EU-Zuwanderung nach Hamburg
Viele Immigrant(innen) nutzen vor allem die niedrigschwelligen Angebote der Obdachlosenhilfe, zum Beispiel die medizinische Versorgung.Caritas Hamburg
In den ersten neun Monaten des Jahres 2014 sind mehr Bulgar(inn)en und Rumän(inn)en nach Hamburg gezogen als im gesamten Jahr 2013. Diese Zahlen gehen aus Daten der Hamburger Sozialbehörde hervor. Der größte Teil der (bulgarischen und rumänischen) Zugewanderten lebt in stabilen sozialen Verhältnissen und geht einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Der Fokus der Aufmerksamkeit liegt aber auf dem Personenkreis, der hier scheitert. Oftmals großer Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung in ihren Heimatländern entkommen, geraten diese Menschen, zumeist mit schlechter oder ohne Ausbildung, in soziale Not. Sie leben in Hamburg oft unter äußerst schwierigen, teils elenden Bedingungen, als Tagelöhner oder in der Schattenwirtschaft in prekären Arbeitsverhältnissen beziehungsweise ohne Beschäftigung. Die Wohnbedingungen sind häufig unmenschlich, oft übernachten sie in überteuerten Schlafplätze in überbelegten Wohnungen, in Autos oder auf der Straße. Die geringen oder fehlenden Löhne erlauben keine Anmietung von Wohnungen auf dem angespannten Hamburger Wohnungsmarkt. Die öffentliche Unterbringung von Wohnungslosen ist überfüllt.
Aktivitäten des Hamburger Senats und der Caritas
Hamburg hat stets darauf hingewiesen, dass neben eigenen Aktivitäten das Gesamtproblem nur durch nationale Maßnahmen bewältigt werden kann. Die Stadt hat darauf hingewirkt, dass in Arbeitsgruppen Ansätze beraten wurden, um betroffene Großstädte zu unterstützen. Vor allem Fragen des Anspruchs auf Sozialleistungen, der Krankenversorgung, der Wohnbedingungen und der sozialen Betreuung wurden erörtert. Mit der im März 2014 eingesetzten, ressortübergreifenden Lenkungsgruppe "Management der Freizügigkeit" richtet sich nun der Blick auf die Hamburger Ebene. In Unterarbeitsgruppen werden die Themen Gesundheit, Kita/Schule/Kinderschutz, Arbeitsmarktzugang/Missbrauchsbekämpfung, Integration, Sozialraum/öffentliche Ordnung und Wohnen/Leistungsrecht bearbeitet. Auch der Orts-Caritasverband (OCV) Hamburg hat in den vergangenen Monaten Beiträge in die AGs eingebracht.
Zum einen setzt sich der OCV über verschiedene Gremien für ausgegrenzte beziehungsweise von Armut betroffene EU-Zuwanderer ein und hat hier die Stadt beraten – insbesondere bei Fragen zur Unterbringung und Versorgung mit niedrigschwelligen Angeboten.
Zum anderen sind die Dienste der Caritas mit der Zunahme an rat- und hilfesuchenden EU-Bürger(inne)n konfrontiert: Die Migrationsberatung für Erwachsene (MBE) verzeichnet seit 2013 einen extremen Anstieg der Beratungszahlen, beispielsweise eine Steigerung um über 40 Prozent vom 4. Quartal 2013 zum 1. Quartal 2014 in der Innenstadt. Die Themen Arbeitsaufnahme und Wohnraumversorgung sind hier zentral. Der OCV hat daher gemeinsam mit anderen Akteuren Lobbyarbeit betrieben, um die Ressourcen der MBE den wachsenden Beratungsbedarfen anzupassen, er wird im Jahr 2015 um zwei Standorte aufstocken können.
(Süd-)osteuropäische Immigrant(inn)en nutzen vor allem die niedrigschwelligen Angebote der Obdachlosenhilfe, in erster Linie für ihre Grundbedürfnisse: medizinische Versorgung, Nahrungsmittel, Körper- und Wäschepflege. Der OCV ist zudem Anbieter niedrigschwelliger Gesundheitshilfen. Dazu gehören ein Krankenmobil, ein Zahnmobil, eine Krankenstube und eine Schwerpunktpraxis für Obdachlose. Mittlerweile haben 50 bis 90 Prozent der Nutzer(innen) dieser Angebote einen Migrationshintergrund. Die Mitarbeiter(innen) beschreiben als Defizite neben Sprachproblemen vor allem fehlende zeitliche Ressourcen für ausreichende Behandlungen und für angemessene soziale Hilfen gerade zur Rechtsdurchsetzung. Die Probleme der Hilfesuchenden sind massiv gestiegen.
Dabei wird eine Verdrängung der "traditionellen Klientel" der Wohnungslosenhilfe wahrgenommen, sie ist bislang aber nicht nachgewiesen. Die komplexen Problemlagen und fehlenden Verständigungsmöglichkeiten bei gleichzeitig stagnierenden Ressourcen verschärfen die Situation und überfordern die Angebote der niedrigschwelligen Wohnungslosenhilfe. Sozialarbeit unter fehlenden oder nicht geklärten Rechtsansprüchen erschwert die Handlungsmöglichkeiten und führt bei Mitarbeiter(inne)n der Wohnungslosenhilfe zur Frustration. Auch das Zusammenwirken mit der Migrationsarbeit wird von ihnen als suboptimal beschrieben. Ein Vernetzungsdefizit zwischen Wohnungslosenhilfe und Migrationsarbeit registrieren auch andere Wohlfahrtsverbände. Daher hat sich eine Arbeitsgruppe von Diakonischem Werk und OCV mit Vertreter(inne)n beider Arbeitsbereiche gebildet und das Papier "EU-Bürger im niedrigschwelligen Hilfesystem der Freien Wohlfahrtspflege in Hamburg" verfasst, das neben Problembeschreibungen auch Handlungsvorschläge und Forderungen an die Hamburger Politik und Verwaltung umfasst.
Handlungsvorschläge und Forderungen
Mitarbeiter(innen) beschreiben als Defizite neben Sprachproblemen vor allem fehlende zeitliche Ressourcen für ausreichende Behandlung. Caritas Hamburg
Neben der Ausweitung der MBE müssen auch Sprachangebote für Neuzugewanderte und Dolmetscherangebote ausgebaut werden, genauso wie das Beratungsangebot zu Spezifika des deutschen Arbeitsmarktes und zur Sicherung von Arbeitnehmerinteressen. Auch ist die Unterstützung von Zugewanderten bei der Realisierung sozialrechtlicher Ansprüche zu intensivieren, besonders hinsichtlich der Krankenversicherung. Zudem muss der Zugang zu niedrigschwelligen Gesundheitsangeboten gesichert werden.
Darüber hinaus ist es notwendig, dass Tagesaufenthaltsstätten - gekoppelt mit Beratungsangeboten - ausgebaut werden und dass vor allem Wohnraum bereitgestellt wird. Gerade das Winternotprogramm muss ausreichend Kapazitäten vorhalten. Insgesamt müssten kostengünstige Wohnangebote auch außerhalb der öffentlichen Unterbringung geschaffen, idealerweise langfristig sogar der Zugang zu allgemeinem Wohnraum ermöglicht werden. Auch die Vernetzungsbemühungen zwischen und innerhalb der Träger sollten fortgesetzt werden, gerade mit Blick auf Wohnungslosenhilfe und Migrationssozialdienste. Eine weitere Möglichkeit wäre die Etablierung von "Außensprechstunden" der MBE in der Wohnungslosenhilfe. All dies zeigt: Eine Ausweitung staatlicher Förderung, aber auch trägerinterner und -übergreifender Maßnahmen ist notwendig, um die Herausforderung der EU-Zuwanderung zu bewältigen.
Dieser leicht gekürzte Artikel erschien im Original in der Beilage der neuen caritas "Migration und Integration Info", Ausgabe 1/2015: EU-Mobilität.