedroht von Putins Rhetorik. Wir können uns also mit den Menschen aus der Ukraine gut identifizieren. Bilder aus den Kriegen in Syrien und Jemen erschüttern zwar auch, aber wenn wir jetzt eine Hochhaussiedlung in Kiew sehen, ist der Unterschied zu Stadtvierteln bei uns in Köln oder Berlin nicht allzu groß. Die Szenen auf den Bahnsteigen in Kiew oder Lwiw könnten sich so ähnlich auch bei uns abspielen. Das schafft eine besondere Nähe - wir fühlen mit und wollen helfen.
Redaktion: Ist jede Wohnung für eine Aufnahme geeignet?
Porsch: Ganz wichtig zu klären ist: Gibt es Rückzugsmöglichkeiten für beide Seiten? Eine freistehende Einliegerwohnung zum Beispiel ist optimal. Wenn es keine Privatsphäre für Gastgeber und Gäste gibt - etwa in einer Ein- oder Zwei-Zimmer-Wohnung -, dann rate ich eindeutig davon ab, Geflüchtete aufzunehmen.
Die Unterstützung von Familie und Freunden ist wichtig
Redaktion: Was ist mit möglichen Kriegstraumata - wie sollte man damit umgehen?
Porsch: Man muss sich darauf einstellen, dass die Situation emotional und psychisch anstrengend werden kann. Es geht schließlich um Menschen, die vor einem schrecklichen Krieg geflohen sind und mit großer Wahrscheinlichkeit große Sorgen um ihre Angehörigen in der Ukraine haben. Wie gehe ich damit um, wenn jemand nachts weinend aufwacht? Da ist ein Netzwerk - Familie, Bekannte, Nachbarn - unter Umständen sehr hilfreich. Wichtig ist, Kontakt mit der jeweiligen Kommune aufzunehmen. Denn nur, wenn die über das Engagement Bescheid weiß, kann sie auch unterstützen.
Redaktion: Worauf muss man sich noch einstellen?
Porsch: Das sind schwer belastete Menschen, die da kommen. Sie werden oft nicht die Kraft haben, sich für die Gastfreundschaft zu bedanken. Ihr Fokus liegt auf der Ukraine. Menschen, die Geflüchtete aufnehmen, sollten behutsam und unaufgeregt mit ihnen sprechen. Gleichzeitig sollten sie erkennen, wann die Gäste besser in Ruhe gelassen werden müssen.
Wie lange die Geflüchteten auf Hilfe angewiesen sein werden, ist noch völlig unklar
Redaktion: Von welchem Zeitraum muss man ausgehen?
Porsch: Niemand weiß, wie lange der Krieg dauert, wir müssen uns auf Wochen und Monate einstellen. Es gibt erste Einschätzungen, dass Menschen, die jetzt hier ankommen, im Schnitt fünf Jahre bleiben werden. Natürlich werden sie perspektivisch eigenen Wohnraum anmieten können, aber gerade in Metropolen wie Köln oder Düsseldorf wissen wir aus eigener Erfahrung, wie schwierig das sein wird.
Redaktion: Professionelle Distanz ist ein Kennzeichen guter Sozialarbeit. Ehrenamtliche gehen oft emotional an das Thema heran. Das muss nicht schlecht sein, kann aber auch zu Problemen führen. Was raten Sie den Menschen?
Porsch: Wenn Hilfe notwendig wird, etwa weil die neuen Untermieter traumatisiert sind, dann bitte sofort Hilfe holen. Ehrenamtliche Arbeit und Gastfreundschaft brauchen immer ein professionelles Backup, also ein Netzwerk, auf das im Zweifel zurückgegriffen werden kann. Dafür sind dann zum Beispiel die Integrationsbeauftragten der Aktion Neue Nachbarn im Erzbistum Köln und die Fachdienste der Caritas da. Sie können an das Therapiezentrum für Folteropfer oder die Beratungsstellen der Caritas vermitteln. Dort gibt es Fachleute, die Traumata begleiten können.
Geflüchtete erhalten offizielle Aufenthaltsgenehmigung und finanzielle Unterstützung
Redaktion: Welchen Status haben Geflüchtete aus der Ukraine?
Porsch: Die Geflüchteten haben einen so genannten "vorübergehenden Schutz". In Deutschland wird dieser durch das Aufenthaltsgesetz gewährt. Die Aufenthaltserlaubnis (nach § 24 AufenthG) gilt für ein Jahr und kann auf bis zu drei Jahre verlängert werden. Mit diesem Schutz ist etwa eine selbständige Tätigkeit möglich. Auch ein Beschäftigungsverhältnis wird in aller Regel von der Ausländerbehörde gewährt.
Redaktion: Erhalten die Menschen auch staatliche finanzielle Unterstützung?
Porsch: Ja, sie sind prinzipiell berechtigt, Asylbewerberleistungen zu beziehen, das ist allerdings weniger als Hartz IV. Außerdem sind noch längst nicht alle Fragen geklärt. Auch hier helfen die Migrationsberatungen der Caritas. Sofern die Menschen privat unterkommen und Miete zahlen oder sich an den Nebenkosten beteiligen sollen, hilft auch dabei der Staat. Denn sie haben grundsätzlich Anspruch auf die gleichen Leistungen wie Asylbewerber, wenn sie sich registriert haben.
Redaktion: Sind die Geflüchteten krankenversichert?
Porsch: Sie sind nicht regulär in der Krankenversicherung in Deutschland. Das Ziel ist, dass ihnen im Krankheitsfall aufgrund der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz das allgemeine medizinische Versorgungsangebot zur Verfügung steht. Dies betrifft sowohl stationäre als auch ambulante Behandlungsangebote. Doch auch hier müssen noch wichtige Fragen geklärt werden.
Dieses Interview wurde zuvor vom Diözesan-Caritasverband Köln veröffentlicht unter: www.caritasnet.de/themen/ukraine-hilfe/interview/