Professionalität und Vertrauen
Als vor einem halben Jahrhundert der Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland gegründet wurde, stand das Thema Altern auf der gesellschaftlichen Tagesordnung. Allerdings waren viele alte Menschen weit von den Möglichkeiten heutiger "Un-Ruheständler" entfernt. Wohnungsnot, fehlende oder zu knappe Rentenbezüge, unzureichende Versorgungsangebote für Pflegebedürftige, eine erst im Aufbau befindliche Geriatrie und Gerontologie sowie fehlende Fachberufe für die Versorgung älterer Menschen: Die Liste der damaligen Mängel ließe sich fortsetzen. Sie führten dazu, dass die alten Menschen häufig zu den Verlierern der Wirtschaftswunder-Jahre zählten.
Seitdem hat sich vieles in der Einstellung der Gesellschaft zum Alter, in der Selbstwahrnehmung der alten Menschen und vor allem in den Versorgungsangeboten für die älteren Menschen verändert. An diesen Entwicklungen war die katholische Altenhilfe maßgeblich mitbeteiligt: zum einen durch ihr Engagement für die Entstehung von Altenpflegeberufen und die Konzeption neuer Angebotsformen oder die Planung von neuen Wohn- und Betreuungskonzepten.
Zum anderen gestaltete der VKAD nicht zuletzt durch seine politische Lobbyarbeit diesen Wandel aktiv mit. In einer Festschrift zum Jubiläumsjahr ist dieses Stück Verbandsgeschichte ausführlich dargestellt worden. Der Rückblick regt die Frage an, wie die katholische Altenhilfe sich in den kommenden Jahren weiterentwickeln könnte und sollte. Einige absehbare Trends und Herausforderungen sollen im Folgenden kurz beleuchtet werden.
Ambulante Pflege ermöglicht Selbstständigkeit im Alter
Persönliche Freiheit und Autonomie sind zentrale Werte moderner Gesellschaften. Katholische Altenhilfe unterstützt den älter werdenden Menschen dabei, Freiräume zu bewahren und ein eigenständiges Leben zu führen. Der Verbleib in der eigenen Wohnung ist ein wesentliches Kennzeichen von Selbstständigkeit. Die ambulanten Dienste der Altenhilfe werden deshalb in den kommenden Jahren weiterhin an Bedeutung gewinnen und sich den unterschiedlichen Bedürfnissen entsprechend diversifizieren. Insbesondere die Aufrechterhaltung einer flächendeckenden Versorgung in den ländlichen Räumen wird Ideenreichtum und politische Verhandlungsstärke erfordern.
Technische Neuerungen erfordern Ethik-Debatte
Sofern neue technische Hilfsmittel des sogenannten "Ambient Assisted Living" (AAL) Selbstständigkeit unterstützen können, werden sie eine größere Rolle in diesem Versorgungs-Setting spielen. Allerdings sind damit auch Risiken für die Wahrung der Intimsphäre, das Recht auf Selbstbestimmung über die eigenen Daten und den Schutz der Personwürde verbunden. Hier kommen neue ethische Fragestellungen auf die Altenhilfe zu, man denke nur an die personsimulierende Robotik. Für die katholische Altenhilfe ist der Respekt vor der unantastbaren Personwürde des alten Menschen der Leitstern für diese Debatten.
Wichtiger noch als technische Assistenzsysteme sind für die Zukunft pflegewissenschaftlich begründete Konzepte, die die Selbsthilfepotenziale hilfebedürftiger Menschen durch präventive Angebote ansprechen. Sie werden verstärkt rehabilitative Elemente integrieren, und sie werden den Umgang mit Depression und Demenz fokussieren. Auch Angeboten, die von einer weltoffenen und sensiblen christlichen Spiritualität getragen sind, wird bei der Auflösung von Ängsten und Abhängigkeiten der Bewohner und Patienten eine zunehmende Bedeutung zukommen. Die in den letzten Jahren zunehmende Erforschung der salutogenetischen Wirkungen von Spiritualität ermutigt dazu, solche Angebote weiterzupflegen und zu entwickeln.
Brückenschlag von familialer zu institutioneller Pflege
Familiale und private Netzwerke werden auch in Zukunft den größten Teil der Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf betreuen. Dennoch gilt es, sich dessen bewusst zu sein, dass der Trend zur Institutionalisierung auch vor dem Alter nicht haltmacht. Es ist eine innere Gesetzmäßigkeit moderner Gesellschaften, dass sie immer mehr Lebensvollzüge institutionell absichern und begleiten. Der beim Blick in die Pflegestatistik erkennbare Trend der steigenden Inanspruchnahme professioneller Pflege wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Dies bedeutet, dass auch in Zukunft ein quantitativ und qualitativ breites Angebot unterschiedlicher ambulanter und stationärer Betreuungs- und Versorgungsformen für alte Menschen vorgehalten werden muss.
Wie jüngere Untersuchungen zeigen, bringen die institutionellen Hilfeformen nicht nur eine notwendige Entlastung und Unterstützung der familialen und privaten Netzwerke. Sie stellen zudem volkswirtschaftlich eine wichtige Struktur dar, die zur Ausschöpfung von Bildungspotenzialen sowie zur Sicherung von Beschäftigung und damit von Beitragszahlungen in die Steuer- und Sozialversicherungssysteme beiträgt. Denn möglicherweise ist der Preis der privaten Pflege höher als bisher veranschlagt: Die gesundheitlichen Folgen der Laienpflege und der mit dem Ausscheiden von (überwiegend) Frauen aus ihren Berufen verbundene Verlust von Bildungskapital wurden bislang zu wenig betrachtet.1 Die Beratung und Begleitung pflegender Angehöriger wird deshalb als integraler Bestandteil der Altenhilfe an Gewicht gewinnen.
Personalentwicklung und Qualität fokussieren
Die Sorge um eine gute Pflege hat ein differenziertes Kontroll- und Überwachungsnetz über die Einrichtungen und Dienste der Altenhilfe gespannt. Verschiedene Institutionen beanspruchen, die Qualität der Pflege und Betreuung alter Menschen zu gewährleisten und zu dokumentieren. Es erscheint fraglich, ob die weitere Investition von Geld- und Personalressourcen in das System der Pflegetransparenzvereinbarung (PTV) eine wissenschaftlich begründete Qualitätsunterscheidung zwischen den Anbietern ermöglicht. Schon heute wird der hier gebundene Personal- und Sachmitteleinsatz von vielen Akteuren der Altenhilfe als überzogen betrachtet. Letztlich müssen die berechtigten Kontroll- und Vergleichsmöglichkeiten mit den begrenzten Ressourcen der Einrichtungen und der Prüfinstitutionen in Einklang gebracht werden.
Vernünftiger Aufwand für Transparenz
Pflegeleistungen sind in hohem Maße Vertrauensleistungen. "Vertrauen", so lautet eine weitgehend akzeptierte Definition der Vertrauensforschung, "ist der Wille, sich verletzlich zu zeigen."2 Qualitätssicherung als Vertrauenssicherung ist deshalb immer eine Konfrontation mit den eigenen "blinden Flecken", Fehlern und Schwachstellen. Qualitätsmanagement ist in der katholischen Altenhilfe folglich nicht in erster Linie Außendarstellung für die jährliche Benotung, sondern tägliche Arbeit an den internen Prozessen und Haltungen. Angesichts eines unbefriedigenden Pflegetransparenz-Systems haben inzwischen verschiedene Anbieter in der katholischen Altenhilfe alternative Vorschläge entwickelt, um dem nachvollziehbaren Wunsch der verlässlichen Darstellung von Qualität mit Hilfe ihrer internen Qualitätsmanagementsysteme entgegenzukommen.
Da Qualität in der Altenhilfe über Personen hergestellt wird, gehören die Personalauswahl, -führung und -entwicklung zu den Kernaufgaben des Managements. Die Praxis der Pflege ist im christlichen Verständnis eine Einübung in das Menschsein, wie es von Gott gewollt ist. Gerade die modernen Konzepte der Demenzpflege wirken sich nicht nur auf die Demenzkranken, sondern auch auf die Pflegenden selbst aus, da sie auf Veränderungen der eigenen Wahrnehmung und des Reaktionsspektrums aufbauen. Auch Supervision und Fallbesprechungen, insbesondere bei ethischen Fragestellungen, werden für eine Pflege, der die Wertorientierung der Pflegenden besonders am Herzen liegt, noch an Bedeutung gewinnen.
Zentren für Altersfragen und vieles mehr
Da auch künftig stationäre Einrichtungen für die Versorgung pflegebedürftiger älterer Menschen eine wichtige Rolle spielen werden, wird es umso wichtiger, dem Heim das Image einer "Sonderwelt" zu nehmen. Dazu werden verschiedene Entwicklungen beitragen. Zum einen werden die Heime ihre Binnendifferenzierung fortsetzen. Zum bisherigen Angebotsspektrum von Tagespflege, Kurzzeitpflege, stationärer Langzeitpflege, betreutem Wohnen und ambulant betreuten Wohngemeinschaften werden weitere Serviceangebote für Senior(inn)en in der Umgebung hinzukommen: Seien es ein offener Mittagstisch oder Zeittauschbörsen, Beratungsangebote rund ums Alter oder generationenübergreifende Angebote.
Das katholische Altenheim wird sich zu einem Nachbarschaftszentrum beziehungsweise einem Gemeindezentrum weiterentwickeln. Auch die Entwicklung der neuen kirchlichen Pfarrstrukturen wird diesen Trend beschleunigen. In manchen Orten werden die katholischen Altenheime gemeindepastorale Angebote integrieren, wenn die bisherigen Gemeindeimmobilien wegen Überdimensionierung aufgegeben werden müssen. Die bauliche Kombination mit Kindertagesstätten wird auch in Zukunft manche Umbau- und Neubaupläne mit beeinflussen. In Häusern, wie sie schon von einigen unserer Mitglieder realisiert sind, wird generationenübergreifendes Wohnen und Pflege mit weiteren Funktionen in einem "Lebenshaus" integriert.
Aufgabe der katholischen Altenhilfe wird es sein, den weiteren Wandel vom "Alten-Heim" hin zum Sozialzentrum im Gemeinwesen zu beschleunigen und auf diese Weise auch neue Möglichkeiten des Engagements zu schaffen. Denn ehrenamtliches beziehungsweise freiwilliges Engagement ist nicht nur aus der Perspektive derer zu beurteilen, "für die" es erbracht wird, sondern ebenso auch aus der Sicht derer, "von denen" es geleistet wird. Für Letztere ist es die Möglichkeit, eine besondere Qualität ihrer Lebenszeit im Dasein für andere zu erfahren. Die katholische Altenhilfe hat einen eigenen Auftrag, solche Sinnzusammenhänge herzustellen und zu gelingendem Leben im sozialen Nahraum beizutragen. Sie zeigt, wie der Einsatz für andere auch das eigene Leben erfüllt und heilt.
Die stationäre Einrichtung und ihre Unterstützer(innen) werden so zum Zentrum für vieles: konkrete Versorgung - Beratung und Hilfe bei Fragen rund um das Alter und die Pflegebedürftigkeit - Peergroup für einen neuen Lebensabschnitt - Gottesdienstgemeinde - Keimzelle für Infrastrukturentwicklung im Nahraum - Akteur und Partner bei kommunalen Entwicklungen. Noch vieles andere ist denk- und lebbar.
Mit dem Forcieren dieser Entwicklung wird der heutige Begriff "Altenheim" überholt. Auch der Begriff "Pflegeheim" wird, weil er nur einen Teil des Ganzen beschreibt, auf diese neuen Formen nicht mehr passen. Vielleicht werden wir "Zentren für das Leben im Alter" oder "Lebenshäuser" oder "Altershäuser" bekommen. Dabei geht es nicht, wie bei der Benennung von "Seniorenresidenzen", darum, die belastenden Aspekte des Älterwerdens euphemistisch zu überspielen. Es geht darum, die Einbettung des Alters in das Gesamte des Lebensraums zu realisieren und begrifflich zu fassen.
Anmerkungen
1. Heintze, Cornelia: Auf der Highroad - der skandinavische Weg zu einem zeitgemäßen Pflegesystem : ein Vergleich zwischen fünf nordischen Ländern und Deutschland. Expertise im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, 2012 (WISO-Diskurs, Kurzfassung unter http://library.fes.de/pdf-files/wiso/09243-20120730.pdf).
2. Osterloh, Margit; Weibel, Antoinette: Vertrauen und Kontrolle. In: Zaugg, Robert J. (Hrsg.): Handbuch Kompetenzmanagement. Bern u.a. : Haupt, 2006, S. 53-63, S. 55.