Mein neues Leben
Mein Heimatland ist Afghanistan. Dort stamme ich aus der Umgebung von Kunduz. Ich bin 26 Jahre alt, noch verheiratet und habe drei Kinder. Ich habe 2015 Afghanistan mit meiner Familie verlassen, unter anderem, weil wir in ständiger Angst vor dem Kriegsgeschehen und Attentaten der Taliban lebten. Außerdem konnte und wollte ich meine faktisch rechtlose Situation als Frau dort nicht länger ertragen. Zudem sah ich in Afghanistan keine gute Perspektive für das weitere Leben meiner Kinder. Meine Tochter als ebenso rechtlose Frau wie ich, als Burkaträgerin und ohne Schulbildung. Und meine Söhne als Kämpfer für oder gegen die Taliban. Bei der Abfassung und Niederschrift meiner Geschichte hat mir mein (Flüchtlings-)Pate Peter Bauer geholfen.
Ein neues Zuhause in Sebnitz
Unsere Flucht führte uns in knapp acht Wochen auf teilweise sehr gefährlichen Wegen durch verschiedene Länder im November 2015 endlich nach Deutschland. Wir haben dafür mit fast unserem gesamten Besitz gezahlt. Die ersten Wochen lebten wir in einem "Camp". Alles war neu für mich und ich hatte viel Angst, weil ich überhaupt nichts verstand. Eine große Beruhigung für mich war, als ich sah, dass die Security einer Frau beistand, die von ihrem Partner geschlagen wurde. Ich dachte: Das ist ein gutes Land. Danach bekamen wir eine Wohnung in Sachsen - in der kleinen Stadt Sebnitz.
Die Gleichstellung zwischen Mann und Frau beeindruckt mich
Vieles ist neu hier für mich. Solche Wohnungen gibt es in Afghanistan nur in Großstädten. In Dörfern wie dem unseren, leben die Menschen in Einfamilienhäusern mit einem Garten von einer hohen Mauer umgeben. Das Klima in Deutschland ist kälter als bei uns. Sehr beeindruckt bin ich von der Gleichstellung von Mann und Frau. Ich kann zum Beispiel als Frau ohne Angst allein durch die Stadt laufen. Das ist in Afghanistan unmöglich. Auch muss man die Polizei und andere Behörden nicht bestechen. Ein großes Problem für mich war meine Sprachunkenntnis. Deshalb habe ich mit meinem Mann regelmäßig den angebotenen ehrenamtlichen Deutschunterricht besucht. Ich wünschte mir, es gäbe in Sebnitz ebenso wie in größeren Städten eine professionelle Schule, um die Sprache zu erlernen.
Das neue Leben kostet viel Kraft
Mein größtes Problem aber ist ein familiäres. An unserem neuen Leben mit seinen freien Entfaltungsmöglichkeiten ist unsere Ehe zerbrochen. Jetzt lebe ich mit einem neuen Partner zusammen. Aber all das verlangt sehr viel Kraft von mir. Wie viele andere Flüchtlinge lebe ich mit einer ununterbrochenen Angst vor Abschiebung. Wie ich müssen viele Kopfschmerz- oder Beruhigungstabletten einnehmen. Ich habe hier Freunde unter anderen Flüchtlingen wie auch Deutschen gefunden und auch viel Unterstützung durch beispielsweise meine Deutschlehrer und die Dame der Caritas erhalten. Sehr gut gefällt mir das von ihr eingerichtete "Frauencafé". Dort werden regelmäßig Frauenprobleme diskutiert und andere Dinge wie der Bau einiger Hochbeete oder Theaterbesuche gemacht. Ich fühle mich sehr wohl in Sebnitz, obwohl ich manchmal von Leuten, die keine Flüchtlinge wollen, beschimpft werde.
Pläne für meine Zukunft
Mein größter Wunsch ist, für meine Kinder und mich möglichst bald die staatliche Anerkennung als Flüchtling zu erhalten. Und natürlich träume ich dann von meinem künftigen Leben in Deutschland. So möchte ich gern den Kfz-Führerschein erwerben und später Polizistin werden.
Einige Wegbegleiter(innen) über Farzane Safae
Peter Bauer, Ehrenamtlicher Deutschlehrer und Pate
Farzane traf auf dem Höhepunkt des Flüchtlingszustromes nach Deutschland im November 2015 mit ihrer Familie (Ehemann und zwei Kinder) und einigen anderen afghanischen Familien in Sebnitz ein. Etwa zu diesem Zeitpunkt lernte ich sie und die anderen Afghanen im Rahmen meiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Deutschlehrer kennen. Damals sprach sie kein Wort unserer Sprache. Ich erinnere mich, dass ich ihr den Buchstaben "A" anhand eines Apfels zu erklären versuchte. Im Laufe der Zeit erwies sich, dass Farzane, obwohl de facto ohne Schulbildung, über hohe Intelligenz und große soziale Kompetenz verfügt. So beteiligt sie sich zum Beispiel bis heute regelmäßig am von der offiziellen Flüchtlingsbetreuung ins Leben gerufenen "Frauencafé".
Hauptsächlich sie hat sich für gemeinsame Festlichkeiten der Sebnitzer Afghanen engagiert. Nach etwa einem Jahr war sie bereits in der Lage, im Rahmen einer kleinen Ausstellung über die gewonnenen Eindrücke einiger Flüchtlinge in Sebnitz der Lokalpresse ein ausführliches Interview zu geben. Sehr schnell fand ich auch privaten Zugang zu ihr und ihrer Familie, nahm an einigen Familienfeiern teil, begleitete sie zum Einkaufen, bei Behördengängen, Ausflügen und Krankenhausbesuchen - beispielsweise während der Schwangerschaft mit ihrem dritten Kind. Bei all dem offenbarte sie sich als aufgeschlossene, selbständig denkende, fröhliche, herzliche, dem neuen Leben zugewandte Frau.
Sie muss auch bewältigen, dass sie nun als einzige Afghanin in Sebnitz, alle anderen sind weggezogen, in einer für sie immer noch nicht voll erschlossenen neuen Welt lebt. Farzane hat mit Hilfe eines neuen Lebensgefährten ihre Balance leidlich wiedergefunden. Sie steckt voller Pläne für sich und ihre Kinder über ihre Zukunft in Deutschland. Ich betone ausdrücklich, dass meine Zusammenarbeit mit Farzane und weiteren Flüchtlingen für mich ein paritätisches Unterfangen ist. Ich habe sicherlich eine Menge gegeben, aber auch sehr viel an neuen Eindrücken und auch Zuneigung zurückerhalten.
Magdalena Schneider, Flüchtlingssozialarbeiterin
2015 gab es in der Beratung keine(n) Persisch Dolmetscher(in). So machte es sich Frau Safae nach ihrer Ankunft in Sebnitz zur Aufgabe, so schnell wie möglich die deutsche Sprache zu lernen. Für eine Frau, die in ihrem Heimatland nie die Schule besuchen durfte und auch in der eigenen Muttersprache Analphabetin ist, eine große Herausforderung. Dieser stellte sich Frau Safae aber mit viel Geduld und Durchhaltevermögen, sodass sie schnell ihre eigenen Anliegen formulieren und für andere Klient(innen) aus Afghanistan in der Beratung dolmetschen konnte. Durch ihre Offenheit und positive Ausstrahlung schaffte es Farzane Safae schnell Kontakt zu anderen Klient(innen) und Sebnitzer Bürger(innen) zu knüpfen. Ihr herzliches Lachen und die anhaltende Positivität, die sie selbst in persönlich schweren Zeiten ausstrahlt, lassen sie schnell Menschen für sich gewinnen.
Obwohl Farzane Safae als alleinerziehende Mutter von drei kleinen Kindern die Hände voll zu tun hat, hat sie immer auch ein offenes Ohr für andere Menschen und kümmert sich, wenn es Probleme gibt. So versucht sie stets auch anderen Klient(innen) zu helfen, die Herausforderungen auf dem Weg der Integration zu meistern. An einem Fotoprojekt zum Thema "meine (neue) Heimat" nahm sie mit Interesse teil. Ihr war es wichtig, die Unterschiede ihrer neuen Heimat Sebnitz, zu ihrer alten Heimat in Afghanistan darzustellen und damit auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auch an einem Fahrradkurs beteiligte sie mit unermüdlichem Elan. Kein blauer Fleck nach einem Sturz oder aufgeschrammte Knie konnten sie davon abhalten, das Radfahren zu erlernen und damit an Mobilität für sich zu gewinnen. Mit der für sie neuen Rolle als Frau in Deutschland, und der Gleichberechtigung von Mann und Frau beschäftigt sich Frau Safae intensiv. Sie stellt viele Fragen, versucht neues Wissen in sich aufzusaugen und für sich selbst und ihre Kinder ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben aufzubauen.
Theres Schimansky, Projektkoordinatorin "Lebenswerte Sächsische Schweiz"
Im Rahmen der Projekte "Willkommen in der Nationalparkregion" und "Lebenswerte Sächsische Schweiz" des Nationalpark Zentrums Bad Schandau sowie privater Anlässe hatte ich seit 2017 mehrfach die Gelegenheit Farzane Safae zu begegnen. Ich schätze und bewundere ihre Energie, die sie aufbringt, um Ihre Vorstellungen von einem selbstbestimmten Leben zu verwirklichen. Die deutlichste Veränderung ist für mich die Tatsache, dass sie sich entschlossen hat, das Kopftuch abzulegen. Nicht, dass es für mich eine zentrale Rolle spielt, ob eine Frau es trägt oder nicht. Aber als Tochter eines Imams, die im Heimatland nicht zur Schule gehen durfte, ist es sicherlich ein ungewöhnlicher Schritt. Offensichtlich ist sie mit der wunderbaren Gabe des schnellen Sprachenlernens ausgestattet und hat große Fortschritte gemacht. Nun spricht sie sogar mit ihren Kindern nur noch Deutsch. Das zeugt von einer gewissen Radikalität, sich den Herausforderungen des Lebens hier zu stellen.
Familie aus dem Kindergarten
Wir lernten Frau Safae als sehr offene und freundliche Frau und Mutter kennen. Im Laufe der Zeit konnte man wahrnehmen, wie Frau Safaes Selbstbewusstsein zunahm. An Frau Safae schätzen wir besonders Ihre kommunikative Art. Ihre Fröhlichkeit ist ansteckend. Ihre sehr guten Deutschkenntnisse vertieft sie derzeit bei einem Kurs, bei dem auch Schreib- und Lesekenntnisse der deutschen Sprache vermittelt werden. Dies stellt für sie eine besondere logistische Herausforderung dar, da der Kurs in Pirna stattfindet. Sie fährt jeden Tag mit dem Bus von Sebnitz nach Pirna und muss gleichzeitig die Betreuung ihrer Kinder und die alltägliche Versorgung der Familie organisieren. Ein weiteres Beispiel für die gelungene Integration ist die Teilnahme an Naturschutzeinsätzen in Sebnitz, bei denen Sie sich ehrenamtlich engagiert. Wir erhoffen wir uns, dass Frau Safae die Möglichkeiten und Chancen erhält, ihr Leben frei in Deutschland zu gestalten und sich persönlich und beruflich weiter zu entwickeln.
Corinna Hofmann, Hortleiterin
Frau Safae ist eine sehr aufgeschlossene und zugängige Person, welche sich von Anfang an integriert und durch einen Kurs versucht, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern, um somit auch für ihre Zukunft in ihrer neuen Heimat Fuß zu fassen. Sie ist immer darum bemüht, sich und ihre Kinder mit den Bräuchen und Lebensweisen unserer Kultur vertraut zu machen. Sie besucht gern Feste und Feiern, welche in den Einrichtungen der Kitas stattfinden und informiert sich sehr regelmäßig, ob es wichtige Informationen zu beachten gibt. Wichtig ist Frau Safae auch der Bildungsweg ihrer Kinder, das zeigt sie durch ihr ständiges Bemühen den Anforderungen gerecht zu werden. Gibt es Probleme, kommt sie sofort und informiert sich, wie diese beseitigt werden können. Sie ermöglicht den Kindern auch außerhalb der Kita und der Schule einen Umgang in ihrem Freundeskreis, sodass die Kinder auch zu gleichaltrigen Spielgefährten in ihrer Freizeit Kontakt pflegen und weiterhin integriert sind.
Nazanin Zandi, Künstlerin
Frau Farzane Safae habe ich das erste Mal im Festspielhaus Hellerau kennen gelernt. Sie saß im Publikum bei der Premiere unseres Theaterstückes "Being here - hier sein". Das Stück erzählt vom Leben einer Frau, die ihre Heimat verlassen hat und in Dresden neu ankommen muss. Nach dem Stück ist eine Gruppe Frauen aus Sebnitz, betreut von Frau Magdalena Schneider, mit uns Schauspielerinnen ins Gespräch gekommen. Darunter war auch Frau Safae. Wir haben viel über Erinnerungen, Heimat und neu Ankommen gesprochen. Sie hat mir gezeigt, wie wichtig es ihr ist, ins Gespräch zu kommen und auf Menschen zuzugehen. Sie würde so gerne in Dresden leben, um bei unserer internationalen Theatergruppe mitzumachen. Eine ähnliche Möglichkeit hat sie leider in Sebnitz noch nicht gefunden. Ihre sehr positive und angenehme Art sind mir nochmals bei unserem zweiten Treffen in Sebnitz aufgefallen. In einem mehrstündigen Kreativ-Workshop hat Frau Safae intensiv und konzentriert gearbeitet sowie stets gelernt und gehört. Gleichzeitig war sie sehr offen und berichtete ehrlich über ihre sowohl positiven als negativen Erfahrungen in Sebnitz. Sie ist täglich bemüht mit Menschen aus ihrer Umgebung in Kontakt zu kommen, einen gut erzogenen Eindruck zu hinterlassen und auch Menschen für sich zu gewinnen, die erstmals skeptisch oder ablehnend reagieren.
Ehrenamtliche Bürgerin aus Sebnitz
Wenn Farzane lacht, kann keiner ernst bleiben. In der Runde der Frauen, die zum Teil noch sehr zurückhaltend und ängstlich mit dem Deutschsprechen sind, wirkt ihr Lachen wie ein Türöffner. Sie macht einen Spaß und lacht so herzerfrischend, dass die gute Laune für alle ansteckend wirkt und manche ihren Kummer und ihre Sorgen ein wenig vergessen kann. Im Frauencafé fällt mir immer wieder auf, mit wie vielen Sprachen Farzane jongliert und sogar teilweise mit Übersetzungen hilft. Farsi, Hindi, Arabisch, Englisch und Deutsch, alles durcheinander. Es macht Spaß, Teil dieses bunten Durcheinanders zu sein.