„Die Menschen kommen mit einem Rucksack voller Ängste und traumatischer Erlebnisse zu uns“
Zweimal in der Woche berät der Diplompädagoge und Familientherapeut Branko Wositsch in einer umgebauten ehemaligen Tankstelle Menschen, auch aus Krisengebieten. Jetzt wird er die Öffnungszeiten noch erweitern. Denn nach einer aktuellen Freigabe durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) können Migrationsberater und -beraterinnen ab sofort ukrainische Flüchtlinge ohne Aufenthaltsstatus helfen.
Migrationsberater Branko Wositsch arbeitet seit 2019 in der Migrationsberatung in Hattingen, Nordrhein-Westfalen.Caritasverband Ennepe-Ruhr
Redaktion: Herr Wositsch, noch ist die Entwicklung ja auch für Sie nicht komplett absehbar. Aber aus Ihrer Erfahrung heraus: Was wird das Wichtigste für die Menschen aus der Ukraine sein, die nach Hattingen beziehungsweise in die Caritas-Beratungsstelle kommen?
Branko Wositsch: Eine Unterkunft zu finden, Transfer- und Krankenkassenleistungen zu erhalten, womöglich Arbeit zu finden, das ist ja klar. Aber das A und O ist, das gilt für alle, die zu uns kommen, die deutsche Sprache zu erlernen. Da müssen sie am Ball bleiben, um sich gut in die Gesellschaft zu integrieren.
Dann dürfte es, aus meiner Sicht, den meisten leichter fallen, hier in beruflicher beziehungsweise gesellschaftlicher Sicht, Fuß zu fassen. Ein großer Teil der Ukrainer und Ukrainerinnen dürfte wohl mit einer Ausbildung zu uns kommen und sich bestimmt gut qualifizieren können. Und, wie gesagt, dafür ist die deutsche Sprache oft entscheidend. Ohne sie ist es für Geflüchtete und andere Migranten eine oftmals zu große Herausforderung. Sie blieben dann auf meine Beratung angewiesen.
Denn eines darf man nicht vergessen: Deutschland ist wohl Weltmeister in Bürokratie. Da steht auch den Ukrainern und Ukrainerinnen einiges bevor. Jetzt hat die Politik angekündigt, dass diese Geflüchteten möglichst geringe bürokratische Hürden erleben sollen. Das wäre schön. Schließlich bringen die Menschen einen Rucksack voller Sorgen, Ängste und traumatischer Erlebnisse mit. Gerade auch die Frauen und Mädchen, das muss ich ja nicht weiter erklären.
Neben Unterkünften und Sprachkursen braucht es auch psychologische Unterstützung
Redaktion: Es muss also auch psychologische Hilfe geboten werden…
Wositsch: So ist es. Allerdings ist es oft schwer, für Geflüchtete mit diesem besagten Rucksack und überhaupt für Menschen aus mit geringen Deutschkenntnissen Plätze in psychologischer Beratung und Betreuung zu finden. Gerade erst hatte ich eine Familie in der Beratung, der von mir und der Kollegin Claudia Schmerler vom Kommunalen Integrationsmanagment geholfen wird, für die wir dringend psychosoziale Betreuung bräuchten.
Für Kinder und Jugendliche habe ich zum Glück die Möglichkeit, mich an die Caritas-Familien- und Jugendhilfe zu wenden. Dort ist auch meine Kollegin Christina Große Munkenbeck tätig, die gemeinsam mit mir außerdem das Integrations-Projekt "Durchstarten" betreut und Erfahrung mit Geflüchteten hat. Kinder und unbegleitete Jugendliche zum Beispiel brauchen dringend Hilfe, haben Traumata zu verarbeiten und sind wohlmöglich unbegleitet zu uns gekommen.
Redaktion: Kommen wir noch mal zum Weltmeister-Titel in Bürokratie zurück: Was steht den ukrainischen Flüchtlingen denn da bevor?
Wositsch: Dass die Menschen ein Dach über dem Kopf bekommen, dafür sorgt sicherlich die Stadt Hattingen. Manche werden auch bei Verwandten oder Freunden unterkommen. Aber danach geht es ja weiter. Sie brauchen Essen. Sie brauchen Geld, eine Krankenversicherung, Ehe- oder Geburtsurkunden müssen übersetzt und anerkannt werden. Die Kinder sollen in die Kita oder in die Schule. Dafür müssen sie Formulare ausfüllen.
Hilfe bei bürokratischen Problemen ist vor allem am Anfang wichtig
Bei der Frage, was wie und wofür nötig ist, und bei den Formularen sind wir für sie da. Zum Beispiel, wenn später Leistungen wie Wohngeld beantragt werden müssen, weil das Einkommen nicht ausreicht. Ansonsten sind wir in der kommunalen Flüchtlings- und Migrantenhilfe eng vernetzt. Es gibt unterschiedliche Anlaufstellen, an die sich die Menschen wenden können. Ich bin oftmals Case-Manager. Ich muss nicht alles alleine schaffen, sondern schauen, wer besser spezialisiert ist. Ich muss die Menschen vermitteln. Für die Deutschkurse stehe ich zum Beispiel in engem Kontakt mit der Volkshochschule Hattingen.
Redaktion: Solange Menschen, die zu ihnen kommen, noch kein Deutsch können - was machen Sie denn?
Wositsch: Die Sprachbarrieren in der Beratung sind schon groß. Mit Englisch geht es manchmal. Aber ich arbeite auch viel mit Händen und Füßen - da merkt man nach einem Tag, was man getan hat. Oft können auch Freunde oder Verwandte als Dolmetscher und Dolmetscherinnen mitkommen. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auch ehrenamtliche Übersetzer und Übersetzerinnen für die ukrainischen Flüchtlinge bekommen werden.
Dieser Text ist zuvor auf der Website der Caritas Ennepe-Ruhr erschiehen: https://www.caritas-en.de/ihre-caritas/pressearchiv/gefluechtete-kommen-mit-einem-rucksack-voller-traumatischer-erlebnisse