Nächste Hilfe Bahnhofsmission
Wer nutzt eigentlich die unterschiedlichen Hilfeangebote der bundesweiten Bahnhofsmissionen? Welche Leistungen werden besonders in Anspruch genommen? Wie zufrieden sind die Besucher(innen) mit den Angeboten? Diese und ähnliche Fragen wurden in einer gesamtdeutschen Nutzer(innen)befragung der Bahnhofsmissionen näher beleuchtet.1 Ziel war es, zusätzlich zu den jährlich erhobenen Statistiken der Bahnhofsmissionen weitergehende Informationen darüber zu gewinnen, in welchen Lebenssituationen sich deren Besucher(innen) befinden und welche Angebote als besonders hilfreich und wichtig eingeschätzt werden.
Zwischen Oktober 2016 und Februar 2017 beteiligten sich 68 der insgesamt 104 Bahnhofsmissionen verteilt über das gesamte Bundesgebiet an der Erhebung. Befragt wurden insgesamt fast 2000 Nutzer(innen) mittels schriftlicher Fragebögen in mehreren Sprachen.
Eine erste Erkenntnis der Untersuchung ist, dass es die typische Nutzerin beziehungsweise den typischen Nutzer der Bahnhofsmissionen nicht gibt. Vielmehr unterscheiden sich die Menschen, die die Angebote der Bahnhofsmissionen in Anspruch nehmen, in vielen Merkmalen wie zum Beispiel Geschlecht, Schulabschluss, Lebenssituation, Alter und Herkunft.
Gleichwohl lassen sich zwei Nutzertypen unterscheiden: "Gäste" und "Reisende". Reisende kommen mit der Bahnhofsmission hauptsächlich aufgrund einer (Bahn-)Reise in Kontakt und nehmen vor allem die Reise- und Mobilitätshilfen in Anspruch. Personen aus der Gruppe der Gäste hingegen nutzen aufgrund ihrer persönlichen Lebenslage primär die soziale und materielle Unterstützung der Bahnhofsmissionen. Obwohl Überschneidungen zwischen diesen Nutzertypen nicht auszuschließen sind, wurden die beiden Gruppierungen zu Zwecken der Vereinfachung der Auswertung zugrunde gelegt. Die Geschlechterverteilung unterscheidet sich erheblich zwischen den zwei Nutzertypen. Während sich in der Gruppe der Reisenden Männer und Frauen analog zum gesamtdeutschen Durchschnitt zu fast gleichen Teilen wiederfinden, überwiegen die männlichen Nutzer in der Gruppe der Gäste (circa 66 Prozent). Es sind also überwiegend Männer, die soziale und materielle Hilfsangebote der Bahnhofsmissionen wahrnehmen.
Die Hälfte der "Gäste" hat keinen Job
Fast die Hälfte der befragten "Gäste" (47 Prozent) gab an, momentan erwerbslos zu sein. Einem Beruf gingen nur 16 Prozent nach. Von den restlichen Gästen berichteten 32 Prozent, Rente oder Pension zu beziehen, und fünf Prozent, noch in der Ausbildung zu sein.
Im Vergleich dazu befanden sich in der Gruppe der "Reisenden" 35 Prozent der Personen in einer Erwerbstätigkeit. Nur 19 Prozent äußerten, dass sie derzeit erwerbslos seien. Der Anteil an Personen, welche Rente oder Pension bezog, lag bei 30 Prozent. Ungefähr 16 Prozent der Befragten befanden sich noch in der Ausbildung.
Vor allem die hohe Quote der erwerbslosen Besucher(innen) ist auffällig. Laut den Angaben des Statistischen Bundesamtes lag die Erwerbslosenquote in Gesamtdeutschland im Jahr 2016 bei nur 3,9 Prozent und somit erheblich unter den Werten der "Gäste" und "Reisenden".2
Das Angebotsspektrum ist den Besuchern bekannt
Die Angaben zur Erwerbstätigkeit der Nutzer(innen) der Bahnhofsmission spiegeln sich in den Ergebnissen zu deren Einkommensverhältnissen wider. Mehr als die Hälfte der Personen in der Gruppe der "Reisenden" gab an, im Monat mehr als 1000 Euro Nettoeinkommen zur Verfügung zu haben. 15 Prozent der Befragten können über mehr als 2000 Euro monatlich verfügen.3
In der Gruppe der "Gäste" hingegen berichteten über 56 Prozent, im Monat nicht mehr als 500 Euro zu haben. Und sogar nur 20 Prozent erhielten über mehr als 1000 Euro. Der offizielle Armutsschwellenwert lag in Deutschland im Jahr 2015 laut Statistischem Bundesamt bei 942 Euro im Monat. Demnach sind über drei Viertel der "Gäste" unmittelbar von Armut betroffen.
Die Mehrheit der Angebote der Bahnhofsmissionen war den "Gästen" gut bekannt. Vergleichsweise intensiv nutzten sie die Angebote "Verpflegung", "Aufenthalt" und "Gesprächsmöglichkeiten". Häufig gaben sie auch an, die Hilfen bisher mehr als einmal in Anspruch genommen zu haben. Im Vergleich dazu wurden die "Kleider-/Versorgungsausgabe", "Beratung, Krisenhilfe und Vermittlung" sowie "Akutnothilfe" eher selten mehrfach genutzt. Dies weist darauf hin, dass diese Leistungen akuten Notfällen vorbehalten sind. Alle Angebote wurden von den "Gästen" durchweg als nützlich und hilfreich bewertet.
Die Bekanntheit der unterschiedlichen Angebote war bei den "Reisenden" im Vergleich zu der Gruppe der "Gäste" etwas geringer. Häufig genutzt wurden von ihnen "Auskünfte und Beratung bei Reisen", "Ein-, Aus- und Umsteigehilfen", "Aufenthaltsmöglichkeiten" und "Verpflegungsangebote". Auch in dieser Gruppe gaben die Befragten an, dass sie die Hilfen für sich als nützlich und hilfreich erlebt haben.
Dabei stellte sich auch die Frage, wie regelmäßig die Angebote angenommen werden. In der Gruppe der "Gäste" antworteten fast 70 Prozent, dass sie diese wöchentlich oder sogar täglich in Anspruch nehmen. Bei den Reisenden hingegen gab ungefähr die Hälfte an, die Unterstützung der Bahnhofsmission eher monatlich oder noch seltener zu beanspruchen.
Gründe für die Nutzung
Sowohl von den "Gästen" als auch von den "Reisenden" wird die Bahnhofsmission vor allem wegen ihrer niederschwelligen Zugangsmöglichkeit aufgesucht. Menschen können ohne Termin und Druck kommen und dabei anonym bleiben. Darüber hinaus schätzen die Besucher(innen), dass sie von den Beschäftigten in der Bahnhofsmission vorurteilsfrei angenommen werden und von diesen einfach und ohne großen oder formalen Aufwand Hilfe erhalten. Personen in der Gruppe der "Gäste" nutzen die Angebote neben der Niedrigschwelligkeit vor allem auch, weil sie dort andere Menschen unterschiedlichster Art treffen und somit Anschluss finden können. Außerdem hat die Bahnhofsmission für sie einen gewissen "Erlebnischarakter". Viele "Gäste" verbringen gerne Zeit am Bahnhof, da sie sonst nur wenig zu tun haben, und erleben die Bahnhofsmission häufig auch wie ein "zweites Wohnzimmer". Für die "Reisenden" tritt der Erlebnis- und Begegnungscharakter eher in den Hintergrund. Sie bevorzugen vor allem die Unterstützung der Bahnhofsmission bei Reisen, die so für sie einfacher oder überhaupt erst möglich werden.
Obwohl die Befragten auch einige sachliche Kritik äußerten (zum Beispiel zu knappe Öffnungszeiten oder die eingeschränkte Raumsituation) und Verbesserungsvorschläge einbrachten, fanden sich auf den Fragebögen vor allem Lob und Dankbarkeitsbekundungen, die den ehren- und hauptamtlichen Beschäftigten der Bahnhofsmissionen galten. Diese wurden in zahlreichen offenen Antworten als äußerst herzlich, freundlich, wertschätzend, annehmend, kompetent und vor allem hilfsbereit beschrieben. Diese Einschätzung teilten die Gruppe der "Reisenden" und die der "Gäste" in gleichem Maße.
Insgesamt gaben die Befragten an, mit der Arbeit, der Zugänglichkeit sowie der Erreichbarkeit der Bahnhofsmission sehr zufrieden zu sein. Dabei wurden keine Unterschiede zwischen den zwei Nutzertypen gefunden.
Reflexion der Ergebnisse
Die Gesamtergebnisse der Nutzer(innen)befragung wurden allen ehren- und hauptamtlichen Beschäftigten der Bahnhofsmissionen in Form von aufbereiteten Zwischenberichten (geclustert nach Stadtgrößen) zur Verfügung gestellt.
Die Befunde wurden bis Juli 2017 innerhalb der einzelnen Bahnhofsmissionen vor dem Hintergrund der eigenen Arbeit, Erfahrungen sowie Statistiken interpretiert und reflektiert. Ziel war es, dass sich die Mitarbeiter(innen) momentanen Stärken der eigenen Arbeit genauso wie organisationalen Problemfeldern, Widersprüchen und Entwicklungspotenzialen bewusst werden und diese für Organisationsentwicklungszwecke auch dokumentieren.
Auf Basis der Befragungs- wie Reflexionsergebnisse kann die Arbeit der Bahnhofsmissionen nun lokal wie überregional weiterentwickelt werden. Gleichzeitig liefern die Ergebnisse des Sozialmonitorings Grundlagen für anwaltschaftliches Lobbying und strategische Überlegungen.
Anmerkungen
1. Die Studie wurde von der IN VIA Sozialwissenschaftliche Forschungsstelle (SoWiFo) Paderborn unter wissenschaftlicher Begleitung der Universität Paderborn umgesetzt und ausgewertet. Der finale Projektbericht erscheint spätestens März 2018 im IN VIA-Verlag und wird über die Homepage des Verlags (www.invia-akademie.de/in-via-verlag) sowie der Bahnhofsmission (www.bahnhofsmission.de) zum Download kostenfrei zur Verfügung stehen. Im Bericht werden auch die Ergebnisse der internen Reflexionsrunden der teilnehmenden Bahnhofsmissionen dokumentiert. Das Monitoringvorhaben wurde aus Geldern der Glücksspirale finanziert.
2. Statistisches Bundesamt (Destatis) (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch. Deutschland und Internationales 2017. Wiesbaden, 2017.
3. Ebd.
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