Ist Altersarmut in Zukunft ein Problem?
Altersarmut wird in Politik, Medien und Verbänden zunehmend zum Thema. Der Deutsche Caritasverband hat sich im Rahmen der Kampagne 2010 "Experten fürs Leben" mit den Lebenslagen der älteren Generation auseinandergesetzt und auch das Phänomen Altersarmut betrachtet. Auch die Allgemeine Sozialberatung der Caritas ist Anlaufstelle für ältere Menschen: 12,4 Prozent ihrer Klienten sind 60 Jahre alt oder älter.
Dass Altersarmut derzeit ein großes Thema ist, überrascht auf den ersten Blick. Die Daten zur Einkommenssituation älterer Menschen (hier: Menschen, die 65 Jahre alt oder älter sind) lassen auf den ersten Blick keine Probleme erkennen. Das Armutsrisiko Älterer - gemessen nach EU-Definition an einem Einkommen unterhalb von 60 Prozent des mittleren (äquivalenzgewichteten) Nettoeinkommens der Bevölkerung - ist unterdurchschnittlich. So lag das Armutsrisiko von älteren Menschen 2008 bei 13,3 Prozent, während es bei der Gesamtbevölkerung bei 14,5 Prozent lag. 2009 waren 13,6 Prozent der Älteren von Armut bedroht.1
Viele ältere Menschen haben Vermögen
Betrachtet man neben dem Einkommen auch die Vermögen, erkennt man darüber hinaus, dass eine bestimmte Gruppe von Älteren zwar ein sehr niedriges Einkommen hat, dafür aber Vermögen. Bezieht man dieses Vermögen in die Berechnungen des Armutsrisikos mit ein, so sind nach Aussagen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) 2007 etwa zehn Prozent der Älteren armutsgefährdet (gegenüber 13 Prozent ohne den Einbezug des Vermögens). Dabei muss aber Folgendes beachtet werden: Ein großer Teil der Vermögen ist nicht liquide, weil er zum Beispiel aus Immobilien besteht. Außerdem kann ein Vermögen nur einmal verbraucht werden - wenn es weg ist, steht auch die Gruppe der ehemals Vermögenden ohne Absicherung da.2
In dieses Bild passt, dass 2008 insgesamt nur 2,5 Prozent der Älteren auf Leistungen der Grundsicherung im Alter angewiesen waren (2010: 2,45 Prozent). Nur 0,6 Prozent der Älteren geben 2008 an, überwiegend von der Grundsicherung im Alter zu leben. Für die meisten ist sie eine Ergänzung zu anderen Einkommen wie zum Beispiel der Rente (77,5 Prozent geben dies an). Damit sind prozentual betrachtet weit weniger Ältere auf Grundsicherungsleistungen angewiesen als Jüngere. Von den unter 65-Jährigen bezieht jeder zehnte Arbeitslosengeld II3 Die Zahl der Älteren in Heimen, die auf sonstige Leistungen des SGB XII (Sozialhilfe) angewiesen sind, bleibt bei dieser Betrachtung unberücksichtigt.
Ostdeutschland schneidet besser ab
Interessant und gegen den sonstigen Trend ist, dass der Ost-West-Unterschied bezüglich des Risikos der Altersarmut nicht groß ist und Ostdeutschland hier sogar besser abschneidet als der Westen: Das Altersarmutsrisiko liegt in Westdeutschland bei 13,8 und in Ostdeutschland bei 12,5 Prozent. Betrachtet man das Armutsrisiko in den beiden Landesteilen bezogen auf die jeweilige Gesamtbevölkerung, hat Ostdeutschland ein deutlich höheres durchschnittliches Armutsrisiko als Westdeutschland. Die Älteren sind aber besonders im Osten eine Gruppe, der es finanziell überdurchschnittlich gut geht.
Schaut man aber das Einkommensarmutsrisiko etwas genauer an, erkennt man, dass die Gruppe der Älteren sich nicht homogen darstellt. Zum Beispiel haben ältere Frauen ein höheres Armutsrisiko als ältere Männer (2009: 15,6 Prozent versus 11,3 Prozent). Außerdem sind Alleinlebende sehr stark von Armut bedroht. Alleinlebende Männer haben ein Armutsrisiko von 18,4 Prozent, alleinlebende Frauen von 21,5 Prozent. Damit sind die alleinlebenden Älteren - egal welchen Geschlechts - deutlich mehr von Armut bedroht als der Durchschnitt der Bevölkerung.
Daneben sind die "üblichen Gruppen" besonders von Altersarmut bedroht: Betrachtet man den Bildungsabschluss, so sind Ältere ohne Schulabschluss besonders gefährdet (38,2 Prozent). Schon ein Hauptschulabschluss reduziert das Armutsrisiko auf 14,1 Prozent, Realschüler haben ein Armutsrisiko von sechs Prozent, bei Abiturienten beziehungsweise Menschen mit Fachhochschulreife liegt das Risiko der Altersarmut nur noch bei 4,5 Prozent. Menschen mit Migrationshintergrund weisen im Alter ein Armutsrisiko von 28,1 Prozent auf und machen 20 Prozent aller armutsgefährdeten älteren Menschen aus.4 Auch Menschen, die Abschläge bei ihren Rentenbezügen hinnehmen müssen, sind häufig von finanziellen Schwierigkeiten bedroht.
Armut verstärkt auch andere Probleme
Schon in anderen Publikationen hat die Caritas festgestellt, dass finanzielle Armut sich bei alten Menschen besonders negativ auswirken kann.5 Wenn ihre Mobilität eingeschränkt ist und das soziale Netzwerk wegfällt, können finanzielle Schwierigkeiten möglicherweise noch stärker als bei anderen Personengruppen die gesellschaftliche Teilhabe einschränken. Kontaktmöglichkeiten und Möglichkeiten zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben werden erschwert.
Im Jahr 2012 wird die Caritas die Kampagne "Armut macht krank" durchführen. Hier werden viele Wechselwirkungen zwischen Armut und Krankheit beschrieben und ganzheitliche Lösungsansätze gefordert. Die meisten dieser Wechselwirkungen betreffen alte und junge Menschen in gleicher Weise. Manche betreffen junge Menschen auch stärker, da von ihnen erwartet wird, dass sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Probleme, die damit zusammenhängen, haben ältere Menschen nicht. Allerdings sind ältere Menschen häufiger krank und sind deswegen häufiger von den finanziellen Belastungen durch Neuregelungen im Gesundheitssystem (wie zum Beispiel Praxisgebühr) oder durch Krankheitsfolgen betroffen. Zur Begrenzung der Belastungen gibt es Regelungen wie zum Beispiel die Zuzahlungsgrenze oder Zuschüsse zum barrierefreien Umbau. Diese sind allerdings oft nicht bekannt und müssten stärker beworben werden.
Altersarmut wird zunehmen
Das Risiko, im Alter arm zu werden, wird in den kommenden Jahrzehnten vermutlich ansteigen. Noch immer sind Renten und Pensionen die Haupteinkommensquelle für ältere Menschen. 96 Prozent der Männer und 84 Prozent der Frauen leben überwiegend davon. Genau diese Einkommensquelle ist aber bedroht. Der demografische Wandel führt zu einem sich stetig verschlechternden Verhältnis von Einzahlern und Leistungsempfängern der sozialen Sicherungssysteme. Mehr Rentnern stehen weniger Beitragszahler gegenüber. Deswegen hat die Politik schon heute kostendämpfende Reformen der gesetzlichen Rentenversicherung vorgenommen. Der Nachhaltigkeitsfaktor bei der Rentenanpassung und die Rente mit 67 gehören dazu. Private Altersvorsorge wie die staatlich geförderte Riesterrente soll helfen, die entstehenden Versorgungslücken zu decken.
Ein weiteres Problem für die Rentenhöhe sind die zunehmend unsteten Erwerbsbiografien. Während lange Zeit die ununterbrochene (männliche) Vollzeiterwerbstätigkeit das Bild der Erwerbstätigen prägte, erleben heute viele Erwerbsätige zum Teil längere Phasen der Arbeitslosigkeit oder arbeiten in einem Minijob. Dadurch werden weniger Rentenanwartschaften erworben. Die Zunahme von Niedriglöhnen und Teilzeitarbeit kann ebenfalls zu einer niedrigeren Altersrente führen. Allerdings können sich diese Beschäftigungsarten auch positiv auf die Rente auswirken. Wäre die Alternative, keine Erwerbstätigkeit auszuüben, würden gar keine oder weniger Rentenanwartschaften erworben. Dies gilt zum Beispiel für Mütter, die aus familiären Gründen keine Vollzeitstelle annehmen wollen oder für ehemals Langzeitarbeitslose, die formal geringqualifiziert sind und jetzt im Niedriglohnbereich arbeiten. Weiter können Ausfallzeiten, die durch Erziehung und familiäre Pflege entstehen, ebenfalls zu einer niedrigeren Rente führen, in der Regel zulasten der Frauen.
Wer nicht vorsorgen kann, ist im Alter arm
Schon heute ist die Rente von Neurentnern nach Berechnungen des DIW bei Männern in Westdeutschland um 150 Euro niedriger als die der sogenannten Bestandsrentner, in Ostdeutschland sogar um 220 Euro. Bei Frauen ist dies nicht der Fall - eine positive Nachricht.6
Ein weiterer Faktor, der zu einer Zunahme von Altersarmut führen kann, ist die Notwendigkeit privater Vorsorge. Wer dazu in den Jahren seiner Erwerbstätigkeit nicht in der Lage ist, weil er die Beiträge zu privaten Versicherungen nicht zahlen kann, nicht sparen und/oder keine Immobilie erwerben kann (viele der Älteren wohnen in Wohneigentum, das abbezahlt ist), wird es in Zukunft schwer haben.
Klare Prognosen über das zukünftige Ausmaß von Altersarmut lassen sich allerdings nicht treffen. Die oben genannten Risikofaktoren existieren, aber wie stark sie sich auswirken werden, ist auch eine Frage des politischen Willens und der wirtschaftlichen Entwicklung insgesamt. Niedrige Arbeitslosigkeit und eine hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen sind zwei Faktoren, die den Anstieg der Altersarmut bremsen könnten.
Anmerkungen
1. Alle im Folgenden genannten Daten stammen, falls nicht anders gekennzeichnet, aus der Bundestagsdrucksache 17/6317, der Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der Grünen zum Thema "Altersarmut", und sind auf Basis des Sozioökonomischen Panels errechnet.
2. Goebel, Jan; Grabka, Markus: Zur Entwicklung der Altersarmut in Deutschland. DIW-Wochenbericht 25/2011.
3. Statistisches Bundesamt: Ältere Menschen in Deutschland und der EU. Juni 2011.
4. Quelle: Bundestagsdrucksache 17/6317, Daten des Mikrozensus.
5. Siehe zum Beispiel die sozialpolitischen Positionen des Deutschen Caritasverbandes zur Kampagne "Experten fürs Leben" unter: http://block.experten-fuers-leben.de/presse-stellungnahmen.
6. Goebel, Jan; Grabka, Markus, a.a.O.