Wohnungslos in Nürnberg – wie gute Hilfe geht
Das Erfolgsrezept: Alle ziehen an einem Strang.
„Friede sei mit dir“ steht in Stein gemeißelt über der Tür des ehemaligen Franziskanerklosters. Dahinter ist es friedlich, aber auch sehr lebendig. Im Erdgeschoss toben zwei kleine Kinder über den Flur, eine Mutter mit Kind auf dem Arm kommt die Holztreppe herunter. Am Ende des Flurs sitzt eine Bewohnerin im Bademantel und wartet darauf, dass die Dusche frei wird.
Petra Zöttlein leitet das Caritas-Haus für Frauen in Not. Sie macht den Frauen Mut und hilft ihnen – auch bei der Wohnungssuche.
„Willkommen im Caritas-Haus für Frauen in Not“, sagt Petra Zöttlein zur Begrüßung. Aktuell wohnen in den Zimmern über zwei Etagen 14 wohnungslose Frauen mit 17 Kindern. „Wir hatten aber auch schon 27 Kinder hier“, erinnert sich die Leiterin. Das Haus steht Schwangeren und alleinerziehenden Müttern offen. Die Bewohnerinnen versorgen sich selbst. „Wir unterstützen sie bei der Wohnungssuche und darüber hinaus“, sagt die Sozialpädagogin.
Eine Atempause auf Zeit?
Wer hier Unterschlupf findet, hat sich zuvor vom Partner getrennt, musste wegen Eigenbedarf ausziehen oder hat die Post zu lange nicht geöffnet, so dass niemand die Räumung mehr verhindern konnte. Bei der 31-jährigen Zara aus Syrien war es der ständige Streit mit dem Noch-Ehemann. Die 25-jährige Meriam wurde von ihrem Bruder vor die Tür gesetzt, weil sie sich mit seiner Ehefrau in den Haaren lag. Seit einigen Wochen lebt die zweifache Mutter in einem Zimmer mit Etagenbett.
Ihre beiden Söhne gehen um die Ecke zur Schule, genauso Zaras Tochter. Für ihren autistischen Sohn hat sie eine Förderschule gefunden. Das klingt nach einer Lösung. Es ist eine Atempause auf Zeit. „Ich fühle mich hier sehr wohl, weil uns auch die Sozialarbeiterinnen unterstützen“, sagt die 31-Jährige. Aber natürlich sucht sie eine eigene Wohnung. Bisher Fehlanzeige.
Falsche Hautfarbe – schwierige Suche
„Wer mit einer anderen Hautfarbe geboren ist, oder wie Meriam Kopftuch trägt, die deutsche Sprache nicht spricht oder einen SCHUFA-Eintrag hat, findet nur schwer eine Wohnung“, sagt Petra Zöttlein. Irgendwann werde es klappen. Auch dank des Engagements der Stadt. „Es gibt Anlaufpunkte für Wohnungs- und Obdachlose. Die Mitarbeiter:innen des Sozialreferats engagieren sich sehr“, sagt sie. Dieser Satz fällt an diesem Tag noch häufiger.
Neben dem Haus für Frauen in Not betreibt die Caritas Nürnberg auch die Ökumenische Wärmestube, das „Domus Misericordiae“, also das Haus der Barmherzigkeit sowie die Straßenambulanz Franz von Assisi. Letztere residiert im ehemaligen Kloster der mächtigen St. Ludwigkirche.
Medizin ohne Versichertenkarte
Zu Roland Stubenvoll, dem Leiter der Ambulanz, kommen Wohnungslose, aus der Haft Entlassene und Menschen ohne Krankenversicherung.
Roland Stubenvoll leitet die Ambulanz seit über 20 Jahren. Zuerst führt er Besucher in den warmen, holzvertäfelten ehemaligen Kloster-Speisesaal. Einige Wohnungslosen sitzen in Gruppen an Wirtshaustischen. Andere holen sich warmes Essen am Tresen. Vor der Stube gibt es Dusch- und Waschgelegenheiten. Und rechts neben der Eingangstür behandeln Dr. Jörg Seiler und Psychiaterin Christine Wiesinger kostenlos Menschen auch ohne Versichertenkarte. Und sie substituieren Drogenabhängige. Bei schweren Fällen kann die Praxis auf ein Netzwerk von kooperierenden Fachärzt:innen zurückgreifen.
„Administrativ und rechtlich agieren Ärzte und Caritas getrennt voneinander, de facto arbeiten wir eng zusammen“, sagt Roland Stubenvoll. Gemeinsam haben beide Einrichtungen 2023 über 1.000 Patienten versorgt, knapp 300 hatten keine Versichertenkarte, weiß Stubenvoll. „Kann das Ärzteteam Leistungen nicht abrechnen, finanzieren wir sie aus Spenden.“ Es ist ein vertrauensvolles Miteinander über viele Jahre hinweg.
Brücken zu Obdachlosen bauen
Regelmäßig sucht Patrick Phillips (rechts) Plätze obdachlose Menschen auf der Straße auf und baut so Brücken zur Ambulanz.
Mittwochnachmittag sind die Praxisräume der Ambulanz verwaist. Patrick Phillips macht sich mit seinem roten Notfallrucksack auf den Weg. An diesem nasskalten Tag klappert der Krankenpfleger die Plätze in der Innenstadt ab, an denen sich tagsüber wohnungs- und obdachlose Menschen aufhalten. Diese aufsuchende Obdachlosenhilfe ist nötig, sagt Phillips: „Gerade Menschen auf der Straße sind misstrauisch. Indem wir hier auf sie zugehen, versuchen wir Brücken zu bauen und informieren sie über unsere Angebote.“
Oben auf der Bahnhofsgalerie warten Menschen auf ihren Zug. „Nachts schlafen hier manche im Sitzen, aber das ist sehr schlecht für die Gefäße“, weiß der Caritas-Mitarbeiter. Draußen hat es zu schneien begonnen. An eine Mauer gelehnt sitzt ein vielleicht 40-Jähriger vor einem Laden. Er spricht nur ungarisch. Phillips drückt ihm einen Flyer in die Hand und erklärt ihm, wo er Essen und Hilfe bekommt.
In der Breiten Gasse trifft er auf Jürgen (Name geändert). Der Obdachlose sitzt vor dem ehemaligen, inzwischen geschlossenen Einkaufszentrum City-Point. Der Franke ist Diabetiker, seine Insulinspritze wurde ihm geklaut. „Dann musst Du schnell zu uns kommen“, sagt Phillips. Jürgen nickt. „Dr. Seiler ist so ein guter Arzt“, weiß der 47-jährige aus eigener Erfahrung. Langsam wird es dunkel. „Jetzt gehen die meisten in ihre Unterkünfte oder in die Notschlafstelle“, sagt Phillips und verabschiedet sich.
Das Haus der Barmherzigkeit
Das Domus ist in einer großbürgerlichen Villa untergebracht, zu der zwei weitere Gebäude gehören. Im linken Hinterhaus befindet sich die Notschlafstelle mit 16 Notbetten in zwei kleinen Räumen. Sie sind ein wichtiger Baustein im Domus, das Wohnungs- und Obdachlose auf jedem Schritt hin zu einer eigenen Wohnung begleitet – sofern sie das wollen.
Immer wieder hat Uwe selbst in der Notschlafstelle übernachtet. Im Domus hat man ihn aufgefangen. Nun hilft er anderen.
Über das Angebot weiß kaum einer besser Bescheid als Uwe, den seine Freunde Popeye nennen. Mit seinen 61 Jahren hat er schon eine Überdosis Leben hinter sich. Mit 13 pfeift er sich harte Drogen ein, mit Dealen finanziert er seine Sucht, in der Gummikammer macht er einen harten Entzug. Immer wieder rappelt er sich auf, hinterlässt verbrannte Erde, häuft Schulden an. Als er in Garmisch-Partenkirchen an die Bergkante tritt, sind es nur noch 80 Meter bis zur Ewigkeit.
Doch er entscheidet sich fürs Leben. In Nürnberg lässt er sich in die Psychiatrie einweisen. Ein halbes Jahr lebt er in der Notfallschlafstelle, dann im Betreuten Wohnen. Er redet viel mit dem Sozialpädagogen – „zu dem konnte ich wegen jedem Scheiß kommen“ –, packt seine Sucht an. Heute wohnt er in eigenen vier Wänden und ist hauptamtlich Nachtwächter in der Notschlafstelle. „Heute bin ich einer der wenigen, die zur Domus-Familie gehören. Hier will ich nicht mehr weg“, sagt der hagere Mann. Die Überdosis Leben hat seinem Körper zugesetzt, seine Augen aber sind heute wach und klar.
Ein Netzwerk für Menschen
Es war ein hartes Ringen – nicht nur für Popeye. „Menschen wie Uwe brauchen Zeit und immer wieder auch Unterstützung“, sagt Domus-Leiter Ulrich Süttner. Diese Hilfe bekommen die Menschen hier in vielfältiger Form. In der Domusstube geben sie abends für arme und bedürftige Menschen kostenloses Abendessen aus. „Wir haben 62 Plätze im Betreuten Wohnen, zwölf davon sind für psychisch kranke Männer reserviert, zudem eine Frauen-WG mit sechs Plätzen. Außerdem unterhalten wir ein Haus der zweiten Chance für Strafentlassene sowie acht Außenwohngruppen für Menschen vor dem letzten Schritt in die Eigenständigkeit“, zählt Ulrich Süttner auf.
In der Beratungsstelle erhalten obdach- und wohnungslose Menschen Unterstützung auf ihrem Weg zu einem eigenen Zuhause.
Und die Caritas unterstützt die Stadt in drei Pensionen im Begleitenden Wohnen mit insgesamt 200 Plätzen. „Die Kommune hat uns gebeten, die Bewohner:innen und Familien sozial zu begleiten“. Die Sozialarbeiter:innen der Caritas unterstützen, organisieren und moderieren Konflikte dort vor Ort.
Solche Hilfsangebote gibt es in Nürnberg, weil sich das Sozialreferat auch für Wohnungslose ins Zeug legt. „Die Wege zu uns Wohlfahrtsverbänden sind kurz, die Kontakte eng, unsere Zusammenarbeit ist sehr vertrauensvoll“, sagt Ulrich Süttner. Ein gutes Miteinander gibt es auch unter den Wohlfahrtsverbänden und freien Trägern, die sich mit der Caritas in der Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe organisiert haben.
„Wir alle kennen die Stärken der anderen und nutzen dieses Wissen, um unsere Kräfte zu bündeln“, erklärt der Domus-Leiter. Das macht die Arbeit effizienter und einfacher. Davon profitieren alle, vor allem aber die Menschen, die diese Hilfe benötigen.
Domus-Leiter Ulrich Süttner spricht mit einem Wohnungslosen, der hier regelmäßig isst.
Patrick Phillips versorgt eine offene Wunde in der Praxis.
Im Tagestreff der Ambulanz können sich Bedürftige aufwärmen und
erhalten etwas zu essen.