Wenn Pflegepersonen krank werden, was dann?
Pflegepersonen sind Menschen, die pflegebedürftige Familienangehörige in ihrem häuslichen Umfeld betreuen. Sie leisten einen wichtigen, dreifachen Dienst: Sie erfüllen ihren Angehörigen den Wunsch, zu Hause gepflegt zu werden, sie entlasten mit ihrer in der Regel unbezahlten Dienstleistung die Sozialversicherungskassen und sie überbrücken mit ihrer Arbeit den voranschreitenden Pflegekräftemangel in Deutschland. Seit Jahren steigt die Zahl der Pflegepersonen sowie ihre Bedeutung für die Gesundheitsversorgung in Deutschland.
Zahlen, Daten, Fakten
Die Zahl der Pflegebedürftigen wurde in den Debatten zur neuesten Pflegereform auf 2,5 Millionen festgelegt. Diese Einschätzung basiert wohl auf der Zahl derer, die Leistungen der Pflegeversicherung beziehen. Über diese Personengruppe hinaus gibt es weit mehr Personen mit Pflege- und Hilfebedarf, die nicht zum Empfang von Leistungen berechtigt sind oder aus anderen Gründen keine Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen. Auf Basis von Panelbefragungen schätzen die Wissenschaftler Johannes Geyer und Erika Schulz diese erweiterte Gruppe von Pflegebedürftigen auf 5,4 Millionen Menschen, wovon etwa 4,7 Millionen zu Hause in unterschiedlichem Umfang betreut werden.
Laut dem Statistischen Bundesamt wächst der Pflegebedarf jährlich. Allein im Zeitraum zwischen 2011 und 2013 hat sich die Zahl der Pflegebedürftigen, die durch Pflegepersonen betreut werden, um mehr als fünf Prozent erhöht. Parallel zum Wachstum der Zahl der Pflegebedürftigen steigt auch die Zahl der Pflegepersonen. Die Gesamtzahl der Menschen, die sich mindestens eine Stunde pro Werktag um eine pflegebedürftige Person kümmern, lag 2012 bei circa vier Millionen. Die Mehrheit ist im erwerbsfähigen Alter und weiblich. Frauen machen über 90 Prozent der durch die gesetzliche Rentenversicherung erfassten Fälle aus, wie in der Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2014 zu lesen ist.
Gesundheitsrisiken der Pflegepersonen
Zu wenig Aufmerksamkeit wird der Tatsache geschenkt, dass Pflegepersonen durch die Pflegearbeit einem hohen gesundheitlichen Risiko ausgesetzt sind. Über zwei Drittel aller Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt, rechnete der Deutsche Bundestag im Jahr 2014. Das impliziert eine erhebliche und stetige Leistung: zur eigentlichen körperlichen und seelischen Betreuung kommt auch die 24-stündige Bereitstellung von Betreuungssicherheit für den Notfall dazu. Die Mehrheit der Pflegepersonen ist berufstätig und nicht wenige haben auch noch eigene, nicht volljährige Kinder zu Hause.
Pflegearbeit setzt Pflegepersonen über lange Zeit erheblichen körperlichen und psychischen Belastungen aus, und im Verlauf ihrer in der Regel jahrelangen Betreuung können ihre gesundheitserhaltenden Ressourcen langsam schwinden. Mit zunehmender Pflegezeit bricht bei vielen Pflegepersonen die Unterstützung aus den eigenen sozialen Netzwerken weg, weil zu wenig Zeit vorhanden ist, um diese aufrechtzuerhalten, oder weil sich die persönlichen sozialen Netzwerke vor allem bei älteren Pflegepersonen langsam durch Todes- und Krankheitsfälle auflösen.
Durch das Auseinanderklaffen von Belastungen und Ressourcen kommen Pflegende häufig an ihre Grenzen. Nicht selten leiden sie unter Schmerzen oder psychischen Störungen, die durch die Pflegearbeit verursacht oder verschlimmert werden.
Vor diesem Hintergrund sollten neue Möglichkeiten geschaffen werden, Pflegepersonen gesundheitlich zu fördern und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Pflegepersonen im erwerbsfähigen Alter zu stärken. Wir brauchen auch kreative Lösungen für Pflegepersonen, die selber krank werden und medizinische Leistungen in Anspruch nehmen müssen, damit sie in der Zeit ihrer Genesung nicht das Gefühl haben, ihren Angehörigen im Stich zu lassen.
Abhilfe durch das Erste Pflegestärkungsgesetz
Der Gesetzgeber hat 2014 auf diese Situation reagiert. Mit dem Ersten Pflegestärkungsgesetz, das am 1. Januar 2015 in Kraft getreten ist, wird die Dauer der Finanzhilfen für Verhinderungspflege sowie Kurzzeitpflege verlängert. Das Gesetz bringt zwar nur eine geringe Leistungsverbesserung bei der Verhinderungs- und der Kurzzeitpflege, bedeutet jedoch einen großen Schritt für Pflegepersonen, die einen Bedarf an stationärer medizinischer Rehabilitation haben, und zwar in den Bereichen chronische Schmerzen sowie psychische und psychosomatische Störungen. Erstmals kann eine Reha-Aufenthaltsdauer von bis zu sechs Wochen abgedeckt werden.
Dadurch, dass für die gesamte Zeit einer Reha-Maßnahme die Fremdleistung finanziell abgesichert ist, wird für viele Pflegepersonen die Inanspruchnahme von Reha-Leistungen erst ermöglicht. Diese Verbesserung ist zu begrüßen und mit entsprechenden Angeboten zu ergänzen.
Konkret läuft die Finanzierung wie folgt:?Ist die Pflegeperson durch Krankheit vorübergehend an der Pflege gehindert, übernimmt die Pflegeversicherung die Kosten für eine Verhinderungs- beziehungsweise eine Kurzzeitpflege. Diese beiden Leistungen der Pflegeversicherungskassen werden durch die Krankenkasse des Pflegebedürftigen verwaltet. Eine Ersatzpflege bis zu sechs Wochen pro Kalenderjahr ist möglich, und die Verhinderungspflege kann bis auf 150 Prozent des bisherigen Betrages des Pflegegeldes aus der Pflegekasse ausgeweitet werden. Die Kasse bezahlt in den Pflegestufen eins bis drei seit 2015 bis zu 1612 Euro pro Jahr. Die pflegebedürftige Person muss einen Eigenanteil leisten, der in der Regel bei unter 30 Euro pro Tag liegt. Sollten hierfür keine ausreichenden finanziellen Mittel vorhanden sein, kann beim zuständigen Sozialhilfeträger ein Antrag auf Kostenübernahme gestellt werden.
Wie hoch ist der Bedarf an Kurzzeitpflege?
Um Kenntnisse über ein begleitendes Betreuungsangebot für pflegebedürftige Angehörige während einer medizinischen Rehabilitation zu gewinnen, wurde im Oktober 2013 eine Umfrage unter den stationären Patienten in der Berolina Klinik (Löhne, NRW) durchgeführt. Die Berolina Klinik ist eine Vertragsklinik der Deutschen Rentenversicherung Bund. Sie ist spezialisiert auf stationäre medizinische Rehabilitationsleistungen für psychosomatische Störungen und orthopädische Krankheiten mit psychosomatischem Bestandteil.
Insgesamt wurden 450 Patientinnen und Patienten befragt. Jede(r) Fünfte der meist weiblichen Patienten hatte Pflegeverantwortung. Das entspricht fast genau dem in der Pflegestatistik des Statistischen Bundesamts geschätzten Anteil der Pflegepersonen in der deutschen Bevölkerung, ausgehend von circa vier Millionen Pflegepersonen und 67,7 Millionen erwachsenen Einwohnern. Ein Fünftel der Patienten leistete diese Pflege nach eigenen Angaben allein. Ein Drittel von denen, die aktuell nicht in einer Pflegeverantwortung stehen, sahen diese Aufgabe innerhalb der nächsten ein bis drei Jahre auf sich zukommen.
Die Möglichkeit, den pflegebedürftigen Angehörigen während einer eigenen Rehabilitationsmaßnahme unterbringen zu können, hielt etwa die Hälfte der Befragten für wichtig. Diese Zahlen sind nicht repräsentativ, aber sie zeigen, dass es einen Bedarf an neuen organisatorischen Lösungen für die stationäre Rehabilitation gibt.
Neue Kooperationen sind wünschenswert
Nun kommt es darauf an, gute Konzepte für die Rehabilitation berufstätiger Pflegepersonen zu erarbeiten und umzusetzen, um während der Reha die Unterbringung eines pflegebedürftigen älteren Angehörigen in einem Seniorenpflegeheim oder auch in einer der Reha-Klinik benachbarten Einrichtung zu ermöglichen.
Wie solche Angebote aussehen können, zeigt eine neue Kooperation zwischen der Berolina Klinik und dem Seniorencentrum St. Laurentius. Beide Einrichtungen liegen in Löhne (Westfalen). 2015 wurde ihr gemeinsames Konzept zur Rehabilitation für berufstätige Pflegepersonen bewilligt, die bei der Deutschen Rentenversicherung Bund versichert sind.
Hier haben Pflegepersonen zum ersten Mal die Möglichkeit, zu einer medizinischen Rehabilitation zusammen mit ihrem zu pflegenden Angehörigen anzureisen. Der mitreisende Angehörige wird im Seniorencentrum St. Laurentius untergebracht. Damit ist der gebotene Abstand für die Pflegeperson gewährleistet, jedoch können Besuche regelmäßig jeden Abend und am Wochenende auch tagsüber mühelos stattfinden, so, wie es gewünscht wird.
Diese Kooperation ist nur ein Beispiel dessen, was zurzeit bundesweit entwickelt wird. Drei Kurzzeitpflegemodelle stechen hervor: die Betreuung in einer Pflegeeinrichtung zu Hause, die Betreuung am Standort der Rehabilitation in einer benachbarten Pflegeeinrichtung und eine Betreuung des mitreisenden Angehörigen in der Reha-Einrichtung selbst. Jedes Modell bietet einen unterschiedlichen Grad an räumlicher Nähe während der Rehabilitation, was bei der Planung der Rehabilitationsziele der Pflegeperson zu berücksichtigen ist. Nicht jede Pflegeperson möchte diese Option der rehanahen Betreuung des Angehörigen wahrnehmen und manchmal ist eine kurzfristige räumliche Trennung medizinisch zu empfehlen. Aber solche Kooperationsangebote vor Ort schaffen neue
Möglichkeiten für Personen, für die kontinuierliche Nähe wichtig ist.
Literatur
Deutscher Bundestag: Drucksache 18/2909, 18. Wahlperiode 15.10.2014. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit. Berlin: Deutscher Bundestag, 2014.
Gesundheitsberichterstattung des Bundes (2014). Online-Statistik - Versicherte in der GRV nach Rentenversicherungsverhältnis: Pflegepersonen. www.gbe-bund.de. Zuletzt aufgerufen am 7. Juli 2015.
Geyer, J.; Schulz E.: Who cares? Die Bedeutung der informellen Pflege durch Erwerbstätige in Deutschland. In: DIW Wochenbericht 14/2014. S. 294-301.
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