Sozialpolitisches Lobbying als Kernelement der Caritas
Lesen Sie hier die Rede von Caritas-Präsident Peter Neher (es gilt das gesprochene Wort!):
Längst ist es für viele Menschen selbstverständlich, ihren Alltag online zu organisieren. Urlaubsreisen werden im Internet gebucht, die Reiseverbindung mit dem Smartphone gecheckt und mit Freunden per WhatsApp kommuniziert. "Sozial braucht digital", denn auch im Bereich sozialer Dienstleistungen wird längst online gebucht und informiert, wie für unseren Kongress und gesucht, wenn es zum Beispiel um Haushaltshilfen für die alt gewordenen Eltern geht. Die digitale Transformation durchdringt längst alle Bereiche des gesellschaftlichen und privaten Lebens.
Mit der aktuellen Caritas-Kampagne "sozial braucht digital" laden wir dazu ein, sich mit den Auswirkungen der digitalen Transformation in der sozialen Arbeit auseinanderzusetzen. Dabei geht es um ganz konkrete Fragen: Wie können digitale Möglichkeiten in der Alten- und Behindertenhilfe, in Krankenhäusern, Kindertagesstätten und in der Beratung eingesetzt werden? Wie erreichen wir künftig Menschen, die Rat und Hilfe suchen, wenn die Angebote von Hilfe-Plattformen immer selbstverständlicher genutzt werden? Und wir zeigen, wie vielfältig schon heute digitale Tools genutzt werden. Über unterschiedliche Aspekte der digitalen Transformation wurde auch bei einigen Sessions im Rahmen unseres Caritaskongresses intensiv diskutiert.
Die Entwicklung einer digitalen Gesellschaft, die dem Menschen dient, erfordert einen weiten Blick
Doch bei aller Zustimmung und Experimentierfreude wissen wir, dass der digitale Wandel auch auf Skepsis und Vorbehalte stößt. Für uns heißt das, dass wir mehr Anstrengungen unternehmen müssen, die Mitarbeitenden zu qualifizieren. Zudem muss in die Lehrpläne sozialer Berufe und Studiengänge die Entwicklung digitaler Kompetenzen Aufnahme finden. Nicht zuletzt ist es entscheidend, auch Hilfesuchende digital zu befähigen.
Noch immer liegt das politische Augenmerk fast ausschließlich auf der Digitalisierung der Wirtschaft und der Wissenschaft. Die Entwicklung einer digitalen Gesellschaft, die dem Menschen dient, erfordert aber einen weiteren Blick. So lässt sich die Teilhabe sozial benachteiligter Menschen nur verwirklichen, wenn es gelingt, die digitalen Entwicklungen im sozialen Bereich mitzudenken und reflektiert in die Praxis umzusetzen. Auch dieser Anspruch ist mit der Forderung "sozial braucht digital" verbunden.
Die Digitalisierung als Wohlfahrtsverband mitzugestalten, heißt auch, eine wahrnehmbare Stimme in öffentlichen Debatten zu sein. Es gilt, über ethische und theologische Fragen zu diskutieren: Wie wirkt sich die Digitalisierung materiell, psychosozial und spirituell aus? Welche neuen Nöte gefährden Menschen? Was bedeuten zentrale ethische Begriffe wie Freiheit, Unverfügbarkeit und Selbstbestimmung angesichts von Algorithmen, die Menschen kategorisieren und bewerten, ohne dass diese davon wissen?
Die digitale Entwicklung braucht auch die soziale Komponente
So weckt die digitale Transformation nicht nur Optimismus, sondern auch Sorgen. Beide Perspektiven haben ihre Berechtigung. Die Kampagne "Sozial braucht digital" will beides tun: Die Chancen - gerade im sozialen Bereich - deutlich machen und dabei auch die Risiken in den Blick nehmen. Denn die digitale Entwicklung braucht auch die soziale Komponente. Darauf machen wir aufmerksam und laden dazu ein, über die Gestaltung der Digitalisierung ins Gespräch zu kommen und Lösungen zu entwickeln.
Nicht nur mit den Caritas-Kampagnen leisten wir einen Beitrag, um auf zentrale sozial- und gesellschaftspolitische Themen aufmerksam zu machen. Sozialpolitisches Lobbying ist wie der Anspruch fachlicher Kompetenz, der Menschen wegen Kernelement einer Caritas der Kirche.
Vor 100 Jahren eröffnete Lorenz Werthmann die Hauptvertretung der Caritas in Berlin
Damit die "Caritas Dampf in der sozialen Maschine" sein konnte und "Pfadfinderin […] für staatliche und gesetzgeberische Maßnahmen", wie Prälat Lorenz Werthmann sagte, der Gründer des Deutschen Caritasverbandes, musste sie am Sitz der Reichsregierung vertreten sein. Durch die politischen Ereignisse des Novembers 1918 sah sich Lorenz Werthmann jedoch veranlasst, die erst im Oktober 1918 eröffnete Geschäftsstelle schon wieder zu schließen. Nachdem sich die politische Lage in Berlin dann aber stabilisiert hatte, wurde am 15. Juni 1919 die Hauptvertretung Berlin erneut eröffnet. So können wir in diesem Jahr den 100. Geburtstag der politischen Repräsentanz der Caritas in Berlin feiern. Wobei die Hauptvertretung von 1949 bis zum Umzug der Bundesregierung 2000 in Bonn angesiedelt war; als Zentralstelle aber hatte sie auch hier in Berlin während der deutschen Teilung als Verbindungsbüro zwischen Ost und West eine wichtige Aufgabe.
Im ersten Tätigkeitsbericht der Hauptvertretung heißt es: "Die Hauptaufgabe der Vertretung des Deutschen Caritasverbandes in Berlin … besteht in der Fühlungnahme mit den Behörden und den großen Zentralverbänden der Wohlfahrtsarbeit." Dies gilt bis zum heutigen Tag: die Kontakte zur Regierung, den Ministerien und den politischen Parteien und die Zusammenarbeit mit den anderen Wohlfahrtsverbänden in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege sind wesentliche Aufgaben des Berliner Büros im Zusammenwirken mit der Freiburger Verbandszentrale.
Lorenz Werthmann war sich bewusst, wie wichtig die Zusammenarbeit aller gesellschafts-politischen Kräfte ist, um zum Wohl der Menschen etwas zu bewegen. Aktuell zeigt sich, dass es nicht Gott gegeben ist, in einer Demokratie zu leben. Demokratieverständnis muss gepflegt, die Demokratie verteidigt und weiter entwickelt werden.
Wir alle sind aufgefordert, für die Grundrechte einzustehen und für die Würde jedes Menschen einzutreten. In einer Zeit, in der Populisten großen Zulauf finden, haben die Vertreter demokratischer Organe, der Zivilgesellschaft, von Verbänden und Organisationen, der Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände eine besondere Verantwortung. Es gilt, im Gespräch zu bleiben, konstruktiv zu streiten und um die je beste Lösung zu ringen. Der Caritaskongress, der den Gesellschaftlichen Zusammenhalt zum Thema hat, leistet hier seinen Beitrag.
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