"Wer zusammen Halt machen will, muss sich in Bewegung setzen"
ZusammenHALT machen. Foto: DCV
Ihr habt euch diesem Sommer von euren Schreibtischen in der Bundeszentrale der Caritas losgerissen und seid in einem Bus durch Deutschland gefahren. Warum?
Irene Bär: Die youngcaritas hat nach einer Idee für ihr bundesweites Event gesucht und die Initiative des DCV beschäftigt sich aktuell mit dem Thema gesellschaftlicher Zusammenhalt. Also haben wir uns zusammengetan und am Ende kam die Wir.Jetzt.Hier-Bus-Tour dabei heraus. Die Idee dahinter: Wir wollen Menschen zusammenbringen, Begegnungsräume schaffen - und wir wollen gerne zuhören und erfahren, was bewegt. Da lohnt es sich den Schreibtisch zu verlassen.
Statt mit dem Bus zu touren, hättet ihr auch einfach Infoveranstaltungen in ganz Deutschland planen können.
Hannah Beck: Um im Bild zu bleiben: Wer zusammen Halt machen will, muss sich vorher in Bewegung setzen und losfahren. So kamen wir mit dem Bus auch an für die Caritas sonst eher ungewöhnliche Orte, wie z.B. vor den Supermarkt. Dann ist so ein Bus natürlich auch einfach ein Hingucker, der es uns total erleichtert hat Menschen zusammenzubringen. Mit dem Liniennetzplan, den Tickets und den anderen Methoden ist das Ganze dann auch eine runde Sache geworden. Und nicht zuletzt durften wir feststellen, dass so ein mobiles Büro echt seinen Charme hat
Irene Bär: Aus Sicht von youngcaritas ging es auch darum junge Menschen zu begeistern. So ein Bus hat etwas rockiges, offenes, gibt das Gefühl von Freiheit - ein Roadtrip auf dem man bekannte Wege verlässt und sich ins Ungewisse begibt.
Impressionen von der Hier.Jetzt.Wir-Bustour 2018
Welchen Menschen seid ihr an euren Haltestellen begegnet - und gab es ein Thema, das immer wieder aufkam in den Gesprächen?
Hannah Beck: Hauptsächlich kamen wir mit Menschen ins Gespräch, die Zeit hatten. Darunter waren viele HartzIV-Empfänger und ältere Menschen. Explizite Migrationskritiker hatten wir nur sehr vereinzelt am Bus. Ein Thema das immer wieder aufkam war Einsamkeit. Viele Menschen haben uns erzählt, wie schwer es ihnen fällt Kontakte zu anderen Menschen aufzubauen, beispielsweise in der Nachbarschaft.
Irene Bär: Das Thema Flüchtlinge kam dann zur Sprache, wenn es darum ging, wer öffentliche Aufmerksamkeit und konkrete Hilfen erhält. Da war ein Gefühl von Alleingelassensein und Enttäuschung zu spüren. Etliche waren überrascht, als wir ihnen erzählt haben, dass es auch Unterstützungsangebote für sie gibt. Das kommt viel seltener in den Medien vor und ist daher nicht so präsent.
Welche Begegnung ist euch besonders in Erinnerung geblieben?
Irene Bär: Ich hatte ein Gespräch mit einem Ex-Häftling, der mir erklärt hat, warum er nicht weiß ob er weiter arbeiten oder eher wieder in die Kriminalität gehen soll. Dafür war das offene Setting an der Straße, bei dem man wusste, dass man sich nur einmal kurz sehen wird und jederzeit weitergehen kann, perfekt.
Hannah Beck: Mir ist besonders eine Dame in Erinnerung geblieben, die sich sehr einsam gefühlt hatte - und alleine seit Jahren ihren kranken Mann pflegt. An dem Tag wollte die Frau sich nach langer Zeit mal wieder etwas gönnen und in der Stadt essen gehen - ich habe sie dann spontan begleitet und wir hatten ein offenes Gespräch, das uns beiden gut getan hat. Das hat mir gezeigt, dass es oft gar nicht viel braucht, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen.
Nochmal zurück zum Thema Einsamkeit. Haben euch die Menschen auch gesagt, was sie sich wünschen, damit sich etwas an ihrer Situation ändert?
Hannah Beck: Wir sind bei einigen Menschen auf hohe Erwartungen gestoßen. Eine Frau schilderte uns von Problemen mit ihrem Fuß - und dass ihre Nachbarn sie zwar darauf angesprochen, ihr allerdings keine Fahrt ins Krankenhaus angeboten haben. Die Nachbarn darum zu bitten, hat sie sich nicht getraut - obwohl die Hilfsbereitschaft vermutlich da gewesen wäre. So gesehen bestand da ein Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit - vielleicht braucht es aber auch einfach mehr Kommunikation von beiden Seiten…
Irene Bär: Es wurde deutlich, dass es hilfreich ist, wenn es Angebote zum Beispiel vom Quartiersbüro gibt, aber dass auch die Betroffenen über ihren Schatten springen und einen ersten Schritt machen müssen.
Impressionen von der Hier.Jetzt.Wir-Bustour 2018 Foto: DCV
Viele Gespräche, viele Begegnungen: habt ihr den Eindruck, dass eure Tour ihren Zweck erfüllt hat?
Irene Bär: Für uns und unsere Arbeit war die Tour extrem bereichernd. Wir haben versucht offen und unbefangen auf die Menschen zu zu gehen. Im Unterschied zu den Kolleg(inn)en vor Ort sind wir nicht täglich so nah an den Problemen dran und blicken vielleicht sogar naiver und grundsätzlicher auf die Themen die dahinter liegen. So ist zumindest die Idee.
Hannah Beck: Ich habe seit der Tour ein besseres Verständnis für die Caritasarbeit vor Ort. Und kann es nur empfehlen, sich von Zeit zu Zeit in solche Situationen zu begeben. Klar ist, dass wir mit unserer Tour nicht mal eben den gesellschaftlichen Zusammenhalt in ganz Deutschland herbeigeführt haben. Das war aber auch nie unser Ziel. Es ging uns viel mehr darum, Flagge zu zeigen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Das ist uns auf jeden Fall gelungen.
Wie geht es jetzt weiter mit dem Wir.Jetzt.Hier-Bus?
Hannah Beck: Bislang ist als Endhaltestelle der Caritas-Kongress Ende März 2019 in Berlin geplant. Bis dahin wollen wir den Bus natürlich gerne weiter nutzen - es gibt auch ein paar Ideen, aber noch nichts Konkretes. Auch der Caritasverband Düsseldorf, der den Bus organisiert hat, hat Interesse ihn später zu nutzen.
Wie wäre es, die drei Caritas-Vorstände mit dem Bus auf Tour nach Berlin zu schicken. Gab es die Idee schon?
Irene Bär: Spannende Idee - vielleicht kommt Herrn Neher, Frau Welskop-Deffaa und Herrn Millies angesichts ihrer vollen Terminkalender so ein zusammenHALT ja ganz recht? Da müssten wir nur vorher noch umbauen, im Moment haben wir nur zwei Sitzplätze.
Zu den Personen
Irene Bär ist Leiterin von youngcaritas Deutschland - und koordiniert und berät youngcaritas-Projekte und Initiativen in ganz Deutschland.
Hannah Beck leitet seit 2017 die Initiative für gesellschaftlichen Zusammenhalt im Deutschen Caritasverband e. V.