Hier die mündlich vorgetragene Bewertung des Deutschen Caritasverbandes bei der Verhandlung des Bundesverfassungsgerichtes am 14.04.2015 in Karlsruhe:
Eine Anschlussleistung an das Elterngeld bis Eintritt der Kinder mit drei Jahren in eine Kindertagesstätte ist dringend notwendig, um Familien mit kleinen Kindern in dieser Phase zu unterstützen und zu fördern. Und von daher ist das Betreuungsgeld ein erster Ansatz diese Lücke zu schließen. Der Gesetzgeber zeigt, dass er diese Lücke erkennt. Der Deutsche Caritasverband will das Betreuungsgeld nicht abschaffen, sondern modifizieren und es gemeinsam mit dem Elterngeld zu einer transparenten, verlässlichen Leistung für alle Familien in derselben Höhe und ohne jegliche Voraussetzungen in den ersten drei Lebensjahren der Kinder ausbauen.
Das Betreuungsgeldgesetz in der bisherigen Form hält nicht das, was es verspricht. Es formuliert vier Ziele:
1. Es will eine Anerkennung für die Erziehungsleistung sein.
Betreuungsgeld erhalten nur Eltern, die ihre Kinder nicht in eine öffentlich geförderte KiTa bringen. Es wird damit insinuiert, dass Familien, die ihre Kinder auch nur teilweise in eine KiTa bringen, weniger an Erziehungsleistung erbringen. Dies muss nicht der Fall sein. Denn Betreuungsgeld erhalten nicht nur Familien, die ihr Kind selbst zu Hause betreuen. Sondern Betreuungsgeld erhalten auch Familien, die ihre Kinder privat betreuen lassen, also von Aupairs, Großeltern oder in privaten Kindergruppen. Die Familienleistung ist hier aber dieselbe, weil beide Arten die Kinder betreuen zu lassen ähnlich sind (Familienleistungsausgleich). Hier werden also ähnliche Verhältnisse ohne triftigen Grund ungleich behandelt.
Überdies wird das Neutralitätsgebot verletzt, denn der Staat verhält sich hier gerade nicht neutral im Umgang mit verschiedenen Familienformen.
Außerdem kommt die Anerkennung letztlich nicht bei Familien an, die im Grundsicherungsbezug sind, selbst dann nicht, wenn sie ihr Kind zu Hause betreuen Denn das Betreuungsgeld schmälert bei ihnen das Arbeitslosengeld II. Erbringen sie keine Leistung? Oder ist sie uns das nicht wert?
2. Es will "größere … ökonomische … Gestaltungsfreiräume für die familiäre Kinderbetreuung" schaffen.
Wenn dies ein Element des Familienlastenausgleichs sein soll, müssten tatsächliche Lasten durch das Kind (Ernährung, Wohnung etc., Bildung .., Betreuungskosten und Einkommensausfall) ausgeglichen werden. Dabei sind nach dem Neutralitätsgebot Eltern mit gleichen Lasten auch gleich zu fördern. Und mit unterschiedlichen Lasten auch unterschiedlich. Gegenüber dieser Differenzierung ist das Gesetz blind. Die tatsächlichen Lasten in der Konstellation mit öffentlicher Betreuung und ohne eine solche werden nicht berücksichtigt. Es gibt lediglich eine Pauschale, die auch noch sehr niedrig ist. Allein entscheidendes Kriterium ist die Nichtinanspruchnahme einer öffentlich geförderten Betreuung. Das Neutralitätsgebot wird verletzt.
3. Es will eine Kompensationsleistung für die nicht in Anspruch genommene KiTa-Betreuung sein, die anderen Familien durch öffentliche Förderung gewährleistet wird.
Hierfür müsste die Höhe der Leistung aber rund 900 € pro Monat betragen. Denn in dieser Höhe wird durch die öffentliche Hand durchschnittlich ein KiTa-Platz für unter Dreijährige gefördert. Die 150 Euro Betreuungsgeld stehen dazu in keinem Verhältnis.
Außerdem hat sich der Staat selbst verpflichtet, die Infrastruktur der öffentlichen Kinderbetreuung zu stellen. Mit dem BG konterkariert er diese Maßnahme.
4. Es will Wahlfreiheit der Familien bei der Gestaltung der Kindererziehung ermöglichen.
Wahlfreiheit von Familien erreicht man, wenn man ihnen z. B. 300 Euro zur freien Verfügung als Unterstützung in den ersten drei Jahren in die Hand gibt. Sie können das für eine Spielgruppe, für eine Kita, für ein Aupair ausgeben oder es als Anerkennung für eigene Erziehungsleistung behalten.
Wahlfreiheit von Familien erreicht man aber nicht, wenn man dieses Geld daran knüpft, dass die Spielgruppe oder die Kita, zu der man geht, keine öffentliche Förderung erhält. Das ist letztlich eine Einschränkung der Wahlfreiheit.
Wahlfreiheit von Familien in der Kinderbetreuung erreicht man auch dann nicht, wenn man von Familien im Hartz-IV-Bezug verlangt, dass sie dieses Geld für ihren Lebensunterhalt einzusetzen haben.
Die Wahlfreiheit ist eingeschränkt durch den hohen Anreiz für Familien mit geringem Einkommen und Bildungsferne, ihr Kind zuhause zu lassen. Die Fachkräfte der Caritas, z.B. in der sozialpädagogischen Familienhilfe, bemühen sich in schwierigen Fällen, die Eltern zu überzeugen, ihr Kind zum Wohle des Kindes in die Kita zu geben.
Außerdem: Im Gesetz wird nicht klar, wieviel Geld dem jeweiligen der vier Ziele zugedacht ist. Die 150 € sind eine Schätzung ins Blaue hinein. Die Höhe kann von niemandem nachvollzogen oder gar eingeklagt werden. Das BG widerspricht somit klar der Normenklarheit. (Art 6 GG in Zushg mit Art. 20 GG). Solchen Schätzungen stand das Verfassungsgericht bisher immer sehr kritisch gegenüber.
Fazit
Das Betreuungsgeld verfehlt in seiner jetzigen Ausgestaltung letztlich sein Ziel, Familien mit Kindern unter 3 Jahren angemessen zu unterstützen
- Es will die Erziehungs- und Betreuungsleistung von Familien anerkennen, knüpft daran aber letztlich gar nicht an.
- Es will die ökonomischen Gestaltungsräume von Familien verbessern, differenziert aber nicht zwischen den ökonomisch unterschiedlichen Bedarfen.
- Es will Familien einen Ausgleich zahlen, die öffentlich geförderte Kindertagesstätten nicht in Anspruch nehmen. Die 150 € stehen zu diesen Kosten aber in keinem Verhältnis
- Es will schließlich die Wahlfreiheit von Familien bei der Gestaltung der Kindererziehung und -betreuung stärken. Eine Wahl wird letztlich aber nur eröffnet für Betreuungsformen, die nicht öffentlich gefördert werden.
Das Betreuungsgeld könnte Familien angemessen unterstützen, wenn es mit dem Elterngeld zu einer einheitlichen Leistung von 300 €/Monat für drei Jahre zusammengelegt wird. Dafür müssen zwei Webfehler behoben werden: Die Geldleistung müssen alle Familien bekommen, (1) auch Familien, die ihr Kind in eine öffentlich geförderte Betreuungseinrichtung geben, und (2) anrechnungsfrei auch Familien, die im Grundsicherungsbezug sind. Das wäre eine echte Anerkennung der Erziehungsleistung von Familien und würde ihre Wahlfreiheit stärken.