Ja, Pflegekräfte sind der Caritas wichtig
„Die Caritas verhindert, dass Pflegerinnen und Pfleger höhere Löhne bekommen. Ausgerechnet die Caritas!" Das ist der Tenor der aufgebrachten Nachrichten, die meine Kolleginnen und Kollegen und mich in diesen Tagen erreichen, in den sozialen Medien nochmal angereichert um Beleidigungen.
Lohnt es sich, da etwas erklären zu wollen? Ich will es versuchen. Nicht im eigenen Namen, aber für die fast 700.000 Kolleginnen und Kollegen, die heute, morgen und jeden Tag in den Beratungsstellen, in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung, in den Kitas, in den Einrichtungen für Wohnungslose, in den Pflegeheimen und Krankenhäusern ihren Dienst an den Menschen tun und die Häme nicht verdienen, die uns gerade entgegenschlägt.
Die Fakten: Die Caritas hat einen eigenen Tarif, und zwar für alle 700.000 Mitarbeitenden. Wo gibt es Tarifwerke mit dieser Reichweite? In engagierten Verhandlungen von Arbeitnehmer_innen und Arbeitgeber_innen ist dieser über Jahrzehnte entwickelt und so ausgestaltet worden, dass in der Caritas gute tarifliche Arbeitsbedingungen bestehen. Darüber bin ich sehr froh! Keine Frage, es gibt immer noch drängende Aufgaben - zum Beispiel gerade für Pflegende, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Fakt zwei: Die Arbeitsrechtliche Kommission der Caritas hat dem Antrag des Arbeitgeberverbandes BVAP und der Gewerkschaft ver.di, den zwischen ihnen ausgehandelten Tarifvertrag für die Altenpflege allgemeinverbindlich erklären zu lassen, am 25. Februar nicht zugestimmt. Hintergrund ist die Befürchtung einer größeren Zahl von Mitgliedern der Arbeitsrechtlichen Kommission, dass bei einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrags Pflege die Arbeitsbedingungen nicht besser für Pflegende werden, sondern schlechter. Die allermeisten Pflegekräfte verdienen bei der Caritas um einiges mehr, als der Tarifvertrag festgelegt hätte. Unsere Einrichtungen und Träger befürchten, dass die Kostenträger sich künftig am Tarifvertrag Altenpflege als Norm orientieren und die Mehrkosten der Einrichtungen nicht mehr refinanzieren, die höhere Entgelte zahlen. Wir wollen aber weiterhin gute Löhne zahlen.
Nimmt diese Ablehnung damit Pflegerinnen und Pflegern außerhalb der Caritas jegliche Hoffnung auf eine höhere Bezahlung? Das würde heißen, dieser Tarifvertrag wäre der einzige Weg gewesen, eine solche zu erzielen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat zurecht auf die Pflegekommission zur Festsetzung von Mindestlohnbedingungen hingewiesen. Dort sitzen alle Akteure der Branche. Zudem glauben wir an die Idee, die Zulassung der einzelnen Pflegeeinrichtungen an eine Tarifbindung zu koppeln. Diese Idee gibt es innerhalb der Bundesregierung auch.
Die entscheidende Frage: Was ist uns als Gesellschaft Pflege wert?
Wir sind der festen Überzeugung, dass Arbeitsbedingungen und die Bezahlung der Pflegekräfte nur im Rahmen einer umfassenden Reform des Systems verbessert werden können. Diese muss auch die Finanzierung der Pflegeversicherung in den Blick nehmen - und das wiederum setzt voraus, dass wir als Gesellschaft die Frage beantworten: Was ist uns gute Pflege wert? Auch die Absicherung von pflegenden Angehörigen, die Arbeitsbedingungen für sogenannte Live-In-Pflegekräfte, Fragen zum Personalschlüssel, eine Deckelung der Eigenanteile, die Pflegebedürftige und ihre Familien zahlen, gehören in eine solche Reform. Dafür machen wir uns schon lange stark und wir haben die berechtigte Hoffnung, dass sich hier bald was tut.
Die Kritik, das Schicksal der Pflegekräfte wäre uns egal, lasse ich nicht gelten. Wir wissen aus erster Hand, wie hart die Arbeit ist, wie dünn die Personaldecke in den Einrichtungen, wie groß die Belastungen grundsätzlich und insbesondere in der Pandemie sind.
Hätte ich mir eine andere Entscheidung unserer Arbeitsrechtlichen Kommission gewünscht? Das Aushandeln von Tarifen ist kein Wunschkonzert. Wir haben in Tariffragen Entscheidungsstrukturen, die sich bewährt und die wir - auch ich als Präsident - zu respektieren haben.
„Typisch Kirche“?
Ist die Entscheidung so gefallen wie sie ist, weil wir an unserem "Dritten Weg", also dem Arbeitsrecht der Kirche, partout festhalten wollen? Überlegungen um den Dritten Weg und seine Besonderheiten haben möglicherweise auch eine Rolle gespielt. Wir glauben aus vielen Gründen, dass der Dritte Weg, der konsensorientiert ist und auf Kompromisse setzt, ein modernes und effizientes Instrument ist.
Als katholische Institution begegnet uns immer wieder der Vorwurf der Doppelmoral. Wer Nächstenliebe als Maxime hat, steht berechtigterweise unter besonderer Beobachtung und muss das eigene Handeln danach orientieren. Das ist fair. Nicht fair ist, alles mit allem zu vermischen. Die Entscheidung zum Tarifvertrag hat nichts, aber rein gar nichts, mit Missbrauchsfällen und Verfehlungen von Klerikern zu tun. Gerade als Priester darf ich das sagen: Lassen Sie bitte die Kirche im Dorf.“
Prälat Dr. Peter Neher
Präsident des Deutschen Caritasverbandes