Zeig mir, wie du glaubst
Dem Kölner Projekt „Interreligiöser Dialog mit christlichen und muslimischen Jugendlichen“ ging es darum, christliche und muslimische Jugendliche zusammenzubringen. Die Zielsetzung dieses Projekts von 2008 bis 2009 war es, den Jugendlichen über das direkte Gespräch Gelegenheit zu geben, ihr Wissen zu erweitern, Vorurteile abzubauen sowie Sympathien für Anhänger der anderen Religion zu entwickeln. Durchgeführt wurde das Projekt von Coach e.V. in Kooperation mit der Evangelischen Brückenschlag-Gemeinde in Köln-Flittard/Stammheim. Für den Programminhalt und die Durchführung verantwortlich waren ein ausgebildeter evangelischer Jugendreferent und ein muslimischer Laientheologe, beide Studenten der sozialen Arbeit.
Je acht muslimische und christliche Jugendliche im Alter von 15 bis 19 Jahren meldeten sich verbindlich an. Die meisten gingen noch zur Schule und besuchten die Realschule, das Gymnasium oder das Berufskolleg. Die anderen befanden sich entweder in Ausbildung oder Vollzeitbeschäftigung. Die muslimische Gruppe bestand aus acht sunnitischen Jugendlichen, alle mit einer türkischen Zuwanderungsgeschichte. Die christliche Gruppe umfasste evangelische und katholische Jugendliche. Ein Teilnehmer hatte eine polnische Zuwanderungsgeschichte. Alle Jugendlichen konnten als mittel- bis sehr religiös bezeichnet werden, bezogen auf die Häufigkeit ihres Gottesdienst-/Moscheebesuchs und ihres Gebets sowie ihr Interesse an religiösen Fragen.
Die Aktivitäten im Detail
Das Projekt bestand aus vierzehn Einheiten, verteilt über einen Zeitraum von zehn Monaten. Es basierte auf zwei Säulen: sieben theorieorientierten Einheiten, in denen zentrale Inhalte von Islam und Christentum betrachtet wurden, sowie sieben praxisorientierten Einheiten, in denen das Erleben und die Gruppendynamik im Vordergrund standen. Im Folgenden ein Bericht zu den vierzehn Einheiten in der Reihenfolge ihrer Durchführung.
1. Muslimisches Fastenbrechen
Von Anfang an gingen die Jugendlichen sehr offen aufeinander zu. Gerade die muslimischen Jugendlichen stellten ihren Gästen viele Fragen zur Ethik, zu Unterschieden zwischen den christlichen Konfessionen und zum christlichen Fasten.
2. Geschichte des Christentums
Mehreren muslimischen Teilnehmer(inne)n waren die Verurteilung der mittelalterlichen Kreuzzüge sowie die gleichzeitige Würdigung des friedlicheren Verhaltens damaliger muslimischer Herrscher durch die christlichen Jugendlichen sehr wichtig.
3. Evangelischer Gottesdienst
Der lebhafte Gottesdienst wurde von den muslimischen Jugendlichen positiv wahrgenommen; sie waren überrascht von der Fülle an Liedern. Den christlichen Jugendlichen war es wichtig, bei ihren Gästen ein positives Bild hinterlassen zu haben.
4. Geschichte des Islam
Das Gespräch verweilte lange auf der Person Mohammeds und der Ausbreitung des Islam. Die christlichen Teilnehmer(innen) empfanden diese als kriegerisch, der Vortrag gefiel ihnen aber sehr. Unter den Muslimen waren es die religiöseren, die sich über das Interesse der Christen freuten.
5. Moscheebesuch
Das Gespräch mit einem Mitglied der muslimischen Gemeinde beeindruckte einen christlichen Jugendlichen derart, dass er meinte, es habe sein Bild vom Islam verändert. Die Jugendlichen durften bei einem Gebet dabei sein.
6. Inhalte des christlichen und muslimischen Glaubens
Beide Gruppen entdeckten viele Gemeinsamkeiten und kamen zu dem Schluss, der zentrale Unterschied bestünde in der Sicht auf Jesus. Glaubenszweifel bewegten nur die christlichen Jugendlichen. Jugendliche beider Seiten waren interessiert zu erfahren, wie sich eine Konversion anfühle. Dabei nahmen sie es einander nicht übel, von der je eigenen Religion als „wahrer Religion“ zu sprechen.
7. Heilige Schriften – Koran und Bibel
Bis auf zwei sehr religiöse Muslime äußerten alle Teilnehmer(innen) ein schlechtes Gewissen, sich nicht ausreichend mit ihrer heiligen Schrift zu beschäftigen. Muslimischen Jugendlichen geht es um die Rezitation des Koran, christliche Jugendliche beschäftigen sich dagegen mit den Inhalten der biblischen Texte. Weitere Unterschiede traten hervor: Während die muslimischen Jugendlichen die religiösen Pflichten eines Muslim genauer erläuterten und auf eine davon abhängige Belohnung oder Bestrafung durch Gott eingingen, betonten die christlichen Jugendlichen den im Christentum verankerten Freiheitsgedanken. Erneut kam eine Muslima auf Konversion zu sprechen. Diesmal bezog sie ihre Neugier jedoch nicht nur auf eine Konversion zum Islam, sondern band das Christentum mit ein.
8. Adventsfeier in einem evangelischen Jugendkreis
Die muslimischen Jugendlichen fanden es sehr gut, durch das Projekt mit religiös praktizierenden Christ(inn)en ins Gespräch zu kommen, die den Advent tatsächlich feiern.
9. Glaubenspraxis in Islam und Christentum
Es wurde deutlich, dass die Jugendlichen mit ihren jeweiligen Definitionen von Religion auch auf die andere Religion blicken. So nahmen die Muslime an, dass die religiösen Pflichten, die auch beim Christentum vorkommen, dort denselben Rang wie im Islam hätten. Den Christ(inn)en ging es nicht anders. Eine Diskussion über Israel–Palästina entstand spontan, bedingt durch den damals aktuellen bewaffneten Konflikt im Gazastreifen. In der Diskussion bildeten sich zwei Fronten. Zwei christliche Jugendliche vertraten eine pro-israelische Position, während zwei muslimische Jugendliche sich mit den Palästinenser(inne)n solidarisierten. Die Diskussion verlief einseitig, da die christlichen Jugendlichen über größeres Wissen verfügten und somit die Diskussion beherrschten. Durch eine Vermittlung konnten beide Seiten die Berechtigung der je anderen Position anerkennen.
10. Religion im Alltag von Jugendlichen
Zwei Muslimas erläuterten, warum sie ein Kopftuch tragen, und berichteten von den vielen Problemen, die ihnen dies im Alltag einbringe. Andere muslimische Jugendliche trugen mögliche Vorbehalte gegenüber dem Kopftuch zusammen und bemühten sich, diese zu verstehen. Eine der kopftuchtragenden Muslimas äußerte später, an diesem Tag die wichtige Erfahrung gemacht zu haben, dass nicht alle Christ(inn)en Vorurteile gegen ihr Kopftuch hätten. Das Thema „Liebesbeziehungen“ lieferte viel Gesprächsstoff. Für die muslimischen Jugendlichen war eine voreheliche Beziehung nur schwer vorstellbar, während sie für die christlichen Jugendlichen eine Normalität darstellte. Über bireligiöse Ehen waren sich dagegen fast alle einig, dass diese spätestens in der Kindererziehung sehr viele Schwierigkeiten mit sich bringen würden.
11. Harte Fragen
Im Vortrag eines muslimischen Leiters wurde der Einfluss von Zeit, Ort, Geschichte und Kultur auf die Auslegung und Ausübung von Religion verdeutlicht. Es wurde erläutert, warum manche Muslime Gewalt befürworteten und viele andere nicht. Eine Teilnehmerin äußerte im Anschluss, ihr Blick auf den Islam sei nun anders, da sie wisse, dass nicht alle Muslime Gewalt befürworteten. Die muslimischen Jugendlichen waren dankbar, dass dieses schwierige und belastende Thema einmal fachlich gut erklärt wurde, auf eine Weise, zu der sie selbst (noch) nicht in der Lage seien. Die Diskussion zum Thema Mission beziehungsweise Dawa (arabisch: Ruf, Aufruf, Einladung) barg nur wenig Konfliktpotenzial. Beide Gruppen einigten sich darauf, dass der Wunsch, andere vom eigenen Glauben zu überzeugen, nicht per se schlecht sei. Es komme allerdings auf die Art des Umgangs miteinander an. Man dürfe keinen Zwang oder Druck ausüben. Diese Einheit zog sehr viele positive Rückmeldungen nach sich. Alle Teilnehmer(innen) begrüßten es, dass schwierige Themen angesprochen und in Ruhe geklärt werden konnten.
12. Abschlussfeier mit den Eltern der Jugendlichen
Auch die Begegnung der Eltern war durch Offenheit und ein großes Interesse aneinander geprägt. Die Schüler hatten einen kurzen Vortrag über das im Projekt erworbene Wissen vorbereitet. Die muslimischen Jugendlichen stellten dabei das Christentum, die christlichen Jugendlichen den Islam dar. Auf die Frage nach den wichtigsten Erfahrungen äußerte eine muslimische Jugendliche, sie habe nun größere Sympathien für das Christentum als zuvor. In einer Diskussion kamen die Eltern zu demselben Ergebnis wie ihre Kinder einige Monate zuvor: Es gebe viele Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Islam. Der Unterschied läge in der Sicht auf Jesus. Dies sei allerdings ein wichtiger Unterschied.
13. Besuch des Ostergartens der Freien evangelischen Gemeinde Dortmund
Die Führung durch eine die Karwoche darstellende Ausstellung wurde von beiden Gruppen positiv beurteilt. Alle Jugendlichen würdigten die kreative Gestaltung der Räume und meinten, etwas dazugelernt zu haben – auch die christlichen Teilnehmer(innen).
14. Klettern im Hochseilgarten
Der entspannte Ausklang des Projekts sorgte noch einmal für ein gutes Gruppengefühl und einen gelungenen Abschluss.
Fazit
Die gesteckten Ziele wurden insofern erreicht, als die Teilnehmenden bestätigten, Wissen dazugewonnen zu haben. Außerdem äußerten sie wiederholt den Verlust von Berührungsängsten und Vorurteilen. Zwei Jugendliche machten ihre Wertschätzung gegenüber der anderen Religion besonders deutlich, zwei weitere sprachen von einer Stärkung ihres eigenen Glaubens.
Die Rückmeldungen zum Projekt waren durchweg positiv. Verbesserungsvorschläge deuteten darauf hin, Aktivitäten ohne thematischen Inhalt schon früher im Projektablauf durchzuführen. Außerdem wurde der Wunsch geäußert, bei den Treffen persönlichen Erfahrungen und Fragen noch mehr Raum zu geben. Dies wird das Ziel für kommende Projekte sein.