Gemeinnützige Verbandstätigkeit im Licht des Kartellrechts
Das Kartellrecht hat auf europäischer und nationaler Ebene in den letzten Jahren stetig an Bedeutung gewonnen. Immer mehr Branchen und Wirtschaftszweige geraten in den Fokus der Kartellbehörden. Sinn und Zweck des Kartellrechts sind der Erhalt eines ungehinderten und möglichst vielgestaltigen Wettbewerbs sowie der Schutz der Verbraucher und Wettbewerber. Als „Kartell“ verboten sind Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen mit dem Zweck oder der Wirkung, den Wettbewerb zu beschränken, zu verfälschen oder zu verhindern. Nur unter engen gesetzlichen Voraussetzungen sind wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen zulässig („freigestellt“), etwa wenn sie nachweisbare Vorteile für Verbraucher wie zum Beispiel größere Produktvielfalt oder Innovation bewirken. Es gibt kein behördliches Genehmigungsverfahren, in dem das Vorliegen der gesetzlichen Freistellungsvoraussetzungen bestätigt wird. Vielmehr müssen Unternehmen beziehungsweise Unternehmensvereinigungen in eigener Verantwortung prüfen, ob Freistellungsvoraussetzungen greifen.
Verbände als Adressaten des Kartellrechts
Die meisten Vorschriften des Kartellrechts richten sich an „Unternehmen“ beziehungsweise „Vereinigungen von Unternehmen“. Dem Unternehmensbegriff kommt also eine zentrale Bedeutung zu. Der kartellrechtliche Unternehmensbegriff ist unabhängig von dem anderer Gesetze. Das Kartellrecht geht von einem „funktionalen“ Unternehmensbegriff aus, wonach jedwede Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr den Unternehmensbegriff erfüllt. Diese weite Auslegung hat zur Folge, dass sowohl der Verband selbst als auch dessen Mitglieder als Unternehmen anzusehen sind, wenn sie eine Wirtschaftstätigkeit selbstständig ausüben. Die Absicht, Gewinne zu erzielen, ist hingegen nicht erforderlich. Demnach treten auch gemeinnützige Organisationen und ihre Unterorganisationen als Marktteilnehmer auf. Auch sie können durch ihr Verhalten Wettbewerbsbeschränkungen bewirken. Auf die Rechtsform und Art der Finanzierung kommt es nicht an. Das Kartellrecht erfasst somit etwa das Betreiben eines Krankenhauses, eines Kindergartens oder einer Pflegeeinrichtung durch gemeinnützige Organisationen im Wettbewerb mit Privaten oder untereinander. Das Kartellrecht privilegiert gemeinnützige Organisationen sowie deren Unterorganisationen grundsätzlich nicht.
Was ist kartellrechtlich zulässig?
Verbände erfüllen eine wichtige Funktion. Sie sind Bindeglied zwischen Wirtschaft und Politik. Sie dienen als Legitimationsplattform eines Wirtschaftszweigs und sind insoweit Ort der Meinungsbildung. Trotzdem stehen Verbände seit jeher unter wettbewerbspolitischer Beobachtung, da sich in ihnen regelmäßig Unternehmen zusammenfinden, die miteinander in Wettbewerb stehen. Für Verbände gilt grundsätzlich nichts anderes als für sonstige Unternehmen: Sie haben Verhaltensweisen (in Beschlüssen oder in Vereinbarungen sowie in abgestimmten Verhaltensweisen) zu unterlassen, die zu einer Beschränkung des Wettbewerbs führen. Dazu zählen insbesondere Preisabsprachen, Mengenbeschränkungen oder Gebietsaufteilungen. Diese Grundsätze gelten sowohl für den Verband selbst, als auch für die einzelnen Mitglieder untereinander.
Das „Marktinformationsverfahren“
Unter einem „Marktinformationsverfahren“ versteht man ein – häufig über einen Verband – organisiertes Meldeverfahren zum Austausch marktrelevanter Daten. Typische Beispiele sind statistische Meldeverfahren, Marktforschungsverfahren oder Preismeldesysteme. Ein derartiger Informationsaustausch kann vom Kartellverbot selbst dann erfasst sein, wenn die unternehmerische Handlungsfreiheit nicht unmittelbar eingeschränkt wird. Dies kann schon dann der Fall sein, wenn durch den Informationsaustausch die Ungewissheit über das Marktverhalten von Wettbewerbern verringert oder beseitigt wird und hierdurch Wettbewerbsvorstöße einzelner unterbleiben oder Angleichungseffekte eintreten. Die Kartellbehörden nehmen gegenüber „Marktinformationsverfahren“ eine zunehmend kritische Haltung ein. Verbände sollten daher den Umgang mit den ihnen zugänglichen Informationen sehr vorsichtig handhaben und vor der Weitergabe an ihre Mitglieder sorgfältig prüfen, ob dadurch Unsicherheiten im Markt beseitigt und letztlich Wettbewerbsverfälschungen hervorgerufen werden. Stets zu vermeiden ist der „identifizierende“ Informationsaustausch, der die Identität der teilnehmenden Unternehmen offenlegt oder für den kundigen Betrachter erkennen lässt. Ebenfalls sehr problematisch ist grundsätzlich der Austausch zukunftsgerichteter Daten oder Informationen. Ausschlaggebend für die kartellrechtliche Beurteilung eines Informationsaustausches ist stets eine Gesamtbetrachtung mehrerer Faktoren, etwa Aggregationsgrad (Grad der Zusammenfassung von Informationen zu verschiedenen Produkten), Charakter und Aktualität der Informationen sowie die Häufigkeit ihres Austausches oder der Grad der Konzentration eines Marktes und der auf ihm herrschenden Transparenz. Es wird auch die konkrete Beschaffenheit der Dienstleistungen oder Produkte untersucht, die von einem Informationsaustausch betroffen sind.
Der Meinungsaustausch von Mitgliedsunternehmen
Im Rahmen von Verbandstreffen, sei es in Sitzungen, in Ausschüssen oder in Arbeitskreisen, werden vielfach Marktgespräche geführt, in denen sich die Mitglieder über die aktuelle Marktlage austauschen. Es gelten im Wesentlichen die Grundsätze zu den „Marktinformationsverfahren“. Auch ein solcher Austausch ist vorsichtig zu handhaben, denn er kann Verbandsmitgliedern Aufschluss über künftiges Marktverhalten geben. Dies wiederum kann die Ungewissheit beseitigen oder verringern, die zu einem funktionierenden Wettbewerb gehört.
„Verbandsempfehlungen“
Auch wenn kein ausdrückliches gesetzliches Empfehlungsverbot besteht, so sind „Verbandsempfehlungen“ grundsätzlich dann unzulässig, wenn das empfohlene Verhalten als Vereinbarung von Unternehmen unter das Kartellverbot fallen würde. Dies sind etwa Empfehlungen dahin, dass die Mitgliedsunternehmen bestimmte Kosten bei der Preissetzung an ihre Kunden weitergeben. Zulässig sind Empfehlungen mit Informations- oder Beratungscharakter. Jede Verbandsempfehlung sollte aber auf ihre Vereinbarkeit mit dem Kartellverbot untersucht werden. Ein aussagekräftiges Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist der am 21. Dezember 2007 entschiedene Fall „Apothekerverbände“: Neun Landesapothekerverbände und der Bundesverband der Arzneimittelhersteller führten Ende 2003 eine Reihe von Vortragsveranstaltungen für Apotheker durch. Hintergrund war das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG), das Anfang 2004 in Kraft trat. Mit diesem wurde ein Preiswettbewerb bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (OTCs) ermöglicht.
Auf den Vortragsveranstaltungen, an denen mehrere Tausend Apotheker teilnahmen, traten Redner der Apothekerverbände, von Beratungsunternehmen und von pharmazeutischen Herstellern auf. Die Inhalte dieser Vorträge verstand das Bundeskartellamt dahin, dass den Apothekern nahegelegt wurde, bei OTC-Arzneimitteln vom Preiswettbewerb Abstand zu nehmen und sich stattdessen an unverbindliche Preisempfehlungen der Hersteller zu halten. Darin sah das Bundeskartellamt einen Kartellverstoß, den es mit Geldbußen gegen beteiligte Verbände und handelnde Personen ahndete.
Arbeits- und Bietergemeinschaften
Mitgliedsunternehmen von Verbänden bilden des Öfteren Kooperationen, sogenannte „Arbeits- oder Bietergemeinschaften“, um an Ausschreibungswettbewerben teilzunehmen. Eine Kooperation zwischen Konkurrenten kann eine Wettbewerbsbeschränkung bewirken, aber auch zu zusätzlichem Wettbewerb mit einem weiteren Anbieter oder Nachfrager führen und so den schon bestehenden Wettbewerb fördern. Wenn die Unternehmen beziehungsweise Verbände ohne die Zusammenarbeit nicht imstande wären, auf dem Markt tätig zu werden, liegt keine Beschränkung des Wettbewerbs vor. Klassisches Beispiel ist die Zusammenarbeit im Rahmen von Ausschreibungswettbewerben, um kleinen und mittleren Unternehmen oder Verbänden die Bewerbung um Großprojekte zu erlauben. Diese würden ihnen aufgrund fehlender finanzieller und technischer Ressourcen sonst verschlossen blieben. Sind hingegen die beteiligten Unternehmen in der Lage, die Leistung selbst zu erbringen und erscheint dies auch wirtschaftlich zweckmäßig und kaufmännisch nicht unvernünftig, ist eine Kooperation unzulässig. Eine solche würde den Wettbewerb beschränken und damit würde ein Verstoß gegen das Kartellverbot vorliegen. Es ist somit nicht ausreichend, wenn es für die betroffenen Unternehmen beziehungsweise Verbände wirtschaftlich effizienter ist, ein Projekt gemeinsam zu bestreiten. Auch dürfen sich Verbandsmitglieder, die sich an Ausschreibungen beteiligen wollen, nicht untereinander absprechen oder ausschreibungsrelevante Informationen weitergeben beziehungsweise austauschen, um zu ermitteln, wer von ihnen für die Ausschreibung am besten geeignet ist.
Verbandsboykott
Des Weiteren sieht das Kartellrecht ein Boykottverbot vor, das Unternehmen und Verbänden untersagt, andere Unternehmen dahingehend zu beeinflussen, dass sie Lieferbeziehungen zu bestimmten Unternehmen nicht eingehen oder nicht aufrechterhalten. Daher ist Vorsicht bei der Weitergabe von Meinungen und Wertungen geboten. Der Austausch sensibler Informationen sollte grundsätzlich vermieden werden. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist der sogenannte „Milchboykott-Fall“, bei dem das Bundeskartellamt einen Verstoß gegen das Boykottverbot feststellte. Der Verband Deutscher Milchtierhalter hatte nach Feststellungen des Bundeskartellamts die Milchviehhalter in Deutschland zur Nichtbelieferung der Molkereien und zu Demonstrationen vor ausgewählten Molkereien aufgerufen. Ziel war es, einen bundesweit einheitlichen Abgabepreis von 43 Cent pro Liter Milch und eine Drosselung der Milchmenge durchzusetzen. Infolge dieses Aufrufs wurden bundesweit zahlreiche Molkereien von den Milchviehhaltern nicht mehr mit Milch beliefert. Teilweise wurden die Anlieferung von Milch und die Auslieferung von Milchprodukten durch Blockaden verhindert. Von einer Verhängung von Geldbußen sah das Bundeskartellamt hier ab, drohte diese jedoch für den Wiederholungsfall an.
Rechtliche Konsequenzen bei Verstößen
Im Lauf der letzten Jahre haben Reformen des europäischen und des deutschen Kartellrechts zu einer Verschärfung der Sanktionen geführt, um eine stärkere Abschreckungswirkung zu erzielen. Neben den Verbänden können auch einzelne Mitglieder für Kartellverstöße im Verband unabhängig davon haften, ob sie eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung umgesetzt haben. Die schwerwiegendste Sanktion für wettbewerbswidriges Verhalten sind Geldbußen, die bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes betragen können. Die bislang höchste jemals verhängte Geldbuße gegen ein Unternehmen beträgt 1,1 Milliarden Euro. Es können des Weiteren gegen Mitarbeiter(innen) eines Verbandes Geldbußen verhängt werden, sowohl gegen Personen, die für den Verband unmittelbar handeln, als auch gegen Mitglieder von geschäftsführenden Organen eines Verbandes wegen Verletzung von Aufsichts- und Organisationspflichten. Darüber hinaus besteht für die Kartellbehörden die Möglichkeit einer Vorteilsabschöpfung, das heißt, der gesamte wirtschaftliche Vorteil, der durch einen Kartellrechtsverstoß erlangt wurde, wird abgeschöpft. Wer gegen das Kartellrecht verstößt, ist ferner dem „Betroffenen“ zur Beseitigung des Verstoßes verpflichtet. Bei Wiederholungsgefahr oder anderweitigem Drohen einer Zuwiderhandlung besteht ein Unterlassungsanspruch, bei schuldhaftem, das heißt vorsätzlichem oder fahrlässigem Handeln, sogar ein Schadensersatzanspruch.
Vorsicht bei Verbandsempfehlungen
Verbände dürfen und sollen die gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Interessen ihrer Mitglieder umfassend wahrnehmen, auch wenn es sich bei den Mitgliedern um Unternehmen handelt, die miteinander im Wettbewerb stehen. Ein Kartellverstoß unter dem Deckmantel eines Verbandes ist jedoch nicht erlaubt, wobei es unerheblich ist, ob es sich um eine gemeinnützige Organisation oder ein privates Unternehmen handelt. Die Mitglieder eines gemeinnützigen Verbandes und dieser selbst unterliegen den gleichen kartellrechtlichen Verboten wie sonstige Unternehmen. Besondere Zurückhaltung ist geboten, wenn Marktinformationen – insbesondere über Preise – ausgetauscht und Marktgespräche in Verbandssitzungen geführt werden. Verbandsempfehlungen sollten mit Bedacht formuliert werden. Geschäftsführer von Verbänden und ihrer Mitglieder sollten sich angesichts der drohenden schwerwiegenden Sanktionen vergewissern, dass die Verbandsarbeit kartellrechtlich unangreifbar ist.