„Geschützte Räume für queere Geflüchtete“
Herr Jäkel, warum braucht es eine besondere Beratungsform für queere Geflüchtete?
Queere Menschen beziehungsweise LSBTI sind nicht ausschließlich vor (Bürger-)Krieg geflüchtet, sondern haben oftmals jahrelange Diskriminierung, Verfolgung und Kriminalisierung durch Nachbarschaft, Gesellschaft und Behörden hinter sich, einfach dafür, dass sie sind, wie sie sind. Dabei konnten viele sich nicht auf die Unterstützung Angehöriger verlassen, sondern waren völlig auf sich gestellt. Dies kann vielfältige Traumatisierungen hinterlassen. Hier im Asylverfahren sind sie nun gefordert, genau diese Erfahrungen - auf Knopfdruck - schlüssig zu präsentieren. Dafür ist es notwendig, dass sie einen geschützten Raum vorfinden und professionelle Unterstützung haben, die sowohl in der AVB erfahren ist als auch in queeren Lebensweisen.
Wie gestalten Sie Ihr Angebot, wie schaffen Sie Zugänge?
Wir verfügen seit über acht Jahren über ein ausdifferenziertes Angebot. Das Herzstück ist unsere niedrigschwellige Anlaufstelle "Café kuchus", die zweimal die Woche geöffnet hat und schon von insgesamt 2500 verschiedenen queeren Geflüchteten aufgesucht wurde. Zusätzlich arbeiten bei uns auch psychologische Psychotherapeut:innen, Volljurist:innen in der Aufenthalts- und Migrationsrechtsberatung sowie Sozialarbeiter:innen in der psychosozialen Beratung. An diesem Standort ist auch die AVB angebunden. Wir verfügen über einen sehr hohen Bekanntheitsgrad bei queeren Geflüchteten. Viele haben uns gegoogelt oder durch Freund:innen aus ihren Communities oder in ihrer Unterkunft von uns gehört. Klient:innen wenden sich an uns über soziale Medien, E-Mails, oder sie kommen direkt ohne Termin in unsere Anlaufstelle. Dann vermitteln wir sie an unsere AVB-Berater:innen, die bei Bedarf LSBTI-sensible Sprachmittler:innen hinzuziehen.
Wie erleben Schutzsuchende das Asylverfahren?
Es beginnt mit ihrer sehr belastenden bundeslandübergreifenden Verteilung (EASY-Verteilung). Für queere Menschen ist es aber unerlässlich, dass sie Zugang zu ihren Communitys haben - dies ist in ländlichen Regionen nicht möglich. Danach steht bald die Anhörung im Asylverfahren an. Nicht wenige haben den Eindruck, in der Anhörung ihre sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität beweisen zu müssen. Dabei darf es nur um die Glaubhaftmachung ihrer Verfolgungsgeschichte gehen. Wir erleben klischeehafte und stereotype Befragungen während des Asylverfahrens und auch Diskriminierungen. "Waren Sie in Ihrer Heimat schon einmal auf dem Christopher Street Day (CSD)?" ist eine vermeintlich harmlose Frage. Sie berücksichtigt nicht, dass die Demos nur in Deutschland "CSD" heißen, so dass der Sinn der Frage gar nicht verstanden werden kann. In vielen anderen Ländern heißen sie "Pride", wenn es sie überhaupt gibt. Die Teilnahme kann lebensgefährlich sein. Auch die langen Wartezeiten zwischen Ankunft, Befragung, Entscheidung und gegebenenfalls Klage belasten immens, weil die Entscheidung über ihre Glaubwürdigkeit die Identität der queeren Geflüchteten eben sehr betrifft. Ein Kampf, den sie oft schon seit der Pubertät führen. Und jetzt müssen sie während eines Anhörungstermins auf den Punkt liefern.
Was hat sich seit Einführung des Bundesprogramms der Behörden -unabhängigen AVB in Ihrer Praxis geändert?
Wir haben die AVB für queere Geflüchtete schon seit 2016 dank einer Landesförderung angeboten. Dort haben wir Volljurist:innen beschäftigen dürfen, dies wurde sogar als Qualitätsmerkmal gewürdigt. Im Bundesprogramm ist die Eingruppierung nun aber auf Sozialarbeitende limitiert. Wir mussten also erstmal neue Berater:innen suchen und einarbeiten - eine ineffektive Maßnahme. Dass es Ende Oktober 2023 immer noch keine Zuwendungsbescheide gibt und die Standorte auf eigenes Risiko tätig sind, ist eigentlich untragbar. Die Not der Geflüchteten ist so groß, dass jetzt geholfen werden muss. Dass die Erhöhung der Mittel im Haushaltsplanentwurf der Bundesregierung für 2024 schon wieder gestrichen wurde, bevor das Bundesprogramm im zweiten Halbjahr 2023 überhaupt richtig startet, ist skandalös. Doch die öffentliche Diskussion über Migration und Flucht ist derzeit durch einen Überbietungswettbewerb an restriktiven Maßnahmen geprägt. Das verunsichert Geflüchtete und uns Beratende sehr. Trotz aller Belastungen sollte das Augenmerk auf Rechtsstaatlichkeit und Humanität liegen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft mit Blick auf die Weiterentwicklung der AVB für besonders vulnerable Menschen?
Wir benötigen langfristige Planungssicherheit und eine Kooperation mit dem BAMF auf Augenhöhe, ebenso ein flächendeckendes Beratungsangebot im ländlichen wie im städtischen Raum. Dafür wird mehr Geld nötig sein. Als queere Organisationen haben wir sehr viel Erfahrung und sind im Rahmen der bundesgeförderten AVB im Auftrag des Staates tätig. Das Ziel schneller rechtssicherer Entscheidungen zum Asylgesuch darf nicht auf halber liegen bleiben.
Was raten Sie Kolleg:innen an neuen Standorten der AVB?
Wenn Sie AVB für queere Menschen anbieten, aber keiner queeren Organisation angehören - vernetzen Sie sich mit einer in ihrer Region! Fragen Sie, wie Sie Queersensibilität herstellen oder verbessern können! Bleiben wir solidarisch und lassen wir uns nicht entmutigen von der gesellschaftlichen Mainstream-Diskussion. Wir werden mehr denn je gebraucht.