Geflüchtete erzählen in Münster von ihrem Ankommen
An jedem ersten Donnerstag im Monat treffen sich ungefähr 15-20 Menschen aus verschiedenen Nationen im Pfarrheim St. Nikolaus in Münster-Wolbeck. Dort tauschen sie sich bei Kaffee und Kuchen miteinander aus, lauschen Fachvorträgen sowie Informationen und werden durch uns Sozialarbeiterinnen des Caritasverbandes der Stadt Münster, Manuela Willenborg und Christina Quaing, beraten.
Gemeinsam das Fastenbrechen feiern
Zwei Gäste unterhalten sich am Kaffeetisch.Marion Egenberger
Am 5. Juni 2019 stand etwas Besonderes auf dem Plan: Wir feierten miteinander das Ende des Ramadans und veranstalteten dazu ein Erzählcafé. In bunt gemischter Runde stellten wir Fragen, wie beispielsweise "Wie habt Ihr das Ankommen hier in Deutschland erlebt? Was war anders, was vertraut? Wer oder was war hilfreich, um sich zurechtzufinden?" Sowohl die geflüchteten Menschen als auch die Ehrenamtlichen beteiligten sich rege am Gespräch. Zu Beginn gab es große Ängste, so berichten mehrere Frauen: die Sprache, die Kultur, das Wohnen in Flüchtlingsunterkünften, die oft sehr behelfsmäßig waren - all das wurde zunächst als großer Schock empfunden. Nadia, eine Mutter von drei Kindern aus Syrien, berichtet: "Am Anfang war alles schwierig. Wir konnten die Sprache nicht, wir wussten nicht, ob wir hier bleiben können".
Gheed engagiert sich mittlerweile als Kulturmittlerin
"Wir hatten Angst, aber als wir die Leute hier trafen, waren sie richtig freundlich und das machte uns alles leichter. Wir möchten eine Beziehung zu den Menschen hier haben und durch die Deutschkurse von Gerhard, Bärbel und Elsbeth haben wir schnell die Sprache erlernt. Das ist das Wichtigste, dass man sich versteht", ergänzt Bothaina, ebenfalls syrische Mutter von drei Töchtern. Ihre 16-jährige Tochter Gheed berichtet, dass sie hier in Münster sehr schnell Freunde fand und die Sprache sprechen konnte. Zunächst war die Familie aber in München, Karlsruhe und Mannheim bevor sie hier eine neue Heimat fanden: "Ich interagiere sehr schnell mit Leuten, bin offen und das hat es leichter gemacht. Die Leute lächeln einen an und ich hatte nicht das Gefühl, dass ich hier nicht erwünscht bin und auch auf dem Gymnasium orientiert man sich zunächst an den anderen, aber sie reden mit dir und sind interessiert an dir". Gheed arbeitet neben der Schule ehrenamtlich als Kulturmittlerin und möchte dabei helfen, dass man einander besser versteht.
Kinder lernen Deutsch am schnellsten
Dass die Kinder sich besonders schnell in die neue Situation einfügen konnten bestätigen auch die Ehrenamtlichen. Sie lernen die Sprache so viel leichter als Erwachsene und finden sich sehr viel schneller zurecht. Oft haben sie zu Beginn auch schon für ihre Eltern übersetzt. Humai aus Aserbaidschan kam mit ihrer Familie vor drei Jahren hier an. Damals war sie acht Jahre alt. Sie berichtet, dass sie sehr neugierig auf das Land und die Schule war: "Ich kannte keinen, aber nach einiger Zeit habe ich viele Freunde bekommen und habe dann immer Weihnachtslieder gesungen." Was war anders als in Aserbaidschan? "Dort gab es viel mehr Hausaufgaben als hier in Deutschland. Mein Opa musste mir damals immer bis spätabends alles erklären und ich hatte nicht so viel Schlaf. Jetzt habe ich auf dem Zeugnis fast nur Einsen und gehe aufs Gymnasium." Den Kontakt zu Lehrern und den Pädagogen vom Ganztag halten die Anwesenden für wichtig, um auf dem Laufenden zu sein, ob ihre Kinder gut mitkommen oder Unterstützung brauchen. Nadia merkt an, dass ihrer Ansicht nach die Jungen es in der Schule etwas schwerer hätten als die Mädchen, weil sie mehr spielen und weniger lernen wollten. Die anderen Anwesenden, fast alle selbst Eltern oder Lehrer, nicken mit wissendem Lächeln.
Es dauert fast fünf Jahre, um wirklich anzukommen
"Wie lange hat es für die Erwachsenen gedauert bis sie sich angekommen fühlten?", möchte die Sprachpatin Marianne wissen, die seit einiger Zeit Samia unterstützt. Vier bis fünf Jahre, so berichten die Geflüchteten. Mittlerweile fühle man sich wohl hier und hätte schon viel geschafft. "Man darf aber nicht ungeduldig sein", ergänzt Bärbel, die mit ihrem Mann Gerhard schon von Anfang an sehr aktiv in der Flüchtlingshilfe Münster Süd-Ost dabei ist. Die beiden pensionierten Lehrer kritisieren, dass viele Männer in ihrer Heimat tolle Positionen hatten, die sie aber der Sprache wegen nicht hier ausführen können. Die Menschen bräuchten Arbeit und wollten nicht nur die Sprache lernen. Viele der Geflüchteten hätten mittlerweile Arbeit, aber häufig eben nicht ihrer eigentlichen Qualifikationen entsprechend. Kritisch wurden auch die Prüfungen B1 und B2 gesehen: "Die Bücher für die B1-Prüfung sind total schwer verständlich und gehen an der Lebensrealität vorbei. Vom Bewerbungsschreiben sind wir noch weit entfernt", bemängelt Marianne. Auch Eva, die mit Janine zusammen den Frauentreff organisiert, hält es für wichtiger, miteinander zu kommunizieren als den Prüfungsdruck auszuhalten - gerade auch für die älteren Geflüchteten.
Was besonders geholfen hat
Wir fragen, wer oder was in der Rückschau besonders hilfreich war und die Antworten darauf kommen sehr schnell: "Unsere Sprachlehrer, die ehrenamtlichen Paten und Helfer, die Sozialarbeiter und vor allem auch Maria Elia!" Maria Elia lebt seit 30 Jahren in Deutschland und kennt fast alle geflüchteten Familien. Sie hat viel übersetzt, ist mit zu Ärzten gegangen und bringt Menschen zusammen: "Ich wollte auch was zurückgeben, weil mir selbst auch viel geholfen wurde". Als ebenfalls sehr unterstützend werden die verschiedenen Angebote gesehen, die es im Stadtteil gibt, wie den wöchentlichen Frauentreff oder auch das Café International. Wichtig sind allen der Austausch und die Gemeinschaft miteinander. Gerade auch mit den Wolbecker Helfern sind mittlerweile enge Freundschaften entstanden. Diese Herzlichkeit und Nähe ist an diesem Nachmittag auch besonders spürbar.
Autorinnen: Manuela Willenborg & Christina Quaing