Migrantenorganisationen als Schlüssel zur Teilhabe
Wie lässt sich die bisherige Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen beschreiben? Wie kann eine Kooperation mit Migrantenorganisationen weiter ausgebaut und intensiviert werden? Das sind die zwei zentralen Fragen des Projektes "Migrantenorganisationen ein Schlüssel zur selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund - Beitrag der Caritas", das seit Oktober 2009 im Deutschen Caritasverband durchgeführt wird und auf eineinhalb Jahre angelegt ist. Das Projekt greift damit in aktuelle Diskussionen in Politik, Wissenschaft und den Verbänden zur Rolle und Funktion von Migrantenorganisationen in der Gesellschaft ein. Es entwickelt Handlungsempfehlungen für die örtlichen Caritasverbände zur Ausgestaltung der Zusammenarbeit.
Die Caritas hat Migranten von Anfang an unterstützt
Ein Blick zurück in die 1950er Jahre beziehungsweise die Epoche der Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften zeigt, dass die damalige Ausländersozialberatung der Caritas von Anfang an Zuwanderer und ihre Selbstorganisationen unterstützte: Sie hat erste informelle Treffen angeregt und organisiert, Räume zur Verfügung gestellt oder sie gab Hilfestellung bei Vereinsgründungen. Viele Vereinigungen und Gruppierungen sind aus dieser Zusammenarbeit hervorgegangen. Im Laufe der Jahrzehnte veränderten sich die Beziehungen zwischen der Caritas und Migrantenorganisationen immer wieder. In einigen Fällen wurde die Zusammenarbeit nicht weitergeführt, in anderen Fällen wurde sie neu aufgebaut und weiterentwickelt.
In den letzten Jahren haben sich die Rahmenbedingungen für Migrantenorganisationen grundlegend verändert. Diese Entwicklung lässt sich schlaglichtartig an folgenden Beispielen verdeutlichen:
- Auf politischer Ebene vollzieht sich ein Paradigmenwechsel hin zur Anerkennung der Migrantenorganisationen als selbstverständliche Dialogpartner. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Einbindung von Vertreterinnen und Vertretern von Migrantenorganisationen in die Erarbeitung des "Nationalen Integrationsplans".
- Im kürzlich veröffentlichten "Bundesweiten Integrationsprogramm" wird als eine wichtige Zielsetzung festgehalten, dass durch die Professionalisierung der Vereinsarbeit Migrantenorganisationen verstärkt als Träger zur Ausrichtung von Integrationsangeboten befähigt werden sollen.
- Die lange Zeit vorherrschende Diskussion in der Wissenschaft, ob Migrantenorganisationen eher der Integration oder der Segregation zuträglich sind, wird zunehmend durch die Betonung ihrer Ressourcen und Potenziale abgelöst.
Migrantenorganisationen sind sehr unterschiedlich
Für den Deutschen Caritasverband stellt sich somit die Frage, wie er auf die gestiegene Bedeutung von Migrantenorganisationen reagieren soll und welche Anforderungen und Konsequenzen dies für seine verbandlichen Funktionen mit sich bringt. Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Und dies liegt vor allem an der Vielfalt der Migrantenorganisationen. Die Unterschiede beziehen sich sowohl auf die jeweiligen Ziele, Aktivitäten und Organisationsstrukturen als auch auf den Grad der Professionalisierung. Neben religiös ausgerichteten Migrantenorganisationen (zum Beispiel Moscheevereine) existieren weltlich ausgerichtete Vereine (zum Beispiel Elternvereine), manche organisieren sich entlang einer ethnischen Gruppe (zum Beispiel Landsmannschaften), andere wiederum haben eine multikulturelle Ausrichtung (zum Beispiel interkulturelle Frauenvereine). Aus diesem Grund wurde zu Beginn des Projektes bewusst keine eng gefasste Definition von Migrantenorganisationen gewählt. Stattdessen werden darunter "alle formalen und nichtformalen Zusammenschlüsse von Menschen mit Migrationshintergrund" verstanden. Dies können sowohl kleinere, lokal agierende Initiativgruppen als auch etablierte, eingetragene Vereine mit hauptamtlichen Strukturen sein.
Der Ist-Zustand wird durch eine Umfrage ermittelt
Um ein genaueres Bild über die derzeitige Zusammenarbeit der Caritas mit den unterschiedlichen Migrantenorganisationen zu erhalten, wurde im Rahmen des Projektes eine schriftliche Befragung in den Migrationsdiensten der Caritas durchgeführt. Es zeigt sich, dass Migrantenorganisationen für die Migrationsdienste selbstverständliche Kooperationspartner sind: Durchschnittlich arbeitet ein Migrationsdienst mit vier Migrantenorganisationen regelmäßig zusammen und hat in den letzten zwölf Monaten vier Maßnahmen durchgeführt, bei denen er auch mit Migrantenorganisationen zusammengearbeitet hat. Betrachtet man die Unterstützungsleistungen, die die Migrationsdienste für die Migrantenorganisationen erbringen, wird deutlich, dass 78 Prozent der Migrationsdienste Migrantenorganisationen bei der Netzwerkarbeit unterstützen und 64 Prozent der Migrationsdienste ihnen bei der Durchführung von Projekten zur Seite stehen. Zudem stellen 35 Prozent der Migrationdienste den Selbstorganisationen Räume zur Verfügung. Bei der Frage nach den Hauptzielen der Zusammenarbeit werden von den Migrationsdiensten am häufigsten die "Förderung der Teilhabe und Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund" sowie die "Verbesserung des Zugangs zur Zielgruppe" genannt. Wichtige Themengebiete der Zusammenarbeit sind die unterschiedlichen Aspekte der Bildung, der Dialog der Kulturen und Religionen sowie das bürgerschaftliche beziehungsweise ehrenamtliche Engagement.
Die Migrationsdienste wurden weiterhin nach den wichtigsten Migrantenorganisationen in der Zusammenarbeit befragt. Es wird deutlich, dass 28 Prozent der Selbstorganisationen religiöse Vereine (zumeist Moscheevereine), 21 Prozent Kulturvereine (religiöse Kulturvereine sowie klassische Kulturvereine) sowie neun Prozent Frauenvereine sind. Zwei Drittel der Migrantenorganisationen sind zudem ethnisch homogen, das heißt entlang einer Ethnie organisiert. Ein Drittel der Migrantenorganisationen ist dagegen ethnisch heterogen, das heißt gemischt-ethnisch organisiert. Zu den wichtigsten ethnisch homogenen Organisationen zählen türkische (zumeist Moscheevereine) und russische (vielfach Aussiedler-/Spätaussiedlervereine) Migrantenorganisationen. Die drei am häufigsten genannten Zielsetzungen der Migrantenorganisationen sind die "Integrationsarbeit", die "Durchführung von Kulturveranstaltungen" sowie die "Pflege der Sprache und Kultur des Herkunftslandes".
Die Caritas ist auf einem guten Weg
Wie die Umfrage zur Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen am Beispiel der Migrationsdienste zeigt, befindet sich die Caritas diesbezüglich auf einem guten Weg. Das Ziel der Caritas - die selbstbestimmte Teilhabe aller Menschen zu fördern und sich dabei an den Interessen und Bedürfnissen im Sozialraum zu orientieren - erfordert allerdings eine Intensivierung der Zusammenarbeit und Unterstützung. Denn eine aktive und zielgerichtete Unterstützung von Migrantenorganisationen trägt dazu bei, die gesellschaftlichen Teilhabe- und Mitgestaltungschancen von Menschen mit Migrationshintergrund zu erweitern. Zum einen kann damit im Sinne von Empowerment ein Prozess hin zu einer verstärkten Autonomie, Selbstbestimmung und Interessensvertretung von Personen mit Migrationshintergrund unterstützt werden. Zum anderen können dadurch auch die Potenziale der Migrantenorganisationen weiter gefördert werden. Diese liegen gerade darin, dass sie die Bedarfe der Menschen mit Migrationshintergrund kennen, dass sie deren Vertrauen genießen und einen guten Zugang zu ihnen haben. Zum anderen sind sie wichtige Orte der Anerkennung, Identifikation und Zugehörigkeit. Und sie übernehmen eine wichtige Mittler- und Brückenfunktion zwischen der Mehrheitsgesellschaft und ethnischen Gruppen.
Fragen, die im Vorfeld geklärt werden müssen
Zuletzt ist zu betonen, dass eine Zusammenarbeit und Unterstützung von Migrantenorganisationen nicht dem Muster der Beliebigkeit folgen sollte. Vielmehr sind bei der Auswahl von Kooperationspartnern einige Kriterien zu reflektieren. Es müssen folgende Fragen geklärt werden:
- Arbeitet die Migrantenorganisation integrationsfördernd?
- Ist die Arbeit der Migrantenorganisation multiethnisch ausgerichtet, so dass eine Zersplitterung nach ethnischen Gruppen verhindert wird? Oder können gerade über Migrantenorganisationen, die nur eine Ethnie vertreten, bestimmte Zielgruppen besonders gut erreicht werden?
- Lassen sich Gemeinsamkeiten zwischen Migrantenorganisation und Caritas hinsichtlich der Grundhaltungen, Zielsetzungen und Aktivitäten identifizieren. Werden diese transparent gemacht?
- Lassen sich bei einer Zusammenarbeit die häufig unterschiedlichen (ehrenamtlichen und hauptamtlichen) Strukturen in Einklang bringen und gibt es eine Verständigung darüber, wer welche Ressourcen einbringt?
Weitere praktische Hilfestellungen und Anregungen zur Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen werden am Ende des Projektes in einer Handreichung aufbereitet. Materialien aus dem Projekt, wie zum Beispiel eine Orientierungshilfe für den Fachdienst für Migration und Integration zur Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen finden Sie unter: www. caritas.de/migrantenorganisationen