Ein regelmäßiges Essen ist für viele Venezolaner schon lange nicht mehr selbstverständlich, denn die Lebensmittel sind unbezahlbar geworden. Ende 2018 kosteten zum Beispiel zwölf Eier 1.850.000 Bolivares. Das entspricht etwa einem Drittel eines durchschnittlichen venezolanischen Lohnes. Die Menschen hungern und viele der Kinder sind unterernährt. „Ich konnte die Knochen meiner Tochter spüren, wenn ich sie gebadet habe“, erinnert sich Yusmarely Acuña, Mutter von zwei Kindern. Laut einer Befragungen, die an den Standorten der Caritas Venezuela vorgenommen wurden, leben fast 90 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Die gleichen Erhebungen zeigen, dass nur 31 Prozent der Kinder unter fünf Jahren einen guten Ernährungsstand aufweisen.
In Ernährungszentren, die Caritas Venezuela aufgebaut hat, konnten bisher rund 19.000 Kinder untersucht und behandelt werden, etwa 12.000 bekommen proteinreiche Zusatznahrung. "Wenn wir jetzt nicht helfen, dann werden die Schäden bei den Kindern irreversibel sein“ erklärt Susana Raffalli, Ernährungsberaterin bei Caritas Venezuela. Die Organisation gehört zu den wenigen im Land, die überhaupt noch helfen dürfen.
Leidy Cordova (37) und ihre Kinder vor dem leeren Kühlschrank. "Wenn meine Kinder zu mir sagen, sie seien hungrig, dann kann ich nur lächeln und muss es ertragen."Foto: Caritas Internationalis
Besorgt registriert Caritas international eine Verschärfung der humanitären Situation: "Die Menschen erhalten immer weniger Nahrungsmittel, darüber hinaus kommt es andauernd zu Stromausfällen und sowohl das Gesundheits- als auch das Bildungssystem liegen am Boden", erklärt Oliver Müller, Leiter des Hilfswerks des Deutschen Caritasverbandes, nach seinem Besuch in Venezuela im September 2019.
Interview im Deutschlandfunk
Caritas international, wird deshalb seine bisherige Hilfe in Venezuela deutlich verstärken. So wird gemeinsam mit der Caritas Venezuela, der Caritas USA und dem Auswärtigen Amt die Versorgung von Familien mit unterernährten Kindern von derzeit 3.000 auf 18.000 Begünstigte ausgeweitet. Diese Familien können sich mit Geldkarten in ausgewählten Läden selbstständig Lebensmittel kaufen.
Außerdem unterstützt Caritas international ein gemeinschaftliches Hilfsprojekt von Caritas Venezuela, in dem 17.100 Menschen mit Medikamenten, Nahrungsmitteln und Wasserfiltern versorgt werden.
Konflikte vermeiden
Wo Mangel herrscht, ist das Risiko für Gewalt sehr hoch. Überall im Land bilden sich kriminelle Banden und gewaltsame Konflikte in den Familien und an Schulen haben zugenommen. In sieben Bundesstaaten setzt Caritas zusammen mit dem Flüchtlingsdienst der Jesuiten auf Prävention durch Bildung. So lernen die Kinder in Workshops, die an den Schulen durchgeführt werden, wie ein friedliches und respektvolles Miteinander funktioniert. Es werden Selbsthilfegruppen und Netzwerke gegründet, Freiwillige ausgebildet und Gemeinderäte geschult.
Hilfe in den Nachbarländern
Auf dem Weg nach Kolumbien: Flüchtende an der GrenzeFoto: Caritas Ecuador
Gemäß der UNO-Flüchtlingshilfe sind mehr als 4,6 Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner auf der Flucht. Viele von ihnen besitzen nur noch das, was sie am Leib tragen. Gemeinsam mit dem Flüchtlingsdienst der Jesuiten und weiteren Partnerorganisationen hilft Caritas den Geflüchteten in den Grenzregionen, sowohl auf venezolanischer Seite als auch an mehreren Standorten in Kolumbien, Brasilien, Peru und Ecuador. Es werden vor allem jene Menschen berücksichtigt, die kaum eigene Kraft und Ressourcen haben, darunter Kinder, Frauen, Senioren und Menschen mit Behinderungen. Sie erhalten Mahlzeiten, ein Dach über dem Kopf und medizinische Behandlungen. Außerdem verteilt Caritas Hygieneartikel und Küchenutensilien, denn oft fehlt es an alltäglichsten Dingen wie Zahncreme, Seife oder einem Kochtopf.
Welche Rechte habe ich?
Flüchtlingszentren an verschiedenen Orten bieten Informationen zu Rechten, Perspektiven und die Weiterreise. Ein weiterer Schwerpunkt sind die Beratungsangebote, vor allem psychosoziale und juristische Betreuung. Dabei geht es um Fragen wie: Habe ich ein Anrecht auf staatliche Unterstützung? Erhalte ich Asyl? Wo und wie kann ich mich und meine Familie als Flüchtlinge registrieren? Ziel der Beratung ist, dass sich die Betroffenen ihrer Rechte bewusst werden und in der Lage sind, ihre Ansprüche bei den staatlichen Stellen einzufordern. Dadurch reduziert sich das Risiko, Opfer von Ausbeutung oder Missbrauch zu werden. Allein in der kolumbianischen Stadt Cúcuta hilft Caritas mit ihren Partnerinnen derzeit rund 23.000 Flüchtlingen.
In ihrer Arbeit wird Caritas international vom Auswärtigen Amt unterstützt.
Zur Situation
Praktisch mit Beginn der Wirtschaftskrise 2013 ist die Situation in Venezuela gezeichnet von Versorgungsengpässen, Hyperinflation und einem Anstieg der Armut bis zu 80 Prozent. Unter dem Machtkampf zwischen dem Oppositionspolitiker Juan Guaidó und Staatspräsident Nicolás Maduro hat sich die Lage nochmals verschärft. Die Not der Menschen wird als Druckmittel missbraucht, indem Hilfslieferungen blockiert werden. So wurde im Februar 2019 die Grenze zu Kolumbien geschlossen, um die Einfuhr von Hilfsgütern zu verhindern. Lebensmittel und Medikamente sind rar oder nicht zu bezahlen, medizinische Betreuungen und soziale Dienstleistungen stehen kaum noch zur Verfügung. Immer wieder sind die Strom- und Trinkwasserversorgung unterbrochen. Vor allem Kinder, schwangere und stillende Frauen, Senioren und Menschen mit Behinderung leiden unter der Mangelversorgung. Gemäß einer Erhebung durch die Caritas Venezuela sind 28 Prozent der Schwangeren untergewichtig und 57 Prozent der Kinder unter 5 Jahren zeigen bereits gesundheitliche Probleme durch Mangelernährung. Dadurch wird die Verbreitung von Krankheiten wie Malaria begünstigt.
Gemäß der UNO-Flüchtlingshilfe sind in den letzten fünf Jahren mehr als 4,6 Millionen Menschen geflüchtet und die Organisation geht davon aus, dass die Zahl bis auf 6,5 Millionen ansteigen wird. Nahe Fluchtländer wie Kolumbien, Peru und Ecuador leiden unter dem Ansturm der Menschen. Die Situation dort ist angespannt, denn die Gastgemeinden können die vielen Flüchtlinge nicht ausreichend versorgen und benötigen selbst Unterstützung.