„Jeder Mensch braucht ein Zuhause“- Podiumsdiskussion zum Caritas-Jahresthema mit Caritas-Präsident Dr. Peter Neher
Längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist die Wohnungsnot. Selbst Menschen mit mittleren Einkommen, etwa Polizisten oder Krankenschwestern, vor allem aber Familien, könnten sich heute keine adäquate Wohnung mehr leisten. Dies beschrieb Prälat Dr. Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbands, bei einer Podiumsdiskussion im Haus St. Ulrich, Augsburg, zu der der Caritasverband der Diözese Augsburg eingeladen hatte. „Der soziale Wohnungsbau wurde in den letzten Jahren platt gemacht“, so Neher. Während es 1987 noch 3,9 Millionen Sozialwohnungen in der alten Bundesrepublik Deutschland gegeben habe, waren es 2015 auf dem gesamten Bundesgebiet nur noch 1,3 Millionen. Mit seinem Jahresthema „Jeder Mensch braucht ein Zuhause“ wolle der Deutsche Caritasverband einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. „Die Kirche, die Gesellschaft, wir alle“ seien dafür verantwortlich, dass das, was mittlerweile politisch auf den Weg gebracht worden sei, umgesetzt werde.
Was bisher geschehen ist, oder auch nicht, dazu äußerten sich auf dem Podium neben Peter Neher Landespolitiker und Landtagskandidaten: Johannes Hintersberger (CSU), Dr. Simone Strohmayr (SPD), Stephanie Schuhknecht (Bündnis 90/Die Grünen) und Johann Häusler (Freie Wähler). Dazu Jörg Scheuermann (Koordination Wohnungslosenhilfe Südbayern) und Thomas Weiland, Geschäftsführender Vorstand des Mietervereins Augsburg.
Immer wieder wurde von einem „Bündel an Maßnahmen“ gegen die Wohnungsnot gesprochen, die bereits angelaufen sind. So wies Johannes Hintersberger auf das Wohnungsbauförderungsprogramm hin, das die bayerische Staatsregierung im Jahr 2015 auf den Wege gebracht habe. Kernpunkte daraus seien, dass der Staat selbst als Bauherr auftritt, dass die Kommunen und ihre Wohnungsbaugesellschaften unterstützt werden, und dass auch für private Investoren Anreize geschaffen werden, in den Mietwohnungsbau zu investieren. „Es darf nicht nur die Politik in die Verantwortung genommen werden.“
Was den jüngsten Wohnungsgipfel betrifft, zu dem die Bundesregierung eingeladen hatte, sahen die Teilnehmer des Podiums durchaus gute Ansätze. Auch wenn sich manche mehr erhofft hätten. „Das Thema Wohnungsnot ist zumindest in der Politik angekommen“ (Thomas Weiand).
Einig waren sie sich darin, dass es noch ein langer Weg sei, bis die Maßnahmen greifen. Was könnten Instrumente sein, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? „Wir brauchen eine Deckelung der Mieten“, meinte Simone Strohmayr, denn in ihren Augen seien die jetzigen Mieter durch die Mietpreisbremse nicht ausreichend geschützt. Stephanie Schuhknecht regte an, in den Kommunen ein Flächenkataster zu machen, um zu sehen, wo nachverdichtet werden könnte. „So viel bauen wie nötig, jedoch das Stadtgrün erhalten“. Der ländliche Raum müsse, damit es keine Flucht in die Städte geben, wieder attraktiver gestaltet werden“, meinte Johann Häusler, „da muss auch der Bus kommen!“ Und für jedes Haus brauche es Glasfaser, um junge, innovative Menschen zu halten. Ihn stören die hohen Ausgaben für die zweite Stammstrecke in München. „Das Geld wäre besser dafür verwendet worden, um den ländlichen Raum attraktiver zu machen.“
Thomas Weiand regte eine Wertediskussion an, denn: „Eigentum verpflichtet.“ Er erinnerte an die bayerische Verfassung, wonach jeder Bewohner Bayerns Anspruch auf eine angemessene Wohnung habe. Auch heiße es dort, dass die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dem Gemeinwohl zu dienen habe. Die Politik, verantwortlich für die Daseinsfürsorge, solle „den Menschen in den Fokus stellen und nicht die Wirtschaft“. Den privaten Investoren im Bereich des Wohnungsbau schrieb er ins Stammbuch: „Es gibt keine gesetzliche Garantie für eine fortwährende Gewinnmaximierung.“
Welche Folgen die Wohnungskrise für jene haben kann, die sich keine Wohnung leisten können, darauf verwies Jörn Scheuermann, verantwortlich für die Koordination Wohnungslosenhilfe Südbayern, in seinem Statement. Derzeit würden 9.000 Menschen in München wohnungslos sein. Darunter seien 1.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Er rechnet mit deutlichen Steigerungen der Wohnungslosen in den kommenden Jahren. Schon heute hätten Kliniken in München Probleme, die Grundversorgung aufrecht zu erhalten, weil Pflegekräfte wegen der hohen Mieten nicht nach München ziehen wollten. 70 Prozent der Männer in Notunterkünften seien voll berufstätig, finden aber keine „leistbare Wohnung“. Auf der anderen Seite gäbe es Investoren, die Geschäft aus der Not von Menschen machen und völlig überhöhte Unterbringungskosten verrechnen.
Es waren der Caritas-Präsident Dr. Neher und der Geschäftsführende Vorstand des Augsburger Mietervereins, die sich trauten, kurz auf die Flüchtlinge und ihren Einfluss auf den Wohnungsmarkt einzugehen. Für beide sind nicht die Flüchtlinge schuld an der Wohnungskrise. „Sie haben sie nicht verursacht“, so Dr. Neher. Aber sie hätten sie „auf den Punkt gebracht“. Weiand griff hingegen die Politik direkt an: „Dank der Flüchtlingskrise ist das Wohnungsproblem in den oberen Schichten der Politik angekommen. Zuvor haben sie es schlichtweg ignoriert.“
Die Politik – so sehr sie gefordert sei zu handeln und auch bereits bestehende Instrumente einfach umzusetzen - sei das eine, die Haltung in der Gesellschaft das andere, merkte der Caritaspräsident Peter Neher an. So habe er erlebt, dass ein soziales Wohnungsbauprojekt daran scheiterte, dass Anwohner sich dagegen sperrten, nach dem Motto: „Sozialer Wohnungsbau Ja, aber nicht bei mir.“ Es müsse ein gemeinsames Anliegen sein, dass auch jene, die am Rand der Gesellschaft stehen, ein bezahlbares Zuhause bekommen. „Es geht nur miteinander. Es ist wenig hilfreich, wenn die eine Seite nur fordert und die andere lehnt sich zurück.“ Autoren: Gerlinde Knoller/Bernhard Gattner