Ängste in der Nachbarschaft von Flüchtlingsunterkünften
Zahra, 29 Jahre, kam aus Afghanistan nach Deutschland.DCV/Margit Wild
Die Betroffenheit über Nachrichten von Bootsflüchtlingen, die uns die Medien täglich liefern, ist vielfach rasch verflogen, wenn genau für diese Menschen in unserer Nachbarschaft eine Unterkunft geplant werden soll. Zu tief sitzen bei vielen Befürchtungen und Ängste, die mit asylsuchenden Menschen verbunden sind. So auch in der wirtschaftlich prosperierenden Region im Südbadischen.
Der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald ist ein großer Flächenlandkreis im Südwesten der Republik. Die circa 250.000 Einwohner verteilen sich auf 50 Gemeinden. Bis ins Jahr 2009 gab es lediglich eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge im Landkreis. Mit steigenden Flüchtlingszahlen war das Landratsamt als verantwortliche Behörde gefordert, weitere Objekte zu finden beziehungsweise Gemeinden und deren Bevölkerung für die Errichtung einer solchen Unterkunft zu gewinnen.
Abtausch der immer gleichen Argumente
Bei verschiedenen sehr gut besuchten Bürgerversammlungen war der Caritasverband Breisgau-Hochschwarzwald als in der Flüchtlingsarbeit erfahrener Wohlfahrtsverband angefragt, die Behörden bei der Lobbyarbeit für die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften zu unterstützen. Der typische Verlauf der Diskussionsphase lässt sich am Beispiel der Stadt Breisach am Rhein darstellen:
Die 15.000 Einwohner zählende Stadt ist in der Pflicht, das Landratsamt bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu unterstützen. Zwei schon bestehende leerstehende Objekte (Schwesternwohnheim, Kaserne) wurden der Bürgerschaft im Rahmen öffentlicher Versammlungen als geplante Gemeinschaftsunterkünfte vorgestellt. Ihre Vorbehalte gegen die Belegung trugen Teile der Nachbarschaft während der Diskussion unverblümt vor:
- der mutmaßlich einsetzende Verfall der Immobilienpreise;
- ein hochpreisiges Umfeld provoziere Neid bei den Flüchtlingen;
- Angst um die Sicherheit der Kinder, die nunmehr mit dem Auto zur Schule gebracht werden müssten, was zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen führe;
- eine Belegung mit unterschiedlichen Nationalitäten und Kulturen auf engem Raum führe zu Problemen wie Streitereien, Alkoholismus, Eigentumsdelikten und Vandalismus;
- die Unterkunft als neue Lärm- und Unruhequelle;
- Sorge um die Sicherheit von Frauen
sowie schließlich das Argument, dass sich bestimmt ein geeigneterer Standort oder ein besseres Objekt finden ließe.
Beraten, zuhören und helfen, wo Hilfe benötigt wird: eine Flüchtlingshelferin zu Besuch in einer Asylbewerberunterkunft.DCV/Margit Wild
Bei solchen Veranstaltungen sind die Rollen auf dem Podium meistens klar verteilt: die Stadt mit dem Bürgermeister an der Spitze zeigt Verständnis für das Landratsamt, dieses wiederum möchte eine maximale Belegung durchsetzen, die Standortalternativen würden geprüft werden; die Caritas und/oder ein anderer Akteur wirbt für das Miteinander von Flüchtlingen und Einheimischen und fordert gleichzeitig die Einhaltung von Standards in der Unterbringung ein (hinsichtlich etwa Belegungsdichte, Betreuung oder sozialräumlicher Einbindung).
Der Diskussionsverlauf macht zweierlei deutlich: Nicht selten kommen Vorbehalte gegenüber Flüchtlingsunterkünften auch von inzwischen etablierten Bürger(inne)n mit Migrationshintergrund. Und Flüchtlinge werden nach Herkunft, Familienstand und manchmal auch Religionszugehörigkeit kategorisiert. Ganz unten in der Sympathieskala rangieren dabei alleinstehende männliche Afrikaner sowie Roma (unabhängig vom Familienstand). Erheblich mehr Wohlwollen wird christlichen Familien aus arabischen Ländern wie Syrien oder dem Irak entgegengebracht. Die im Landkreis unterzubringenden Flüchtlinge sind jedoch zu 85 Prozent alleinstehende Männer und kommen in der Mehrzahl aus Staaten Westafrikas.
Integration fällt nicht vom Himmel
Mittlerweile sind die Wohnheime in Breisach nach intensiver, konstruktiver Planungs- und Umsetzungsphase längst mit Asylsuchenden belegt. Die geäußerten Befürchtungen der Nachbarschaft haben sich nicht bewahrheitet. Allerdings ist die Integration einer Flüchtlingsunterkunft ins Gemeinwesen - wie auch Beispiele anderer Kommunen zeigen - kein Selbstläufer, sondern wird erst durch folgende Faktoren begünstigt:
- Die "Ortsautoritäten" (Bürgermeister, Pfarrer etc.) sind aktive Befürworter der Unterkunft.
- Die Planung der Unterkunft beginnt frühzeitig und schließt flankierende Maßnahmen bereits mit ein (Helferkreisgründung, Sprachkurs- und Beschäftigungsangebote, Sozialbetreuung).
- Kontroverse öffentliche Diskussionen sind wichtig und notwendig. Ängste, Sorgen und Vorbehalte müssen artikuliert und wahrgenommen werden, damit eine Auseinandersetzung darüber stattfinden kann.
- Bei Bürgerversammlungen hat es sich bewährt, schon ansässige Flüchtlinge selbst zu Wort kommen zu lassen.
- Die Wirkung eines (in unfertigem Deutsch vorgetragenen) "Originalton-Statements" ist ungleich stärker als jeder zur Nächstenliebe aufrufende Wortbeitrag von Einheimischen.
- Wichtig ist die Bereitschaft der verantwortlichen Behörden zu Kompromissen und Nachbesserungen (zum Beispiel Reduzierung der Größe des Objekts, Quantität und Qualität der Sozialbetreuung etc.).
- Wortbeiträge junger Menschen während der Bürgerversammlung wirken meistens positiv, da sie eher von einem neugierigen Interesse an den Flüchtlingen als von Sicherheitsbedenken getragen sind.
- Es hat sich als positiv erwiesen, bei der Sanierung bestehender Objekte beziehungsweise dem Bau neuer Unterkünfte schon eine mögliche Folgenutzung (bei rückgängigen Flüchtlingszahlen) mit einzuplanen.
- Ein Flüchtlingshelferkreis bietet über seine ortsansässigen Mitglieder vielfältige Möglichkeiten, integrativ tätig zu sein (Organisation von Begegnungen, Ausflüge, Kontaktaufbau zu Arbeitgebern, Sprachtraining, Erstellen von mehrsprachigen Informationsbroschüren und anderes mehr). Er trägt damit wesentlich zu einem "Klima des Willkommenheißens" und zur örtlichen Integration bei.
Diese Liste ist nicht vollständig, und jeder potenzielle Standort hat individuelle Vor-Ort- Befindlichkeiten. Eine positive Anteilnahme am Schicksal der Flüchtlinge ist oft mit einer hohen Wirtschaftskraft und niedrigen Arbeitslosenzahl verbunden. Eine große Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt kann sich dagegen negativ auswirken.
Veröffentlicht in: neue caritas - Migration und Integration Info, Ausgabe 3/2015