Abschiebung und Abschiebungshaft
Zum Stichtag 30. Juni 2019 waren im Ausländerzentralregister (AZR) 246.737 Personen als ausreisepflichtig registriert. 22.097 Abschiebungen wurden im Jahr 2019 vollzogen, während circa 32.000 Abschiebungen scheiterten. Die mutmaßlich mangelnde Rechtsdurchsetzung bei der Ausreisepflicht, die diese Datengrundlage vermuten lasst, wurde von der Bundesregierung in der Vergangenheit genutzt, um Gesetzesverschärfungen zu begründen; jüngst beim sogenannten "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" (Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht), welches am 21. August 2019 in Kraft trat. Es wird argumentiert, dass eine zu hohe Zahl Ausreisepflichtiger ihrer Rechtspflicht, Deutschland zu verlassen, nicht nachkomme und dass bestehende rechtliche Instrumentarien zur Durchsetzung der Ausreisepflicht nicht effektiv genug seien.
Voraussetzungen für Abschiebungen
Bei vielen der als ausreisepflichtig registrierten Personen kommt die Abschiebung, also die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht, jedoch nicht infrage. Denn eine Abschiebung kann nur dann vollzogen werden, wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht eingetreten ist. Das bedeutet, dass gewisse Voraussetzungen erfüllt sein müssen. So dürfen beispielsweise keine Klageverfahren mehr laufen, die eine aufschiebende Wirkung entfalten, bis über die Klage entschieden wurde. Ein Großteil des Personenkreises der Ausreisepflichtigen ist außerdem in Deutschland geduldet, da es wichtige Grunde wie zum Beispiel Krankheit gibt, die die Abschiebung unmöglich machen.
Personen mit Duldung sind weiterhin als ausreisepflichtig registriert, müssen Deutschland aber derzeit nicht verlassen. Es lässt sich zudem vermuten, dass viele der verbleibenden im AZR als ausreisepflichtig registrierten Personen ihrer Ausreisepflicht bereits freiwillig nachgekommen sind und dies im AZR nicht nachvollzogen wurde. Die Abschiebung als "Ultima Ratio" zur Beendigung des Aufenthaltes kommt also nicht für alle als ausreisepflichtig registrierten Menschen infrage.
Kritik an Gesetzesverschärfungen trotz lückenhafter Datenlage
Die Thematik ist äußerst komplex und die Datenlage oft undurchsichtig. Die Bundesregierung räumte 2017 ein, dass auf Grundlage des AZR keine zuverlässigen Aussagen zu Ausreisepflichtigen gemacht werden können. In Ermangelung einer sonstigen sicheren Datenquelle wird dieses jedoch immer wieder herangezogen. Auch liegen keine gesicherten und flächendeckenden Erkenntnisse vor, warum Abschiebungen scheitern. Im Jahr 2018 ist von den 27.635 Abschiebungen, bei denen die abzuschiebenden Menschen der Bundespolizei erst gar nicht zugeführt werden konnten, nicht bekannt, ob das Scheitern den ausreisepflichtigen Personen zuzuschreiben ist oder andere Hintergrunde hat.
Da die Datenlage äußerst lückenhaft ist und bereits in der Vergangenheit eingeführte Maßnahmen für eine vermeintlich bessere Durchsetzung der Ausreisepflicht nicht evaluiert worden sind, wurde der Gesetzentwurf zum sogenannten "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" von verschiedenen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, unter ihnen der Deutsche Caritasverband (DCV), stark kritisiert. Denn mit dem Gesetz gehen zahlreiche weitere einschneidende Verschärfungen für Ausreisepflichtige einher, ohne dass damit tatsächlich das angestrebte Ziel erreicht werden konnte.
Unverletzlichkeit der Wohnung aufgeweicht
Bisher durfte die Polizei privaten Wohnraum - und somit auch Wohnraum in Flüchtlingsunterkünften - beispielsweise nur bei Gefahr in Verzug ohne richterlichen Beschluss betreten und durchsuchen, um Personen ausfindig zu machen, die abgeschoben werden sollten. Durch das "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" wurde in Paragraph 58 Aufenthaltsgesetz die Erlaubnis eingeführt, grundsätzlich Wohnungen auch ohne richterlichen Beschluss zum Zweck der Ergreifung Abzuschiebender zu betreten. In der Umsetzung dieser Regelung wird es allerdings nicht beim Betreten bleiben können, sondern es werden sicherlich oft weitere Handlungen vorgenommen werden, die einer Durchsuchung gleichkommen. Eine Durchsuchung unterliegt jedoch einem richterlichen Vorbehalt. Aus Sicht des DCV ist die Unverletzlichkeit der Wohnung ein hohes Gut, das vollumfänglich zu schützen ist. Das Betreten und Durchsuchen von Wohnungen zum Zweck der Ergreifung von Abzuschiebenden ohne richterlichen Beschluss muss deshalb unterbleiben.
Unrechtmäßige Verquickung von Abschiebungs- und Strafhaft
Weiterhin wurde mit dem Inkrafttreten des "Geordnete-Rückkehr-Gesetzes" das Trennungsgebot bis Juli 2022 aufgehoben. Das bedeutet, dass die Unterbringung von Ausreisepflichtigen und Strafgefangenen in denselben Einrichtungen vorübergehend erlaubt ist. Dies kann belastend sein und schwerwiegende psychische Folgen für die Betroffenen haben. Der Abschiebungshaft als Administrativhaft geht keine Straftat voraus. Eine gemeinsame Unterbringung mit Strafgefangenen stellt Menschen, die kein Verbrechen begangen haben, zu Unrecht als Straffällige dar. Zwar erlaubt Artikel 18 der EU-Rückführungsrichtlinie bei einer unvorhersehbar großen Zahl Abzuschiebender eine ausnahmsweise Abweichung vom Trennungsgebot, jedoch kann aus Sicht des DCV im Jahr 2019 von einer Unvorhersehbarkeit vor dem Hintergrund der hohen Zuzugszahlen in den Jahren 2015 und 2016 nicht die Rede sein.
Die vorübergehende Aussetzung des Trennungsgebotes ist daher nach Auffassung des DCV nicht europarechtskonform. Diese und weitere kürzlich eingeführte Maßnahmen greifen stark in Grundrechte von Betroffenen ein. Aus Sicht des DCV ist es zunächst unbedingt notwendig, die aufgeheizte, oft emotional geführte Debatte zu Abschiebungen, die immer wieder zu einschneidenden Gesetzesverschärfungen geführt hat, faktenbasiert zu gestalten und dazu auch die Datenlage zu verbessern. Denn schlussendlich treffen die Gesetzesverschärfungen Menschen, die einem Leben in Deutschland hoffnungsvoll und voller Zuversicht entgegengeblickt haben und deren Wurde trotz Ausreisepflicht zu wahren ist. Deshalb muss der Forderung der freiwilligen Rückkehr auch Vorrang vor zwangsweisen Abschiebungen eingeräumt werden. Von Abschiebungen in Länder, in denen eine Rückkehr in Sicherheit und Wurde nicht gewährleistet werden kann, muss abgesehen werden. Abschiebung und Abschiebungshaft dürfen stets nur als letztes Mittel Anwendung finden.
Diese und weitere Positionen des DCV zu den Themen Abschiebung und Dublin-Überstellung, Abschiebungs- und Überstellungshaft sowie Abschiebungsbeobachtung sind in der Broschüre „Migration im Fokus: Abschiebung und Abschiebungshaft” festgehalten (siehe Downloads unter diesem Artikel).