Solidarität statt Konkurrenz – keine Bedürftigkeitsprüfung
Die Bilder der Flüchtlinge, die seit Monaten aus Kriegs- und Krisengebieten der Welt auch nach Deutschland kommen, haben eine große Welle der Solidarität bei der Bevölkerung hervorgerufen: Sach-, Geld- und Zeitspenden sind Ausdruck dieser Anteilnahme. Tafeln oder Lebensmittelausgaben, Kleiderkammern oder Ähnliches bieten - egal ob Deutschen oder EU-Bürger(inne)n, ob Flüchtlingen oder Menschen in aufenthaltsrechtlicher Illegalität - teils Lebensmittel, teils Möbel und Kleidung oder auch einfache Begegnungsmöglichkeiten.
Menschen sind also solidarisch und "retten" auch noch Lebensmittel. Dieses auf den ersten Blick schöne Modell hat bei näherer Betrachtung - neben dem grundsätzlichen Kritikpunkt, dass Lebensmittelausgaben Armut stabilisieren - einen Schönheitsfehler: die Bedürftigkeitsprüfung. Oft wird auf einer Bedürftigkeitsprüfung bestanden, weil "ja nur der was bekommen soll, der wirklich bedürftig ist" und "weil dies die Spender so wollen" und "weil das Finanzamt das so will", so die Argumente. Die Bedürftigen müssen den Personalausweis und die jeweils zutreffenden Nachweise vorlegen: einen aktuellen Rentenbescheid, ALG-II-Bescheid, Hartz-IV-Bescheid, Nachweis über Einkommen, Bescheinigung nach Asylbewerbergesetz, Nachweis einer Schuldnerberatung, Kindergeldbescheid und/oder sonstige Einkommensbescheinigungen, soweit diese den Haushalt (auch Partner, Ehegatte) betreffen. Bei manchen Ausgaben reicht eine Bescheinigung des Sozialamtes oder des Jobcenters aus. Nach der Registrierung erhält der/die Klient(in) eine Karte, die ihn/sie berechtigt, Lebensmittel zu erhalten.
Dabei ist die rechtliche Situation seit dem neuen Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) im Jahr 2014 ganz einfach. In den Hinweisen zur Umsetzung und Angemessenheit von Bedürftigkeitsprüfungen bei Nutzer(inne)n von Lebensmittelausgaben des Deutschen Caritasverbandes aus dem Jahr 2014 wird festgestellt, dass auf den Nachweis der wirtschaftlichen Bedürftigkeit der Nutzer(innen) ganz verzichtet werden kann, da diese als hilfebedürftige Personen im Sinne der AEAO zu § 53 AO "Mildtätige Zwecke" zählen. Dort heißt es in Ziffer 12:
"Beantragt eine Körperschaft die Befreiung von der Nachweispflicht nach § 53 Nr. 2 Satz 8 AO, muss sie nachweisen, dass aufgrund ihrer besonderen Art der gewährten Unterstützungsleistung sichergestellt ist, dass nur wirtschaftlich hilfebedürftige Personen unterstützt werden.
Auf die Nachweisführung kann verzichtet werden, wenn aufgrund der Art der Unterstützungsleistungen typischerweise davon auszugehen ist, dass nur bedürftige Menschen unterstützt werden. Hierbei sind die besonderen Gegebenheiten vor Ort sowie Inhalte und Bewerbungen des konkreten Leistungsangebotes zu berücksichtigen. Im Regelfall müssen Kleiderkammern, Suppenküchen, Obdachlosenasyle und die sogenannten Tafeln keine Nachweise erbringen."
Das Finanzamt hingegen weist in den Richtlinien eindeutig Kleiderkammern, Tafeln und Lebensmittelausgaben als Orte aus, die ohnehin nur von Bedürftigen aufgesucht werden. Es ist deshalb nicht nachzuvollziehen, weshalb Tafeln weiterhin die Bedürftigkeit ihrer Klient(inn)en prüfen und sich ohne Befugnis Bescheide vorlegen lassen oder in einem Gespräch die Offenlegung der Lebenssituation erwarten.
Auch wenn dies in der Abgabenordnung und seitens des Finanzamtes klar verständlich und nachvollziehbar geschrieben ist und keine weiteren Schritte unternommen werden müssten, wird vom Deutschen Caritasverband empfohlen, eine Befreiung von der Nachweispflicht der Bedürftigkeit gemäß § 53 Nr. 2 Satz 8 Abgabenordnung (AO) beim zuständigen Finanzamt zu beantragen.
Bezüglich der Einkommensgrenze, die unterschritten sein muss, um als bedürftig zu gelten, wird in § 53 AO klargestellt, dass diese für Alleinstehende bei 1995 Euro und bei einem Zweipersonenhaushalt bei 2824 Euro liegt. Auch diese Zahlen machen deutlich, dass eine zusätzliche Prüfung der Bedürftigkeit durch die Ausgabestellen nicht notwendig ist, denn die Menschen, die die Tafeln aufsuchen, erhalten Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern und überschreiten damit diese Einkommensgrenzen ohnehin nicht.
Die Prüfung wird ohne Grund weiter praktiziert
Durch die Klarstellung der rechtlichen Situation und die anerkannte Tatsache, durch die Abschaffung der Prüfung die Scham bei den Nutzer(inne)n vermeiden sowie den Verwaltungsaufwand verringern zu können, war zu erwarten, dass die Bedürftigkeitsprüfung schon bald Geschichte sein würde.
Doch weit gefehlt. Die Möglichkeit der Abschaffung wird weitgehend ignoriert beziehungsweise als nicht umsetzbar bezeichnet, da dies ein Instrument sei, um der Vielzahl der Menschen, denen immer weniger Lebensmittel gegenüberständen, Herr zu werden und Missbrauch zu vermeiden. So lautet zum Beispiel eine Rückmeldung eines Tafelbetreibers wie folgt:
"Um wirklich die Ärmsten der Armen unterstützen zu können, gehen wir nach dem zurzeit gültigen Sozialsatz vor und haben diesen als Grundlage für unsere Entscheidungen genommen. Nach diesem Prinzip handeln andere Tafeln auch, die wir kennen. Die augenblickliche Situation erfordert bei manchen Tafeln sogar strengere Maßnahmen. Wir sind noch in der glücklichen Lage, genügend Ware von unseren Sponsoren zu erhalten, um über 300 Haushalte mit circa 1000 Personen versorgen zu können. Denn Ware ist zwar genug auf dem Markt, diese muss man aber erstmal bekommen. Trotz unserer noch verhältnismäßigen guten Lage merken auch wir, dass unsere Kapazität durch den Zuzug der Flüchtlinge weniger wird."
Die Bedürftigkeitsprüfung wird, wie aus dieser Antwort deutlich wird, als Verteilungsinstrument genutzt, und dieser unterstellt, objektiv gerecht zu sein. Vergessen wird dabei allerdings, dass Menschen, die zum Beispiel ihre Bedürftigkeit nicht nachweisen können (Wohnungslose, Menschen, die sich illegal in Deutschland aufhalten oder anderweitig über ein geringes Einkommen verfügen) so keine Möglichkeit erhalten, Lebensmittel zu bekommen. Zudem ist infrage zu stellen, ob das Offenlegen von so sensiblen Daten und der Rechtfertigungszwang im richtigen Verhältnis stehen zu einem für Ehrenamtliche leicht handhabbaren Regulierungsinstrument. .
Plädoyer für die Abschaffung
Wenn sich Menschen für Lebensmittel, Kleidung oder Möbel, die Überschuss sind oder die andere nicht mehr haben wollen, derart rechtfertigen müssen, dann ist das mehr als demütigend. Wer entscheidet eigentlich, wer es verdient hat, unterstützt zu werden und wer die Hilfe am nötigsten braucht? Wer gestaltet die Rangfolge der Bedürftigkeit und wovon ist sie geleitet? Wird durch eine solche Art der Prüfung, die kein Finanzamt, keine staatliche Stelle verlangt, nicht Willkür zugelassen?
Um Solidarität zu leben, Konkurrenz nicht zuzulassen und alle Menschen willkommen zu heißen, ist die sofortige Abschaffung der Bedürftigkeitsprüfung keine Überlegung, sondern eine Verpflichtung.
Im eigenen Rhythmus den Konsum reduzieren
Wünsche zur letzten Lebensphase selbst mitteilen
CSR: Synergien für Soziales
Das Stigma abbauen
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}