Wie die Caritas und andere Wohlfahrtsverbände Armut in Deutschland ans Licht gebracht haben
Deshalb hat die Caritas vor fast 30 Jahren mit einer großen empirischen Armutsuntersuchung den Anstoß dafür gegeben, dass die Existenz von Armut in den öffentlichen Fokus kommt. Mit intensivem Einsatz hat der Deutsche Caritasverband, gemeinsam mit dem Paritätischen Gesamtverband (Armutsbericht 1989), dafür gesorgt, dass es seit 2001 seitens der Bundesregierung eine Armutsberichterstattung gibt.
Anstoß für Armutsbericht der Bundesregierung
Seither kann Armut in Deutschland nicht länger geleugnet werden und es ist klar geworden, dass nicht alle Bedürftigen soziale Hilfen beziehen. Es gibt verdeckte Armut bis heute, teilweise aus Scham, aus Unwissenheit, oder weil die Menschen an bürokratischen Systemen scheitern. Eine Debatte über Teilhabe- und Gerechtigkeitsfragen war dringend notwendig in einem so reichen Land wie Deutschland.
4000 Hilfesuchende und 3000 Mitarbeitende befragt
1992 wurden die Ergebnisse einer umfassenden Caritas-Armutsstudie in Bonn öffentlich gemacht, unter dem Titel: "Arme unter uns - Der deutsche Caritasverband bezieht Position" (vgl. Caritas 1992). Über 4000 Hilfesuchende und 3000 Mitarbeitende der Caritas-Dienste wurden damals befragt. Zentrale Ergebnisse waren, dass rund 44 Prozent der Menschen, die eigentlich einen Anspruch auf Sozialhilfe hätten, ihren Anspruch nicht geltend machten. Insbesondere betraf dies arbeitslose und alte Menschen. Ein empirischer Beleg durch die Caritas-Studie: die Caritas zählte, dass auf rund sieben Sozialhilfeempfäger_innen, drei verdeckt arme Menschen kamen. Das war die Bestätigung, dass es verdeckte Armut in Deutschland gibt.
Erkenntnisse aus der Studie
Die politische Erkenntnis aus den Studien war, die Sozialhilfe müsse reformiert werden. Die Sozialhilfe war nicht mehr das richtige Instrument und hat die Armen nur noch verwaltet. Als gesellschaftspolitische Akteurin, Solidaritätsstifterin und Anwältin von Armut bedrohter und betroffener Menschen hat die Caritas daraufhin einen umfassenden Forderungskatalog an die Politik erarbeitet. Hier nur einige Beispiele:
- Sozialhilfe vorgelagerten Sicherungssysteme armutsfest machen.
- Nur eine Institution zuständig sein für jede Person, die die Aufstockung zum soziokulturellen Existenzminimum aus Steuermitteln erhält, (Kindergeldkasse, Rentenversicherung etc).
Im Jahr 2005 Einführung von Hartz IV mit dem SGB II
1992 hatte die Caritas die Überführung der Arbeitslosenhilfe in dieses damals neue Hartz IV- System nicht gefordert. Mittlerweile ist klar, dass das SGB II nicht alle Probleme beseitigen konnte. Die noch heute bestehenden Probleme werden von der Caritas seit der Hartz IV-Einführung im Jahr 2005 unablässig benannt und Lösungen vorgeschlagen.
Erstes öffentliche Treffen armer Menschen 2006
Anfang November 2006 gab es dann erstmals ein öffentlich sehr beachtetes Treffen von armen Menschen auf nationaler Ebene im Caritasverband in Hildesheim, das unter der Federführung der Nationalen Armutskonferenz (nak) organisiert wurde. Die nak wollte damit deutlich machen, dass es dringend an der Zeit sei, betroffene Menschen an den öffentlichen Diskussionen und an den Vorschlägen für Lösungswege zu beteiligen.
Fokus der Caritas liegt nach wie vor auf Problemlagen
Obwohl seit 2003 die verdeckte Armut in Deutschland weniger wurde, seit alte Menschen Grundsicherung beantragen können, ohne dass ihre Kinder mit ihrem Einkommen herangezogen werden, bestehen dennoch noch viele Problemlagen. Die Caritas hat beispielsweise im Blick, dass die arbeitsmarktpolitischen Instrumente nach wie vor nicht auf Teilhabe zielen, dass junge Menschen unter 25 Jahre zu intensiv sanktioniert werden, dass es eine Berechnungsmethode des Existenzminimums geben muss, die tatsächlich sicherstellt, dass die Höhe des Regelbedarfs armutsfest bemessen wird. Oder dass jetzt in der Coronazeit, für bedürftige Kinder schnell und unbürokratisch die Ausstattung mit digitalen Geräten organisiert werden muss.
In Deutschland gibt es nach wie vor eine Bildungsungleichheit für Kinder, die Kinder- und Jugendhilfe ist zu schlecht ausgestattet, Langzeitarbeitslose haben nach wie vor schlechte Chancen wieder in Arbeit zu gelangen und es herrscht eine große Lohnungleichheit. All diese Schieflagen befördern Armut und das Armutsrisiko.