Nicht nur alt und allein: Einsamkeit trifft viele
Christiane Stieff
Die Aufmerksamkeit für das Thema Einsamkeit ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Auch die Politik nimmt sich dieses Phänomens immer mehr an. Zu Recht, denn Einsamkeit zieht weitere Leiden und diverse gesundheitliche Probleme mit sich: Menschen, die an Einsamkeit leiden, haben ein höheres Risiko, an onkologischen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu versterben. Psychische Erkrankungen, insbesondere Depressionen treten unter einsamen Menschen häufiger auf. Einsame Menschen neigen in der Folge häufiger zu selbstverletzendem Verhalten und haben ein höheres Risiko für suizidales Verhalten.1
Zudem besteht ein Zusammenhang zwischen Demenz und Einsamkeit.Und: Inzwischen ist bekannt, dass Einsamkeit einhergeht mit einem Vertrauensverlust in die Gesellschaft und unsere demokratischen Grundstrukturen.2
Wer ist überhaupt von Einsamkeit betroffen? Welche Ursachen und Folgen hat das, auch für die Sozialpolitik? Was muss bei Aktionen gegen Einsamkeit und bei Prävention beachtet werden? Mit solchen Fragen beschäftigen sich inzwischen verschiedene Wissenschaftsdisziplinen. Viele Erkenntnisse werden gebündelt im Kompetenznetz Einsamkeit3, das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird.
Einsamkeit als subjektives Gefühl
Die inzwischen geläufigste Definition von Einsamkeit stammt von der Psychologin Maike Luhmann, die sich auf Daniel Perlman und Letitia Anne Peplau bezieht. Sie lautet:
"Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl, bei dem die eigenen sozialen Beziehungen nicht den persönlichen Wünschen und Bedürfnissen entsprechen. Zum Beispiel kann Einsamkeit für manche einen empfundenen Mangel an engen, emotionalen Bindungen bedeuten. Für andere entsteht Einsamkeit, wenn sie weniger Kontakt zu anderen Menschen haben, als sie es gerne möchten."4 Luhmann betont hier besonders den subjektiven Aspekt und verweist auf die jeweils unterschiedlichen eigenen Bedürfnisse, was beispielsweise die Zahl der Kontakte, von Freund:innen, aber auch das Fehlen körperlicher Nähe bedeuten kann.
Armut, Krankheit und Migration steigern das Risiko für Einsamkeit
Schon bevor das Kompetenznetz Einsamkeit installiert war und zu deutlich mehr Forschungsinitiativen und der Zusammenführung verschiedenster Ergebnisse führte, konnten folgende Risikofaktoren identifiziert werden: "Arbeitslosigkeit, Armut, Migrationshintergrund, Partnerlosigkeit, gesundheitliche Einschränkungen sowie objektive soziale Isolation."5 In neuen Studien wurde zudem auf das Geschlecht und das Alter geschaut und einzelne marginalisierte Gruppen untersucht. Einschneidende Lebensereignisse wie der Tod eines vertrauten Menschen, Umzug, Arbeitsplatz, der Übergang von der Schule in den Beruf oder zur Ausbildung sind oft Auslöser von vermehrter Einsamkeit. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn nur unzureichende Unterstützung aus dem eigenen Netzwerk oder dem Sozialraum kommt.
Bisherige Studien weisen zudem darauf hin, dass für Menschen mit Migrationsgeschichte die je eigene Umbruchsituation wie Flucht, Verlust von Kontakten, die Suche nach stabilen Netzwerken in der Nachbarschaft, bei der Arbeit oder in der eigenen Gruppe ein erhöhtes Einsamkeitsrisiko mit sich bringt. Diskriminierungserfahrungen, die Menschen mit Migrationshintergrund im Aufnahmeland begegnen, verstärken diese Faktoren.
Aktuelle Analysen zu Einsamkeit und deren Entwicklung in Deutschland liefert das im Sommer erschienene Einsamkeitsbarometer6, in dem die Ergebnisse der repräsentativen Erhebung der Einsamkeitsbelastung der erwachsenen deutschen Bevölkerung vorgestellt werden. Die Autor:innen weisen hier zudem auf die höhere Einsamkeitsbelastung von Frauen hin und nennen mehrere Ursachen, wie die höhere Lebenserwartung von Frauen und die noch immer häufigere Verantwortung und Übernahme von Care-Arbeit, sei es bei der Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen. Den quantitativen Unterschied zwischen dem Einsamkeitsempfinden von Männern und Frauen bezeichnen aktuelle Studien als Gender Loneliness Gap (siehe Abbildung). Personen, die sich in dieser bipolaren Geschlechterkonstruktion nicht zugeordnet wissen wollen oder den Geschlechterzuschreibungen nicht entsprechen, erleben Marginalisierung und sind noch deutlich häufiger von Einsamkeit betroffen.7
Unter 30-Jährige sind häufiger einsam als über 75-Jährige
Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass alte Menschen deutlich häufiger von Einsamkeit betroffen seien als junge Menschen. Dies muss deutlich differenzierter betrachten werden, denn das Erleben von Einsamkeit kann in jedem Lebensalter auftreten. Seit der Pandemie wissen wir zudem, dass Jugendliche und junge Erwachsene ebenfalls sehr stark darunter leiden. Im Einsamkeitsbarometer ist dazu formuliert: "Während der Pandemie stieg die Einsamkeitsbelastung bei jüngeren Menschen besonders stark an. 2020 waren jüngere Personen (zwischen 18 und 29 Jahren) mit 31,8 Prozent stärker mit Einsamkeit belastet als Personen im Alter von über 75 Jahre und älter (22,8 Prozent)."8
Ein hohes Lebensalter an sich ist nicht die Ursache für Einsamkeit, aber mit höherem Lebensalter nehmen die Risikofaktoren wie der Verlust von Partner:innen oder Bekannten zu. Ebenso führen gesundheitliche Einschränkungen zu Rückzug und dem Verlust an Teilhabemöglichkeiten. Altersarmut ist ein zentraler Faktor und verstärkt diese Entwicklung. Im Rahmen der Studie "Hohes Alter in Deutschland (D80+)" des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA) konnten Unterschiede des Einsamkeitsempfindens in den Alterskohorten festgestellt werden. So gaben bei einer Befragung im Pandemiejahr 2021 8,7 Prozent der Personen im Alter von 80 bis 84 Jahren an, einsam zu sein, bei Personen ab dem Alter von 90 Jahren waren es zweieinhalbmal so viel, nämlich 22,1 Prozent.9
Noch deutlicher differierte das Einsamkeitsempfinden zwischen denjenigen, die in einer stationären Pflegeeinrichtung lebten, und denjenigen, die in ihrem privaten und vertrauten Umfeld lebten. So lag der Anteil bei den Personen, die im eigenen Zuhause blieben, bei 9,5 Prozent. Bei den Heimbewohner:innen hingegen lag der Anteil bei 35,2 Prozent. Ähnlich verhält es sich bei Menschen, die aufgrund einer Behinderung in entsprechenden Einrichtungen leben. Eine Erklärung zu beiden Beobachtungen mag sein, dass Menschen, die in einer Pflegeeinrichtung leben, unter großen und oft zunehmenden gesundheitlichen Einschränkungen leiden. Hinzu kommt jedoch, dass sie ihre vertraute Umgebung verlieren, mit einer neuen Nachbarschaft konfrontiert sind, sich ihr soziales Netzwerk deutlich verändert und Menschen in Pflegeinrichtungen zudem noch häufiger ohne Partner:in leben.
Sozialraum gegen Einsamkeit – in der Stadt und auf dem Land
Ein Stadt-Land-Gefälle belegen die Studien allerdings nicht: Ob Personen gut in ihr Umfeld eingebunden sind oder sein können und so gegen Einsamkeit vorgehen können, hängt nach neuen Forschungen gerade nicht davon ab, ob die jeweilige Person in einer städtischen oder ländlichen Region lebt. Oft existieren hierzu sozialromantische Vorstellungen, die sich so in der Empirie nicht zeigen. Im Einsamkeitsbarometer heißt es klar: "Es gibt keine praktisch bedeutsamen Unterschiede in der Einsamkeitsbelastung im Stadt-Land-Vergleich."10
Andere Studien unterstreichen dies, zeigen allerdings schon, dass andere räumliche Bedingungen die Einsamkeit befördern oder verhindern können. Diese sozialräumlichen und sozialplanerischen Faktoren11 können sowohl auf dem Land als auch in der Stadt gegeben sein: So ist es zentral, fußläufig und gut erreichbar Begegnungsräume und Grünflächen zu haben. Quartiere, in denen Menschen sich wohlfühlen und gern leben, die durchmischt sind und Offenheit ermöglichen, scheinen Orte zu sein, an denen Menschen sich weniger einsam fühlen. Auch die Infrastruktur am Ort und die Nähe zu einem sogenannten Oberzentrum, also einer größeren Stadt, die eine bestimmte Infrastruktur bietet, sind Faktoren, die präventiv wirken können. Das zeigt - plakativ formuliert: Alles, was Teilhabe ermöglicht, kann Einsamkeit verhindern.
Was hilft gegen Einsamkeit?
Teilhabe ist demnach ein wichtiger Baustein, der Einsamkeit vorbeugen kann. Darüber hinaus gibt es sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Aspekte, die gegen Einsamkeit hilfreich sein können.
Auf individueller Ebene geht es darum, von Angeboten der Einsamkeitsprävention im Besonderen, aber auch von Freizeitangeboten und Kontaktmöglichkeiten zu erfahren und solche Angebote auch annehmen zu können. Dafür muss auch auf gesellschaftlicher Ebene viel geschehen. Da Einsamkeit den einzelnen Menschen häufig beschämt, ist es wichtig, das Thema zu enttabuisieren und besprechbar zu machen. Die gesamtgesellschaftliche Dimension inklusive ihrer Folgen für Gesundheit und Zusammenhalt muss anerkannt werden.
Gegen Einsamkeit aktiv zu werden, heißt daher: gegen jede Form von Armut anzugehen, gesundheitspolitische Fragen vorrangig zu behandeln, die Gestaltung des Sozialraums zu steuern und Plätze der Begegnung zu schaffen. In manchen Kommunen liegen Sozialraumanalysen vor, die Gebiete mit unterschiedlicher Versorgung und Infrastruktur abbilden. An solchen Sozialraumanalysen ist abzulesen, ob bereits Strukturen bestehen, die einsamkeitspräventiv wirken, niederschwellig und gut erreichbar sind, oder wo solche Strukturen ausgebaut werden sollten. Wenn aufsuchende Angebote, etwa Besuchsdienste, eingesetzt werden, sollten diese gut mit anderen Angeboten verknüpft sein und voneinander wissen. Um Wirkung zu entfalten, besser wahrgenommen zu werden und tatsächlich gegen Einsamkeit vorgehen zu können, braucht es daher starke Netzwerke aller Akteure.
1. Buecker S.; Neuber, A.: Einsamkeit als Gesundheitsrisiko. Eine narrative Übersichtsarbeit. In: Bundesgesundheitsblatt 2024, Bd. 67, S. 1095-1102. https://doi.org/10.1007/s00103-024-03939-w
2. Shen, C. et al.: Associations of Social Isolation and Loneliness With Later Dementia. In: Neurology, Bd. 99, Nr. 2: 2022, S. 164-175. https://doi.org/10.1212/WNL.0000000000200583
3. https://kompetenznetz-einsamkeit.de/einsamkeit
4. Perlman, D.; Peplau, L. A.: Toward a Social Psychology of Loneliness. In: Gilmour, R.; Duck, S. (Hrsg.): Personal Relationships in Disorder. London: Academic Press, 1981, S. 31-56.
5. Siehe Kurzlink: https://tinyurl.com/nc21-24-HRR
6. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend: Einsamkeitsbarometer 2024. Langzeitentwicklung von Einsamkeit in Deutschland. 2024; Kurzlink:
https://tinyurl.com/nc21-24-einsamkeit
7. Siehe Kurzlink: https://tinyurl.com/nc21-24-LSBTQI
8. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Einsamkeitsbarometer 2024. Langzeitentwicklung von Einsamkeit in Deutschland, 2024. S. 9.
9. https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-66630-2, S. 90.
10. Einsamkeitsbarometer, S. 60.
11. Siehe Kurzlink: https://tinyurl.com/nc21-24-einsamkeit2