Familienpflege: Einsatz, der sich lohnt
Familienleben zu gestalten ist kein Kinderspiel. Zur Bewältigung ihres Alltags brauchen Familien sowohl die erforderlichen Ressourcen als auch vielfältige Kompetenzen. Wie wichtig diese sind, zeigt sich erst in akuten Krisen oder besonderen Belastungssituationen. Dies gilt auch für Situationen, in denen der Zusammenhalt besonderen Herausforderungen ausgesetzt ist. Werden Familien von schwerer Krankheit oder anderen Schicksalsschlägen getroffen, sind die Kinder besonders verletzlich.
Mit ihren drei zentralen Handlungsebenen und ihren professionellen Qualifikationen in den Bereichen Hauswirtschaft, Erziehung und Pflege interveniert die Familienpflege in akuten familiären Not- und Belastungssituationen. Dabei werden vor allem die aufsuchende, alltagspraktische Arbeitsweise und die hohe soziale Kompetenz der Familienpflegerinnen als erfolgreiche Stütze der Familien angesehen.
Die Familienpflege stellt immer noch einen elementaren familienunterstützenden Dienst der Caritas an der Schnittstelle von Gesundheitshilfe und Jugendhilfe dar. Eine Studie des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung e.?V. (DIP) belegt, dass Familien durch die Unterstützung der Familienpflege Notsituationen besser bewältigen können. Dadurch können Ressourcen von Eltern und vor allem von Kindern nachhaltig gestärkt werden.
Der Bedarf wächst, doch die Finanzierung ist gefährdet
Die Caritasverbände in der Diözese Trier bekennen sich nachdrücklich zur Familienpflege mit ihrer interdisziplinären Fachlichkeit und stellen die Ressourcen für die fachliche Ausgestaltung und Qualifizierung der Mitarbeiter(innen) in ihren Familienpflege-Diensten in Rheinland-Pfalz und im Saarland zur Verfügung. Aber trotz kontinuierlich steigender Hilfebedarfe von Familien in akuten Not- und Belastungssituationen haben sich die finanziellen Rahmenbedingungen für die Familienpflege in den letzten Jahren verschlechtert. Mehr noch: Sie gefährden zunehmend das bestehende Angebot. Allein um dieses zu erhalten, investieren die Caritasverbände in der Diözese Trier seit Jahren in erheblichem Maße Eigenmittel. Um hier Schlussfolgerungen für die zukünftige Ausgestaltung und Finanzierung der Familienpflege abzuleiten, fehlte es bisher an gesicherten Daten, Einschätzungen und Erkenntnissen. Weder in der pflegerischen Fachdiskussion noch in der Forschung zur Versorgung der Bevölkerung mit sozialen Dienstleistungen und deren Nutzung erfährt die Familienpflege großes Interesse. Auch gab es bisher kaum wissenschaftliche Untersuchungen zum Arbeitsfeld der Familienpflege, zu ihren Effekten und ihrer Wirtschaftlichkeit sowie zu ihrer Wertschätzung beziehungsweise Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.1
Um die Leistungen der Familienpflege-Dienste anhand aktueller Daten und auf der Grundlage eigens erhobener Aussagen strukturiert und umfassend zu analysieren und darzustellen, haben der Caritasverband für die Diözese Trier e.?V. und die Arbeitsgemeinschaft der Sozialstationen in Rheinland-Pfalz und im Saarland im Jahr 2015 eine Statusanalyse der Familienpflege-Dienste im Bistum Trier beim DIP in Auftrag gegeben.
Studie stellt Familienpflege auf dem Prüfstand
Ziel der Untersuchung war es, alle relevanten Tätigkeiten der Familienpflege aus fachlicher Sicht zu erheben und zu analysieren, deren Wirksamkeit einzuschätzen und damit auch die Relevanz der Leistungen zu beurteilen. Ausgewertet wurden statistische Leistungsdaten, Interviews mit Leitungskräften, mit Mitarbeitenden sowie mit ehemaligen Leistungsempfänger(inne)n beziehungsweise Familien.
In die Untersuchung wurden alle zehn Familienpflege-Dienste der regionalen Caritasverbände in der Diözese Trier mit ihren Einzugsgebieten in Rheinland-Pfalz und im Saarland einbezogen. Die Ergebnisse der DIP-Studie zur Familienpflege wurden zum Ende der Projektlaufzeit einer breiten Öffentlichkeit präsentiert.2
Die statistische Analyse der Einsätze des Jahres 2014 ergab, dass insgesamt mehr als 1300 Menschen und darunter mehr als 800 Kinder auf die Leistungen der ambulanten Familienpflege angewiesen waren beziehungsweise von ihr profitierten. Insgesamt begleiteten Familienpflegedienste in Trägerschaft von Caritasverbänden in der Diözese Trier 339 Familien in Krisen und Belastungssituationen mit einem Leistungsumfang von insgesamt 37.332 Einsatzstunden. In einem Drittel der unterstützten Familien (34 Prozent) waren zwei Kinder zu versorgen. In rund einem Viertel der Familien (28 Prozent) lebte ein Kind, in knapp jeder fünften Familie (18 Prozent) lebten drei und in jeder sechsten Familie (16 Prozent) mehr als drei Kinder. Leistungsauslösende Anlässe für Familienpflege-Einsätze waren dabei vor allem Belastungs- und Überforderungssituationen von Familien, gesundheitsbedingte Einschränkungen sowie Risikoschwangerschaften.
Knapp die Hälfte aller Einsätze im Jahr 2014 erfolgten als "klassische Familienpflege" auf der Grundlage des SGB V. Hauptgründe waren hier Entbindung und Risikoschwangerschaft, ambulante Behandlung der haushaltsführenden Person sowie psychische Erkrankungen und stationäre Krankenhausaufenthalte. Rund jeder vierte Einsatz der Familienpflege wurde im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII durchgeführt. Die häufigsten Gründe für Einsätze im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe waren Belastungs- und Überforderungssituationen sowie psychische Erkrankungen. Mehr als zwei Drittel dieser Einsätze waren dabei spezialisierte Einsätze des Haushalts-Organisations-Trainings (HOT3) und knapp ein Viertel waren klassische Familienpflege-Einsätze. Nur knapp jeder zehnte Einsatz erfolgte auf der Grundlage des SGB XI
Die Situation beruhigen, Selbsthilfekräfte stärken
Die wichtigste Wirkung der Familienpflege besteht laut DIP-Studie in der Beruhigung und Stabilisierung der Familiensituation in der Krise. Hauptziel ist dabei, dass die haushaltsführende Person ihre Gesundheit und Selbstständigkeit wiedererlangt, damit so die Versorgung und Begleitung der Kinder gesichert ist. Oft handelt es sich dabei um komplexe Interventionen in einem dynamischen Zusammenspiel von Ursachen und Wirkungen. Wird die Organisation des Haushaltes zielführend gestützt, sind auch die Bewältigung der Krisensituation und eine Stressreduktion in den Familien möglich. Durch Förderung vorhandener und gegebenenfalls Hilfe beim Aufbau neuer Netzwerke werden Zeit und Raum für Genesung und Gesundung gewonnen. Eine erfolgreiche Stressbewältigung ist insbesondere im Hinblick auf das Kindeswohl bedeutend. Dadurch wird eine Pathologisierung und Chronifizierung defizitärer wie gesundheitlich belasteter Familiensituationen vermieden. Bestätigt werden diese Einschätzungen durch viele Erfahrungen der Professionellen und der Familien. Ohne die Einsätze der Familienpflege hätte den erhobenen Aussagen zufolge die große Gefahr bestanden, dass Krisen schlimmer, Krankheiten langwieriger und die Versorgungssituation von Kindern schlechter gewesen wären. Ohne die Unterstützung könnten Auswirkungen auf das Familiensystem schwerwiegender und mithin existenzbedrohend werden.
Die häusliche Familienpflege stellt bereits heute eine herausfordernde und hochanspruchsvolle Tätigkeit dar. Angesichts gesellschaftlicher Veränderungsprozesse und zunehmend schwierigerer Lebens- und Bedarfslagen von Familien steigen sowohl die Nachfrage als auch die Anforderungen an die Familienpflege. Merkmale hierfür sind unter anderem die Zunahme von Belastungs- und Überforderungssituationen und von psychischen Erkrankungen sowie das Wegbrechen familiärer und sozialer Unterstützungsstrukturen. Verschärft werden diese Entwicklungen durch räumlich getrennt lebende Familien und hohe Flexibilitätsanforderungen der Arbeitswelt.
Eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung
Die Statusanalyse der Familienpflege in den Caritasverbänden der Diözese Trier macht deutlich, dass die professionellen Angebote der Familienpflege nachhaltige Investitionen in die Unterstützung von Familien darstellen. Die Familienpflege trägt nachweislich dazu bei, die Gesundungsprozesse zu fördern, das Kindeswohl zu sichern und den Zusammenhalt von Familien auch in Notsituationen zu ermöglichen. Nicht zuletzt wird durch diese zeitlich befristete Stabilisierung auch der Erhalt des Familieneinkommens gesichert. So wird es Familien möglich, gemeinsam Krisensituationen zu bewältigen und gestärkt aus ihnen hervorzugehen.
Die Familienpflege nimmt damit eine zentrale Verbindungs- und Schnittstellenfunktion im Netz der ambulanten sozialpflegerischen Hilfen für Familien ein. Dieses große Potenzial und Alleinstellungsmerkmal der Familienpflege in der Palette der familienunterstützenden Angebote gilt es anzuerkennen und wertzuschätzen. Die Unterstützung von Familien in oft existenziellen Ausnahmesituationen durch die Familienpflege ist eine grundlegende gesellschaftliche Aufgabe und politische Verantwortung, die gesichert, bedarfsgerecht ausgebaut und finanziert werden muss.
Doch bislang konnten nur mit wenigen Jugendämtern annähernd kostendeckende Vergütungssätze vereinbart werden, die Krankenkassen hingegen verweigerten der Familienpflege bislang auskömmliche
Entgelte. Inzwischen konnte mit der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland und der IKK
Südwest eine deutlich verbesserte, aber noch nicht auskömmliche Finanzierung vereinbart werden. Zukunftssichernde Rahmenbedingungen und eine wirtschaftlich kostendeckende Finanzierung durch die Kostenträger sind für den dauerhaften Fortbestand dieses Dienstes erforderlich. Die Ergebnisse der DIP-Studie belegen dies eindrücklich.
Anmerkungen
1. Lediglich zwei Untersuchungen von 1993 und 2000 sind in diesem Kontext von Interesse: Kühnert, S.; Frerichs, F.; Rehleder, C.: Bestandsaufnahme zur Situation der Familienpflege in Nordrhein-Westfalen und den daraus resultierenden Anforderungen an die Ausbildungsgestaltung zur staatlich anerkannten Familienpflegerin. Zusammenfassung. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Düsseldorf, 1993, sowie Dallinger, U.; Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb): Familienpflege in Bayern: Kurzbericht. Bamberg, 2000 (ifb-Materialien 7/2000). URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-125188.
2. Weidner, F.; v.d. Malsburg, A.: Statusanalyse der Familienpflegedienste von Caritasverbänden in der Diözese Trier. Köln, 2016. Kostenloser Download unter: www.dip.de/materialien
3. Das Haushalts-Organisations-Training® (HOT) richtet sich an Familien, denen die angemessene Versorgung ihrer Kinder nicht mehr aus eigener Kraft gelingt und denen grundlegende Kenntnisse der Haushaltsführung fehlen. Es umfasst Inhalte, Methoden, Qualitätsstandards und das Fortbildungskonzept. HOT ist ein Handlungsansatz der sozialen Arbeit, der Befähigung und Teilhabe in den Mittelpunkt stellt. Somit setzt es einen zentralen Auftrag der Caritas in praktisches
Handeln um. Mehr Infos unter: www.caritas.de/glossare/hot-haushaltsorganisationstraining
Wie aus einem Altenheim das Quartierszentrum wurde
Leitung braucht Zeit
Die Kommunen sind gefragt
Anforderungsprofil für Aufsichtsräte in der Caritas
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}