Ahmeds Weihnachten
Der 23. Dezember 2014 war ein nebelgrauer Tag. Von Weißer Weihnacht keine Spur. Wir waren aufgeregt. Zwar waren schon im August zwei Familien aus Syrien und eine aus der Ukraine als Asylbewerber nach Arzberg gekommen. Dabei sammelten wir schon etwas Erfahrung, nun aber sollten die ersten Flüchtlinge in die Gemeinschaftsunterkunft im ehemaligen Hotel "Alexander von Humboldt" einziehen. Wir wussten nichts Genaues und hatten viele Fragen: Wie viele Flüchtlinge werden es sein? Aus welchen Ländern kommen sie? Und wann genau kommen sie an?
Eine ganz andere Weihnachtsgeschichte
Wir warteten. Immer wieder schweifte unser Blick hinaus auf den Vorplatz und auf die Straße. "Vielleicht irren sie irgendwo in der Stadt umher und finden den Weg nicht", fragten wir uns. Wir wollten sie suchen und gingen ein paar Meter die Marktredwitzer Straße hinunter. Da kamen sie uns entgegen. Einige junge Männer und eine junge Frau. Mit weniger Gepäck in der Hand, als wir normalerweise für einen halben Tag ins Schwimmbad mitnehmen. Mit ein paar Brocken Englisch und Kommunikation mit Händen und Füßen hießen wir sie willkommen. Einen Tag später, am Heiligen Abend, saßen zwei der Neuankömmlinge, mit meiner Schwester und meiner Nichte bei mir unter dem Christbaum. Wir feierten Weihnachten. Von meinem Weihnachtsessen, wohlgemerkt in weiser Voraussicht halal gekocht, rührten sie keinen Bissen an. Aber die jungen Leute waren sichtlich froh, ihre Geschichten von der Flucht erzählen zu können. Es waren schlimme Geschichten.
Tränen auf dem Mittelmeer
Nach zwei Tagen stand schon Deutschlernen auf dem Programm: "Ich heiße...", "Ich komme aus...", "Guten Tag" und "Guten Abend". Ahmed sprach ein bisschen Englisch. So konnten wir uns ganz gut verständigen. Auch er erzählte mir von seiner Flucht - aus Pakistan. Ein Land, in dem Al Qaida und IS (Anmerkung der Redaktion: Islamischer Staat) wüten, und das die Die Zeit als Heimstatt des Terrorismus bezeichnet. Ahmeds erste Station nach der Flucht aus seiner Heimat war Libyen. Mit dem Boot sollte es im November 2014 weiter gehen nach Italien. Rund 230 Menschen waren an Bord des Seelenverkäufers. Eigentlich hätte die Überfahrt nur wenige Stunden dauern sollen. Doch mitten im Meer fiel der Motor aus. "Wir haben geweint und gebetet. Wir dachten, wir werden sterben. Auch der Kapitän weinte", erzählt Ahmed. Nach zwei Tagen und einer angstvollen, bitterkalten Nacht auf See kam die Rettung in Gestalt italienischer Marinesoldaten.
„Hier bin ich sicher”
Europa. Italien. Mit verschiedenen Zügen weiter nach Deutschland. "Immer wieder hat uns die Polizei aus den Zügen geholt. Und wir hatten wieder viel Angst", erinnert sich Ahmed. Deutschland. Erst ein Aufnahmelager in München, dann weiter nach Bayreuth. "Als wir zuerst ins Lager nach München kamen und dann nach Bayreuth, dachte ich: Das ist gut hier. Aber dann waren wir in Arzberg im Hotel. Und die Menschen kamen jeden Tag und sprachen mit uns, kochten mit uns, brachten Kleidung und Handschuhe und lernten mit uns Deutsch. Da wusste ich zum ersten Mal in meinem Leben: Hier bin ich sicher. Diese Menschen helfen uns."
Ahmed erzählt seine Geschichte inzwischen in ganz gutem Deutsch. Zu seinem zweiten Weihnachtsfest in Arzberg, das wir mit weiteren Flüchtlingen bei mir feierten, hatte er Ferien. Er besuchte mittlerweile, wie einige andere unserer Neubürger, die Schule an der VHS Selb, um den Mittelschulabschluss zu machen. Seit September 2016 bildet ihn die Firma Purus zum Anlagen- und Maschinenführer aus. Ahmed lernt und ackert jeden Tag, um seinen Abschluss zu schaffen. Er weiß, dass das der einzige Weg zu einem guten Leben in Deutschland ist.
Telefonieren und faxen für den Aufenthalt
Dann der Schock: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schickt Ahmed, nachdem er bereits seit zwei Jahren in Deutschland ist, einen negativen Bescheid. Er wird nicht als Flüchtling anerkannt. Innerhalb einer Woche soll er Deutschland verlassen. Ahmed kann nicht mehr schlafen und nicht mehr essen. Wieder hat Ahmed große Angst. Asylbewerber, die eine Berufsausbildung beginnen, sollen nicht durch eine Abschiebung aus der Ausbildung herausgerissen werden. So haben es Wirtschaftsvertreter immer wieder gefordert, und so sieht es das Integrationsgesetz auch im Grundsatz vor. Die Realität sieht anders aus. In Bayern zumal. Wir schafften es trotzdem: Nach zwei Tagen telefonieren, faxen und E-Mails schreiben hat Ahmed eine Duldung. Für ein Jahr. Dann sehen wir weiter. Aber wir sind optimistisch und lassen uns nicht unterkriegen. Wir halten zusammen.
Weitere Weihnachtsfeste und der Wunsch, endlich anzukommen
Es ist Weihnachten 2016. Und heute feiern wir. Wir werden es uns so richtig gut gehen lassen - zusammen mit unseren Freunden aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, Eritrea, Äthiopien und dem Senegal. Wir werden zusammen kochen und essen, Musik hören, singen und viel reden. In Arabisch, Urdu, Farsi, Kurdisch, Tigrinya, Wolof und Amharisch. Wir, Christen, Moslems und Atheisten, werden dessen gedenken, was Weihnachten dem Ursprung nach ist: Liebe und Hoffnung. Es ist Ahmeds dritter Heiliger Abend in Arzberg.
Mittlerweile ist Ahmed seit viereinhalb Jahren bei uns in Arzberg. Fünfmal haben wir zusammen Weihnachten gefeiert. 2019 könnte das Fest ein ganz besonderes werden. Ahmed hat seine Prüfung als Maschinen- und Anlagenführer gemacht. Das Ergebnis wissen wir noch nicht. Wir hoffen inständig, dass er bestanden hat - und dann eine Aufenthaltserlaubnis bekommt, die ihm seine Angst vor der Abschiebung nimmt und ihm ein Ankommen in Deutschland ermöglicht. Ahmed will endlich ganz zu uns gehören.
Autorin: Christl Schemm, Ehrenamtliche Flüchtlingshelferin der AWO Arzberg