„Klimafolgeschäden werden deutlicher bewusst“
Sie arbeiten beide für Ci, mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Auswirkungen des Klimawandels sind in Ihren Arbeitsfeldern omnipräsent. Wie wird dies deutlich?
Seidel: Neben Programmen in Indien und Nepal bin ich zuständig für Projekte in Pakistan. Dort waren im Sommer 2022 rund 33 Millionen Menschen von katastrophalen Überschwemmungen betroffen. Bis heute sind mehr als 200.000 Pakistaner:innen wegen dieser Flut in anderen Gebieten ihres Landes oder verharren in Notunterkünften unter schwierigsten Bedingungen. 8,5 Millionen Menschen werden nach Schätzungen dieses Jahr als Folge der Überschwemmungen von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sein. Aktuell leiden in Pakistan bereits 1,6 Millionen Kinder an schwerer Unterernährung.
Schröder: In meinen Aufgabenbereich fällt die Koordinierung der Inlands-Fluthilfen der Caritas, gemeinsam mit den fünf betroffenen westdeutschen Diözesan-Caritasverbänden.1 Insgesamt waren im Juli 2021 über 100.000 Menschen von den Sturzfluten betroffen, 186 Personen starben. Durch dieses Ereignis sind die Klimafolgeschäden deutlicher ins Bewusstsein unserer Bevölkerung getreten. Allen Beteiligten ist klar: Diese Art der Katastrophe wird sich wiederholen - wann und wo, ist nur bedingt vorhersehbar, aber es wird geschehen.
Sie sprechen von der Flut in Deutschland 2021 und der in Pakistan 2022: zwei Katastrophen auf verschiedenen Kontinenten, in Ländern mit unterschiedlichen Bewältigungskapazitäten.
Seidel: Während in Deutschland ein reiches Land mit gut ausgebautem Versicherungssystem, staatlichen Hilfsprogrammen und viel Solidarität relativ schnelle Unterstützung anbieten konnte und allein die Caritas fast 50 Millionen Euro Spenden erhielt, ist die Situation in Pakistan eine völlig andere. Mehr als 250-mal so viele Betroffene haben von einem völlig überforderten Staat und einem Versicherungssystem, das nur einer kleinen privilegierten Elite zugänglich ist, nicht viel zu erwarten. Die internationale Unterstützung ist angesichts des Ukraine-Krieges sehr gering. Ci bekam daher nur ungefähr ein Fünfzigstel der Spenden, verglichen mit denen für die deutschen Flutopfer. Zudem hat die pakistanische Regierung in den letzten Jahren die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen sehr eingeschränkt - und damit auch die mediale Berichterstattung. Die lokale pakistanische Caritas ist in einem für Fundamentalismus anfälligen mehrheitlich muslimischen Kontext mit ihrem geringen sozialen Rückhalt nur sehr begrenzt in der Lage, dem riesigen Bedarf angepasste Programme zu organisieren. Den gigantischen Problemen in Pakistan stehen also nur minimale Reaktionsmöglichkeiten gegenüber.
Schröder: Sie müssen nur einmal bedenken, dass die Bundesregierung 30 Milliarden Euro für den hiesigen Wiederaufbau bereitgestellt hat. 650 Millionen Euro an freien Spenden stehen allen Hilfsorganisationen zur Verfügung. Die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit im Verhältnis zu Pakistan und zur Anzahl der Betroffen muss an dieser Stelle zumindest mitgedacht werden. Der Nationalstaat hat nach unserem Verständnis die Fürsorgepflicht für seine Bürger:innen - ob er die Möglichkeiten dazu hat, steht auf einem anderen Blatt.Caritas-Kolleg:innen erzählten mir, dass 2021 Traumata bei Geflüchteten wieder aktiviert wurden. Ebenfalls weiß ich, dass es ein Konkurrenzempfinden zwischen den Flutopfern, Migrant:innen der zweiten und dritten Generation und Geflüchteten (zum Beispiel aus der Ukraine) um den ohnehin knappen Wohnraum in Ballungsgebieten gibt. Insbesondere für Menschen mit geringen Deutschkenntnissen ist es schwierig, ihre Rechte gegenüber dem deutschen Staat, aber auch Zuwendungen der Caritas in Anspruch zu nehmen. Wir dürfen sie nicht aus dem Blick verlieren, das gilt aber allgemein für alle marginalisierten Gruppen.
Seidel: Große Fragen stellen sich uns auch im Blick auf die Klimagerechtigkeit, auf den Ausgleich zwischen den Verursacher:innen und den Opfern des Klimawandels. Der CO2-Ausstoß eines:einer durchschnittlichen Bewohner:in Pakistans lag im Jahr 2020 bei einer Tonne pro Jahr, in Deutschland ungefähr beim Achtfachen.2 Die Ursachen des Klimawandels können also in Pakistan nicht effektiv bekämpft werden, das muss in den Industrieländern durch Änderungen der Produktionsweise und des Konsums geschehen.
Wie handelt Ci im Katastrophenfall konkret?
Seidel: In Pakistan bleiben mit den sehr begrenzten Mitteln Nothilfemaßnahmen die einzige Möglichkeit. Die lokale Caritas und andere Partner liefern Baumaterial, Saatgut und Winterkleidung, um die größte Not zu lindern und die Landwirtschaft aufrechtzuerhalten. Doch kann dies nur an einigen Stellen die schlimmsten Klimafolgen etwas mildern. Nachhaltig wirksame Katastrophenprävention oder Anpassung an den Klimawandel sind mit den verfügbaren Hilfsgeldern nur in geringem Umfang möglich.
Schröder: Die Hilfen von Caritas international werden immer über Partnerstrukturen implementiert - Konsens und Kooperation sind dabei entscheidend. Unsere Gesellschaft ist es gewohnt, dass der Wohlfahrtsstaat für sie sorgt - hier spielen auch freie Träger und die Wohlfahrtsverbände eine gewichtige Rolle. Katastrophenschutz und -Prävention sind nicht originärer Auftrag der Caritas in Deutschland, trotzdem brauchen uns Menschen vor Ort. Ohne freiwillige Helfer:innen hätten wir die Situation 2021 nicht bewältigen können. Klare Strukturen und Verantwortlichkeiten erleichtern die Arbeit mit den Betroffenen. Die Verteilung von Hilfsgütern spielte in den westdeutschen Flutgebieten lediglich in der ersten Phase eine wichtige Rolle. Konkrete Maßnahmen kann die Caritas durch monetäre Unterstützung beim Wiederaufbau, aber auch durch psychosoziale Begleitung und Gemeinwesenarbeit leisten. Sie kann Vermittlerin sein, zwischen Staat, Kommune und Betroffenen.
Wie handelt Ci im Katastrophenfall konkret?
Seidel: In Pakistan bleiben mit den sehr begrenzten Mitteln Nothilfemaßnahmen die einzige Möglichkeit. Die lokale Caritas und andere Partner liefern Baumaterial, Saatgut und Winterkleidung, um die größte Not zu lindern und die Landwirtschaft aufrechtzuerhalten. Doch kann dies nur an einigen Stellen die schlimmsten Klimafolgen etwas mildern. Nachhaltig wirksame Katastrophenprävention oder Anpassung an den Klimawandel sind mit den verfügbaren Hilfsgeldern nur in geringem Umfang möglich.
Schröder: Die Hilfen von Caritas international werden immer über Partnerstrukturen implementiert - Konsens und Kooperation sind dabei entscheidend. Unsere Gesellschaft ist es gewohnt, dass der Wohlfahrtsstaat für sie sorgt - hier spielen auch freie Träger und die Wohlfahrtsverbände eine gewichtige Rolle. Katastrophenschutz und -Prävention sind nicht originärer Auftrag der Caritas in Deutschland, trotzdem brauchen uns Menschen vor Ort. Ohne freiwillige Helfer:innen hätten wir die Situation 2021 nicht bewältigen können. Klare Strukturen und Verantwortlichkeiten erleichtern die Arbeit mit den Betroffenen. Die Verteilung von Hilfsgütern spielte in den westdeutschen Flutgebieten lediglich in der ersten Phase eine wichtige Rolle. Konkrete Maßnahmen kann die Caritas durch monetäre Unterstützung beim Wiederaufbau, aber auch durch psychosoziale Begleitung und Gemeinwesenarbeit leisten. Sie kann Vermittlerin sein, zwischen Staat, Kommune und Betroffenen.
Gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Vorgehen?
Schröder: Die Caritas kann Menschen zusammenführen, die normalerweise nicht miteinander ins Gespräch kommen. Sie kann eine Plattform sein für die Anliegen Betroffener, um sie an die zuständigen Kommunen, an die Politiker:innen und Versicherungen oder auch an die Fördergeber der Landesbanken zu kommunizieren. Das ist auch mein persönlicher Anspruch an Soziale Arbeit, auch wenn wir damit für Dritte unbequem werden. Wir brauchen eine klare Option für die Armen als kritisches Korrektiv. Hier können wir von manchen Ansätzen unserer Partner im Globalen Süden noch sehr viel lernen.
Seidel: Die aktive Beteiligung der Bevölkerung an Risikoanalysen und der Planung von Vorsorgemaßnahmen auf Gemeinde- und Bezirksebene zu fördern, fordert auch für die Gemeinwesenarbeit der Caritas in Deutschland heraus. Vorsorge ist nicht allein die Aufgabe des Staates und Versicherungen, sondern auch der mündigen Bürger:innen.
Was ließe sich präventiv tun, um Klimafolgen abzumildern?
Seidel: Der Stromspar-Check in Privathaushalten, der gleichzeitig Energie einsparen und Armut bekämpfen will,3 weist exemplarisch in die richtige Richtung. Die Bekämpfung des Klimawandels durch veränderte Produktions- und Konsumgewohnheiten erfordert aber einen weitaus größeren Maßstab. Wenn hier nicht schnell und vor allem in den Industrieländern gehandelt wird, wird nicht nur in
Südasien und Afrika der Zwang, durch Migration Gegenden mit besseren Überlebensmöglichkeiten zu suchen, weiter zunehmen.
Schröder: Die deutsche Externalisierungsgesellschaft, wie der Soziologe Stephan Lessenich4 sie nennt, muss ein Ende haben. Als eine der größten Arbeitgeberinnen, als Verwalterin von Liegenschaften und Fuhrparks muss die Caritas sich fragen, wo ihre Klimaverantwortung in der Gesellschaft, ja im globalen Kontext ist. Wo bringen welche Investitionen am meisten für das Klima? Welche Modalitäten setzen wir bei Beschaffung und Investitionen an, wie rechnen wir das Ganze gegen? Migration als Reaktion auf katastrophale Folgen des Klimawandels ist komplex. Sie ist bittere Realität für Menschen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen.
Anmerkungen
- Hierzu zählen die DiCVs Trier, Köln, Aachen, Paderborn und Essen.
- Quelle: United Nations Statistic Division.
- www.stromspar-check.de
- Lessenich, Stephan: Grenzen der Demokratie. Stuttgart: Reclam, 2019