Armut & Corona: „Die Schuldenwelle kommt erst noch“
Frau Makertz, welchen Einfluss hatte Corona bislang auf ihren Arbeitsalltag?
Von Mitte März bis Ende Juni waren wir komplett im Homeoffice. Glücklicherweise sind wir seit Juli wieder zwei Tage die Woche im Büro. Jedoch müssen wir unsere Beratung hauptsächlich telefonisch durchführen. Das ist ein riesiges Problem, denn vor allem Psychisch-, Sucht- oder Drogenkranke erreichen wir besser im persönlichen Gespräch. Natürlich versuchen wir alternative Formate wie Videokonferenzen anzubieten, das ist immer noch besser als eine reine Telefonberatung - aber natürlich hat nicht jeder Klient die nötige Technik oder das Knowhow, um an einer Videoschalte teilzunehmen. Immerhin hat sich die Zahl der Beratungsfälle Corona-bedingt nicht erheblich gesteigert - das wird sich jedoch noch ändern.
Inwieweit?
Wir erwarten den großen Ansturm im Frühjahr 2021. Wir gehen fest davon aus, dass vor allem Gewerbetreibende aus dem Kleingewerbe und der Gastronomie dann nicht mehr aus eigener Kraft über die Runden kommen. Das gleiche gilt auch für Selbstständige oder Angestellte, die im Zuge der Coronakrise teils erhebliche Gehaltseinbußen hinnehmen mussten. Da wird eine ganz andere Klientel unsere Hilfe benötigen.
Warum rechnen Sie erst für 2021 mit einem Anstiegt der Beratungszahlen - viele Menschen leben doch schon jetzt - bedingt durch Corona - in finanzieller Schieflage?
Es wird hier zu einer erheblichen Verzögerung kommen, weil es sich um Menschen aus der sogenannten Mittelschicht handelt, die immer gearbeitet haben und über gewisse Rücklagen verfügen. Erst wenn diese aufgebraucht sind und Stück für Stück alles wegbricht, was sie sich aufgebaut haben, folgt die Suche nach professioneller Hilfe. Es ist in der Beratung dann besonders schwierig diesen Leuten klarzumachen, dass sie ihre Kredite eventuell in die Kündigung gehen lassen müssen - mit den Folgen eines negativen Schufa-Eintrags. Dies mit anzusehen ist auch für uns schwierig, weil es einen berührt. Man möchte dann unbedingt helfen und stellt sich auch selbst unter Leistungsdruck.
Sind die Caritas-Schuldnerberatungen für die erwartete Welle von Neuverschuldeten in Folge der Corona-Krise gewappnet?
Nein. Derzeit wissen wir noch nicht wie wir das gestemmt bekommen. Schon heute beträgt die Wartezeit auf einen Ersttermin zirka drei Monate. Zudem sind wir für die große Zahl von Verschuldeten aus dem Kleingewerbe nicht geschult. Entscheidet sich diese Zielgruppe für ein Insolvenzverfahren, so haben sie keinen Anspruch auf kostenlose Beratung und wir als Beratungsstellen dürfen sie nicht beraten. Die Schuldnerberatungsstellen müssten personell aufgestockt werden und die Schuldnerberater_innen zusätzliche betriebswirtschaftliche und kaufmännische Kenntnisse erwerben.
Was müsste die Politik konkret tun, um zu helfen?
Wir fordern vom Gesetzgeber, dass auch wir Schuldnerberater_innen für diesen Fall ausgebildet und ausgestattet werden. Wir brauchen zeitig Schulungs- bzw.- Nachschulungsmöglichkeiten, damit wir auch gesetzlich Menschen aus dem Kleingewerbe beraten dürfen und diese den Zugang zu einer kostenlosen Schuldenberatung bekommen. Denn auch diese Leute müssen begleitet und beraten werden. Leider dürfen derzeit nur Rechtsanwälte sogenannte Regelinsolvenz-Kandidaten, wie verschuldete Kleingewerbetreibende, beraten. Diese Betreuung ist jedoch kostenpflichtig, weshalb meist Prozesshilfe beantragt werden muss. Das führt zu weiteren Schulden. Hier muss die Politik unbedingt den Zugang schaffen.
Sie machen ihren Job seit knapp 20 Jahren. Hat sich - abgesehen von Corona - in dieser Zeit viel geändert?
Die Menschen, die zu uns kommen werden im Durchschnitt immer jünger. Internet und digitaler Wandel haben dazu beigetragen, dass es auch Menschen ohne geregeltes Einkommen möglich ist, binnen kurzer zeit viele Schulden anzuhäufen. Ein Beispiel ist Online-Kaufsucht, aber auch das Abschließen von Kreditkarten- und Handyverträgen führt schnell zu Überschuldung. Insgesamt kommen die meisten Betroffenen, die unserer Hilfe in Anspruch nehmen aus einem sozial Schwachen Umfeld und haben meist mit Kontopfändungen oder Räumungsklagen zu kämpfen.
Können Sie immer helfen?
Wir tun immer unser Bestes. Aber es funktioniert nur, wenn beide Seiten mitziehen und ein Vertrauensverhältnis entsteht. Leider kommen viele meiner Klienten erst dann, wenn ihnen das Wasser - finanziell gesehen - bis zum Hals steht. Denn noch immer ist die Scham groß, zur Caritas zu kommen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das gilt vor allem für Menschen, die bislang ihre finanziellen Probleme immer selbst regeln konnten. Für uns Beraterinnen und Berater ist das natürlich problematisch, weil wir deutlich mehr Spielräume haben, wenn Klienten uns frühzeitig aufsuchen und nicht erst dann, wenn der Schuldenberg über ihnen zusammenbricht.
Zur Person:
Elisabeth Mankertz (55) ist gelernte Bankerin und seit 2001 als Schuldnerberaterin beim Caritasverband für die Region Kempen-Viersen tätig.