„Wir haben als Caritas drei Hebel, um gegen Rechtspopulismus aktiv zu werden“
Immer mehr Menschen in Deutschland geben an, bei einer nächsten Wahl ihre Stimme Parteien geben zu wollen, die in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestuft werden. Wie blickt die Caritas auf diese Entwicklung?
Eva Maria Welskop-Deffaa: Für die Caritas ist die wachsende Zustimmung, die Rechtspopulismus und rechtsextremes Gedankengut in Deutschland erfahren, ein großer Schrecken. Wie konnte es passieren, dass sich eine "Alternative" so breit etabliert, die Unzufriedenheit mit der politischen Situation gezielt in Unfrieden verwandelt? Seit Jahren verschärft sich ihr Kurs und werden die Grenzen des Sagbaren von ihr systematisch verschoben. Menschenverachtend und gegen die Grundfesten des Rechtsstaats gerichtet. Bislang hat jede Radikalisierung der Positionen nur dazu beigetragen, dass sich mehr Wähler und Wählerinnen angesprochen fühlten…
Seit die Recherchen von Correctiv öffentlichkeitswirksam informierten, kann niemand mehr die Augen verschließen vor dem Ausmaß der Grundrechtsverletzungen, die von den Hardlinern und ihren Freunden geplant sind. Wenn die Ergebnisse der anstehenden Wahlen die Wahlprognosen bestätigen würden, hätten Politiker in Nazi-Tradition wichtige Instrumente in der Hand, um ihre gefährlichen Ideen umzusetzen. Gefährlich für die Demokratie, gefährlich für den Sozialstaat, gefährlich aber auch für unsere Wirtschaft.
In unserer Demokratie kommt der stärksten Partei, selbst wenn sie nicht die absolute Mehrheit hat, ein großes politisches Gewicht zu. Gerade wenn sich die anderen Parteien nicht einig sind. Das erinnert an die dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte. Wir wollen als Caritas alles in unserer Macht Stehende dafür tun, um zu verhindern, dass es dazu kommt.
Was kann und wird die Caritas tun?
Als Wohlfahrtsverband haben wir eine große Verantwortung und nach meiner Einschätzung mindestens drei Hebel in der Hand. Erstens: Wir sind mit unserer Arbeit in den Beratungsstellen, in der Jugendsozialarbeit, in den Bahnhofsmissionen nah bei den Menschen und ihren Nöten. Wir helfen konkret, diese zu überwinden und geben Zukunftsmut. Wir verhindern, dass soziale Not zu Nährboden für spalterische Populisten wird. Wir tun dies auf der Basis einer Wertehaltung, die sich unseren Mitarbeitenden und unseren Klient:innen im alltäglichen Miteinander deutlich vermittelt: Wir stehen für Menschenwürde und Solidarität, wir geben Zeugnis davon, dass Toleranz und Demokratie Voraussetzungen unseres Miteinanders sind, die nicht gefährdet werden dürfen.
Wir haben darüber hinaus die Chance, und das ist der zweite Hebel, die vielen Gesprächssituationen, die sich uns im Alltag bieten - mit Kolleg:innen, mit Ratsuchenden - so zu gestalten, dass auch politische Nöte angesprochen werden. Das wollen wir im Rahmen unserer Jahreskampagne "Frieden beginnt bei mir" gezielt intensivieren. Unsere Spiegelaufkleber, die wir in allen Einrichtungen und Diensten in Bädern und Garderoben, in Küchen und Aufzügen anbringen, signalisieren: Frieden beginnt bei mir. Zukunft entscheidet sich hier. Demokratie wählen wir.
Und was ist der dritte Hebel?
Wir haben uns öffentlich an die Seite vieler anderer Organisationen, Institutionen und Menschen gestellt, die ihre Stimme erheben für die demokratischen Grundwerte und für die Vision einer solidarischen Gesellschaft. Der Deutsche Caritasverband ist eine von mehreren hundert Organisationen im Bündnis #WirSindDieBrandmauer. Das Bündnis will im wahrsten Sinne "Brandmauer" sein - zum Beispiel, indem wir am 3. Februar eine Menschenkette um den Reichstag bilden. Ich werde dabei sein.
Wichtig zu sagen: An vielen Stellen, auf lokaler und regionaler Ebene haben sich bereits viele Caritasverbände an ähnlichen Initiativen beteiligt. Wir zeigen Flagge. "Unser Kreuz hat keine Haken" ist auf Plakaten zu lesen. Wir wissen, was damit gemeint ist: Das Flammenkreuz steht für Nächstenliebe, für Menschenrechte, für Not sehen und handeln. Es ist unvereinbar mit Volksverhetzung, mit völkischen Vorstellungen von Drinnen und Draußen.
Die Demonstrationen zeigen uns: Wir sind nicht allein. Wir sind nicht wenige. Viele wollen ihren Beitrag leisten, um Gefährdungen unserer Demokratie abzuwenden. Das gibt uns gemeinsam Mut.
Denn wir wissen: "Nie wieder ist jetzt". Das haben wir schon bei unserer Delegiertenversammlung im Herbst 2023 deutlich gemacht.
Wie meinen Sie das?
Ich habe bei der Versammlung an Gertrud Luckner erinnert, die vor 80 Jahren in der Reichsprogramnacht von Haus zu Haus radelte, um ihre jüdischen Mitbürger:innen zu warnen. So werden auch wir von "Haus zu Haus" gehen müssen. Gertrud Luckner war eine Mitarbeiterin der Caritas zur NS-Zeit und hat ihr Engagement für Demokratie und Völkerverständigung nach dem 2. Weltkrieg in der jungen Bundesrepublik fortgesetzt, nachdem sie das KZ Ravensbrück überlebt hat.
(Die Rede von Eva Maria Welskop-Deffaa auf der Caritas-Delegiertenversammlung im Oktober 2023 steht weiter unten zum Download bereit).
Was heißt das konkret für heute?
Ich deutete es schon an: In der sozialen Arbeit kommen wir in Kontakt mit sehr vielen Menschen. Wir begleiten sie, wir helfen ihnen. Wir sind im Gespräch. Jede Caritas-Mitarbeiterin, jeder Caritas-Mitarbeiter, hauptamtlich oder ehrenamtlich, ist Botschafter für eine andere Gesellschaftsvision als die, die die Rechtspopulisten propagieren. Sie sind Friedensstifter - sichtbar im Rahmen unserer Jahreskampagne "Frieden beginnt bei mir". Indem wir durch die Kampagne jeden und jede Einzelne einladen, sich mit dem eigenen Beitrag für Frieden und Zukunft auseinanderzusetzen, gehen wir auf die individuelle Ebene, auf die es am Ende ankommt. Denn an der Wahlurne steht am Wahltag jeder allein.