„Auch im Schnellverfahren am Flughafen die Rechte wahren“
Herr Biersack, wie läuft das Flughafenverfahren in Frankfurt ab?
Anwendung findet es bei Asylsuchenden, die auf dem Luftweg einreisen wollen und keine gültigen Ausweispapiere haben oder die aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen. Nachdem sie formuliert haben, dass sie Schutz suchen, werden die Asylsuchenden von der Bundespolizei in eine Unterkunft am Flughafen gebracht, die Außenstelle einer hessischen Erstaufnahmeeinrichtung ist. Diese dürfen sie während des gesamten Asylverfahrens nicht verlassen. Bei der Außenstelle handelt es sich um eine geschlossene, haftähnliche Unterkunft: Unter anderem hat sie Mauern mit Schleusentüren und Kameraüberwachung. Solange Asylsuchende in dieser Unterkunft sind, gelten sie als nicht eingereist.
Das Flughafen-Asylverfahren, das es an fünf deutschen Flughäfen gibt, ist ein Schnellverfahren. Gemäß § 18 a Asylgesetz muss es nach spätestens 19 Tagen abgeschlossen sein, inklusive eines möglichen Rechtsbehelfs, über den das Verwaltungsgericht entscheidet. Wird ihr Antrag vom BAMF abgelehnt und dies vom Verwaltungsgericht bestätigt, dann werden die Asylsuchenden "zurückgewiesen": Sie müssen ins Herkunftsland zurückfliegen.
Was ist Ihr Ziel in der Asylverfahrensberatung am Flughafen?
Die Caritas will die Rechtsstaatlichkeit stärken: Trotz der kurzen Fristen sollen Asylsuchende die Chance erhalten, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen. Die Schutzsuchenden können daher bei uns eine individuelle und vertrauliche Einzelberatung zum gesamten Verfahren wahrnehmen, vom Beginn ihres Asylgesuchs bis zum rechtskräftigen Abschluss.
Welche Besonderheiten und Herausforderungen gibt es im Flughafenverfahren?
Die AVB ist durch das Schnellverfahren vor mehrere Herausforderungen gestellt. Dieses sieht vor, dass zwischen der Landung und der Anhörung der Schutzsuchenden beim BAMF möglichst wenig Zeit liegen soll. Das sind wenige Tage, manchmal nur einer. Dann gelingt es uns kaum, Vertrauen zu den geflüchteten Menschen aufzubauen und sie auf die Anhörung vorzubereiten. Oft müssen wir beim Erbringen von Beweismitteln helfen, Rechtsanwält:innen einschalten oder psychologische Stellungnahmen einholen. Das braucht Zeit. Doch für die Geflüchteten ist die Anhörung beim BAMF die einzige Gelegenheit, ihre Fluchtgründe darzulegen. Die Anforderung ist, dass sie ihre Gründe chronologisch, lückenlos und plausibel erklären. Durch die kurze Frist bis zur Anhörung können sich die geflüchteten Menschen aber kaum von den Strapazen der Flucht erholen. Geschweige denn, dass sie traumatische Erfahrungen verarbeiten und darüber lückenlos berichten könnten. Die Hast des Verfahrens und der Stress der haftähnlichen Unterbringung wirken sich auf ihre Aussagen aus - und damit auf ihre Chancen im Asylverfahren.
Wie erleben Schutzsuchende aus Ihrer Sicht das Verfahren?
Vor wenigen Monaten war hier eine Schutzsuchende aus Sri Lanka, die von politischer Verfolgung und brutaler Vergewaltigung berichtete. Nach Ablehnung ihres Asylantrags als "offensichtlich unbegründet" stand ihre Zurückweisung bevor. Sie brach mehrmals zusammen, äußerte Suizidgedanken. Seitdem wurde sie bewacht, damit sie sich nichts antut. Ihre Zimmertür stand Tag und Nacht offen, sie konnte nicht schlafen. Ein Mann in Uniform saß in der Tür und beobachtete sie. Dass sich ihre psychische Situation dadurch nicht besserte, liegt auf der Hand. Eine Klinik konnte die Frau aber nicht aufsuchen. Denn dafür hätte sie nach Deutschland einreisen müssen - das wurde ihr nicht gestattet.
Was kritisieren Sie besonders an diesem Verfahren?
Das Asylschnellverfahren kommt vor allem dem Schutz besonders verletzlicher Menschen nicht ausreichend nach. Das gilt für Opfer von Menschenhandel, für schwer körperlich oder psychisch Erkrankte sowie für Menschen, die Folter, Vergewaltigung oder andere schwere Gewalt erlitten haben. Die Zahl derer, auf die eines der genannten Merkmale zutrifft, ist aus unserer Sicht hoch.
Aber der Schutz besonders vulnerabler Asylsuchender ist doch vorgeschrieben?
Ja. Unsere Erfahrung ist aber, dass Möglichkeiten, die Schutzsuchende im inländischen Verfahren erhalten, im Flughafenverfahren nicht genutzt werden. Wenn eine Person zum Beispiel schwer traumatisiert und nicht aussagefähig ist, kann auf die Anhörung verzichtet werden. Im Flughafenverfahren aber wird diese Möglichkeit in der Regel nicht genutzt. Medizinisches Fachpersonal wird nicht konsultiert, um ein Gutachten über eine mögliche Traumatisierung einzuholen. In inländischen Verfahren hingegen ist dies regelmäßig der Fall. Das legt nahe, dass für Menschen im beschleunigten Verfahren andere Regeln gelten. Gerade die besonders schutzbedürftigen Personen werden also durch das Verfahren benachteiligt und können ihre Rechte nicht wahrnehmen.
Hat sich seit Einführung des Bundesprogramms der behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung etwas in Ihrer Praxis geändert?
Da sind die Erfahrungen noch kurz. Durch die Aufnahme in das Förderprogramm dieses Jahr erhoffen wir uns eine weitere Stärkung der Kooperation mit den beteiligten Behörden im Sinne der schutzsuchenden Menschen. Seit 30 Jahren bringen die Caritas Frankfurt und der Evangelische Regionalverband Frankfurt und Offenbach kirchliche Eigenmittel in die unabhängige Beratung im Flughafenverfahren ein - unterstützt durch die Uno-Flüchtlingshilfe. Es wird Zeit, dass es eine Förderung für diese Aufgabe gibt.
Was würden Sie gern den Berater:innen an neuen Standorten der AVB mit auf den Weg geben?
Eine gute Asylverfahrensberatung kommt nicht ohne funktionierende Netzwerke aus. Es gilt, Kontakte zu Rechtsanwält:innen und spezialisierten Beratungsstellen aufzubauen. Dadurch gelingt es immer wieder - trotz kurzen Fristen -, dass gerade besonders verletzliche Geflüchtete wie zum Beispiel Opfer von Vergewaltigung, Menschenhandel oder LSBTI-Personen eine Begleitung zur Anhörung beim BAMF erhalten.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft im Hinblick auf die Weiterentwicklung der AVB?
Aus der Erfahrung der letzten 30 Jahre wissen wir, dass die Rahmenbedingungen des Flughafenverfahrens, also eines beschleunigten Asylverfahrens, verhindern, dass Geflüchtete ihre Rechte umfänglich wahrnehmen können. Daran kann auch eine finanzielle Förderung der Verfahrensberatung nichts ändern. Mit Blick auf die Zukunft lässt sich daher nur hoffen, dass es zu einer Abschaffung des Flughafen-Asylverfahrens kommt