Stiften ist mehr als Zinsen ausschütten und Nächstenliebe
Es ist müßig, an dieser Stelle zum zigsten Male die Niedrigzinsphase und damit zusammenhängend die Existenzkrise vieler Stiftungen beziehungsweise ihrer Geschäftsmodelle zu beschreiben. Hierzu passt die kürzliche Äußerung des Generalsekretärs des Bundesverbands Deutscher Stiftungen, Felix Oldenburg, der sinngemäß sagte: Es könne doch nicht sein, dass sich die Stiftungen in ihrer tradierten Kapital-Rendite-Orientierung immer noch ausschließlich abhängig machten von Entscheidungen der Europäischen Zentralbank (EZB) oder anderer weltweiter Finanzmarktregularien.
Er meint damit die unsägliche Abhängigkeit und die Einbahnstraße von Kapitalerträgen, um Stiftungen und deren Arbeit am Leben zu erhalten. Die Strategie des magischen Dreiecks "Sicherheit-Rendite-Verfügbarkeit" hat ihre Wirk- und Ertragskraft seit einigen Jahren verloren, und so wird es wohl auch noch längere Zeit bleiben (s. dazu auch neue caritas, Heft 2/2018, Artikel "Zum Verbrauch von Stiftungsvermögen").
Und er setzt noch etwas obendrauf - und bringt zwei Beispiele, die das (radikal) notwendige Umdenken in der Stiftungslandschaft verdeutlichen sollen: Eine Stiftung lege viel Geld an, um mit einer relativ kleinen Zinsrendite Erträge zu erwirtschaften, um daraus beispielsweise eine Kindertagesstätte zu fördern. Warum denn nicht gleich das Geld der Kindertagesstätte (zum Beispiel als zinsloses/zinsgünstiges Bau- oder Ausstattungsdarlehen) zur Verfügung stellen?
Noch sehr viel weitergehender oder gar provozierender ist seine zweite Botschaft mit der Frage, welches denn das größte soziale Projekt im letzten Jahrzehnt war - größer als alle Bill-Gates-Stiftungen dieser Welt zusammengenommen? Seine Antwort: Es ist Wikipedia! Wikipedia als gigantische Plattform habe die Welt in einer Dimension positiv verändert, wie dies bisher kein soziales Projekt irgendeiner Stiftung geschafft habe.
Es stellt sich also Frage, warum wir nicht in jedem größeren Sozialraum gemeinsam eine "Vor-Ort-Stiftung-Wikipedia" für Gemeinwohlbelange aufbauen sollten? Stiftung 4.0 ist in unserer Szene noch ganz am Anfang.
Nun bin ich leider kein IT- oder Medienfachmann und muss auch gestehen, dass diese Dimensionen für unsere überschaubare Stuttgarter Caritas-Stiftung weit weg sind, und dennoch versuchen auch wir, mit verschiedenen Bausteinen neue Wege zu gehen.
Nachfolgend ein paar Aspekte aus unserer Arbeit.
Zinsen vergehen - Quadratmeter bestehen
Zusammen mit dem Stuttgarter Caritasverband verfolgen wir seit Jahren eine geänderte Vermögensanlagestrategie "Sozialimmobilien - neue Strategie eines aktiven Welfare Real Estate Managements".
Die Ambulantisierung und Gemeinwohlorientierung in fast allen sozialen Hilfefeldern unseres Verbandes erfordern eine neue operative und strategische Ausrichtung des Immobilienportfolios. Vom früheren notwendigen Übel wird die Immobilienbeschaffung und -verwaltung zu einem Hauptprozess und Grundlage für die Gestaltung sozialer Arbeit.
Verschiedene flexible Modelle generieren ein stetiges Wachstum im Sozialimmobilienbereich unserer Stiftung:
- Investor-Betreiber-Modelle: Investor ist eine Stiftung, ein Stifter oder ein Sozialinvestor; Betreiber und Generalmieter der Immobilie ist der Caritasverband für dessen vielfältige soziale Nutzungszwecke;
- Nicht-Kümmerer-Modelle der Caritas zur ganzheitlichen Entlastung des privaten Immobilieneigentümers in seiner Vermieterstellung;
- besondere Angebote für Senioren-Immobilien: Caritas-Hausstifter-Rente, Wohnungstausch, Verkauf von Wohnrechten - das Thema "Immobilien" hat auch in unserem Erbschaftsmarketing einen besonderen Stellenwert;
- Club Deal - gemeinsame Immobilienanlagen für Stifter oder Stiftungen, die sich nicht alleine an ein Projekt binden wollen.
Nachhaltiges Investieren mit Rendite bei der Caritas-Stiftung Stuttgart kann im folgenden Investoren-Schaubild mit konkreten Projekten unserer Stiftung verdeutlicht werden:
Vereinfachte Beispielrechnung:
Stiftungskapital eine Million Euro - Zinsertrag 2 % = 20.000 €
Dasselbe Geld in eine Wohnimmobilie investiert - plus 1,5 Millionen Fremdkapital - ergeben in Stuttgart eine Neubauwohnfläche von etwa 700 Quadratmetern. Das sind circa 14 Wohneinheiten. 700 qm x 12 € x 12 Monate = 100 T€ Mieteinnahmen = 4 % Investrendite (gemessen an 2,5 Mio. € Investkosten) - vor Finanzierungskosten, das heißt, von diesen Einnahmen gehen dann Zins und Tilgung weg. Das Win für den Stifter und für die Sozialarbeit ist offensichtlich.
Unternehmerische Stifter - ihr Know-how ist Gold wert
Unsere Stifter bringen oft genug aus ihrem Leben ein wertvolles Wissen mit. Ein international erfahrener Finanzexperte, ein führender Lebensmittelproduzent, ein erfolgreicher Architekt oder Jungunternehmer im Sport- und Immobiliensektor - dieses Experten- und Fachwissen ist Gold wert.
Selbstkritische Frage: Binden wir dieses unternehmerische Know-how genügend in unsere Stiftungsarbeit und unsere Zukunftsstrategien mit ein? Aktuell überlegen wir, mit einem Stifter zusammen eine eigene gewerbliche Firmierung zu gründen.
Young stiften
Das Engagement junger Stifter unterscheidet sich in der Regel deutlich von älteren Stiftern: Sie wollen eher gestalten statt "nur" helfen. Sie sind medienaffin und haben darüber ein großes Netzwerk, das sie gerne in ihr stifterisches Engagement einbringen.
Auch an diesem Punkt erlebe ich unsere Stiftungen eher als noch zu wenig kreativ und eher traditionell. Der bewährte Caritas-Hilfeslogan "Not sehen und handeln" müsste für unsere stifterorientierte Arbeit umformuliert werden: "Den Stiftern eine Plattform und Unterstützung geben - für deren Projekte und deren sozialunternehmerische Ansätze." Noch viel zu oft bitten wir nur um Geld, um dann im eingangs beschriebenen Sinne das Geld zu begraben und nicht arbeiten zu lassen.
Nachhaltiges Stiften - mehr als Philanthropie
Nachhaltiges sinnstiftendes Investieren müsste noch deutlich mehr zum Markenzeichen von unseren Stiftungen werden. Stifterisches Projekt-Hopping mit kurzem Strohfeuercharakter verpufft und hat keine nachhaltige Wirkung.
Die Fragen, die für Eine-Welt-Projekte gelten, gelten auch für eine stifterische Förderpolitik: Was geschieht mit dem Projekt nach dem Förderende? Gibt es Messkriterien für einen Projekterfolg?
Dem Irrlichtern mit immer neuen Projekten kann/muss entgegengewirkt werden mit "Förderrichtlinien" - die zwingen zum Innehalten und reflektieren, was im Kern eigentlich Stiftungsförderauftrag sein soll. Aber Achtung - kein Flüchten in bürokratische Auflagen und vermeintliche Sicherungsinstrumente. Ein kritischer Projektbesuch vor Ort ist oftmals effizienter als 20 Seiten Papier.
Zum Abschluss ein Bonmot aus einer kürzlichen Brainstorming-Runde: "Es ist ja schön, dass der heilige Sankt Martin seinen Mantel geteilt hat. Damit hat er einem Armen geholfen. Was aber wäre, wenn er eine Mantelfabrik gegründet hätte?"
Kindern Chancen schenken
Beratung – ein attraktives Feld kirchlicher Sozialer Arbeit
Wohlfahrtsverbände sollten auf ihr gemeinnütziges Potenzial achten
Teilhabe gilt nicht für alle
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}