Rund 100 Hospizbegleiter*innen setzen sich mit der Frage nach assistiertem Suizid am Begegnungs- und Fortbildungstag der Caritas auseinander
Augsburg, 08.05.2022 (pca). Die meisten Menschen haben weniger Angst vor dem Tod selbst, sondern vor einem langen schmerzvollen Sterben. Auch vor einer schweren Demenz verbunden mit dem Verlust der völligen Selbstkontrolle lässt Menschen an eine vorzeitige Beendigung des eigenen Lebens denken. Der Wunsch nach Suizid, selbst entscheiden zu können, wann das eigene Leben zu Ende gehen soll, und dafür auch Assistenz zu erhalten, hat das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 als natürlichen Bestandteil des verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrechts des Menschen definiert und damit nicht nur den Gesetzgeber herausgefordert, darauf eine Antwort zu geben, wie mit dem Wunsch nach Selbstmord umzugehen sei. Auch den Hospizbegleiter*innen der Hospizgruppen im Bistum Augsburg, die Mitglieder des Diözesan-Caritasverbandes Augsburg sind, stellt sich diese Frage - und das nicht erst jetzt.
"Wie soll ich damit umgehen, wenn ich einerseits den Wunsch verstehe, andererseits aber nicht assistieren will, weil ich das für falsch halte und ich es als Christ nicht darf?", lautet die Kernfrage. Der Diözesan-Caritasverband Augsburg hat deshalb den Begegnungs- und Fortbildungstag für Hospizbegleiter*innen am Samstag in Augsburg unter das Thema "Hospizarbeit und Assistierter Suizid" gestellt. "Ein wichtiges, aktuelles und deshalb auch für uns als Christen spannendes Thema" nannte es Diözesan-Caritasdirektor Domkapitular Dr. Andreas Magg in seiner Grußansprache. "Als katholische Christen gehen wir davon aus, dass nicht alles frei verfügbar ist und wir für unser Leben und Arbeiten klare Entscheidungen treffen müssen."
Eine moraltheologische Orientierung bot Prof. Dr. Ulrike Kostka in ihrem Vortrag "Assistierter Suizid - Sachstand und ethische Diskussion für die Einrichtungen und Dienste der Caritas". Die Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin, Gesundheitswissenschaftlerin und außerplanmäßige Professorin für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster hob eingangs die besondere Dimension des Verfassungsgerichtsurteils hervor. Jedem - völlig unabhängig von Krankheit und deren Schwere - stehe das Recht auf assistierten Suizid zu, wenn die Person meine, sein Leben beenden zu wollen. Nachgewiesen müsse nur, dass der Todeswunsch dauerhaft und der Mensch einsichtsfähig sei. Eine inhaltliche Begründung müsse gleichzeitig nicht vorliegen. "Eine inhaltliche Auseinandersetzung nur mit dem Suizidwunsch im Alter oder bei schwerer zum Tode führender Krankheit, wie wir sie bislang aus unserer Arbeit vorwiegend kennen, greift deshalb zu kurz", richtete sich Kostka an die Hospizbegleiter*innen in Augsburg.
Kostka unterstrich einerseits die katholische Position, nach der Gott allein über Leben und Tod verfüge und nicht der Mensch. Andererseits betonte sie mehrfach, dass es falsch wäre, Personen, die an einen Suizid denken, zu diskriminieren. "Wir dürfen nicht eine einfache Ausgrenzung zurückfallen." Gabriele Luff, Leiterin des Fachgebietes Hospiz und Palliativ Care beim Diözesan-Caritasverband, unterstützte Kostkas Worte und betonte: "Wir dürfen diese Menschen nicht alleine lassen, wir müssen sie ernst nehmen und wir müssen da sein für sie, damit sie überhaupt sprachfähig werden können, d.h. dass sie sich sicher fühlen, mit ihren Nöten, Fragen und Sorgen an jemanden wenden zu können, der sie in ihrer Situation sieht und ernst nimmt."
Seelsorger*innen, Pflegeheime, Wohnheime, Krankenhäuser und Beratungsstellen müssten sich der Frage, wie man mit dem Suizidwünsch umgehe, stellen und ihre Position finden. "Wir könnten so viel tun, dass sich die Menschen in unseren Einrichtungen und Dienste aufgehoben und angenommen fühlen. Wir brauchen in allen Arbeitsfeldern eine Reflexion und eine Haltung dazu. Wir müssen Standards des Umgangs entwickeln und Mitarbeiter*innen, ob haupt- und ehrenamtlich, wie auch Leitungskräfte dazu befähigen." Eine wichtige Frage sei selbstverständlich, wie man reagiere, wenn z.B. eine langjährige Bewohnerin auf einmal diesen Wunsch nach Suizid äußere. "Fördern dürfen wir diesen Gedanken nicht, aber wir können wohl diesen Menschen nicht aus der Einrichtung abschieben."
Caritasdirektorin Kostka befürchtet u.a. wegen der aktuellen Krisen, des Krieges in der Ukraine, einer Angst vor Krieg oder wegen Hoffnungslosigkeiten aufgrund verfestigter Armut, dass der Wunsch nach Suizid zunehmen werde. So dränge sich zunehmend die Frage auf, "was wir tun können, um Zuversicht und Hoffnung zu vermitteln. Wir müssen unsere religiösen Angebote und Sinnangebote mehr ins Spiel bringen. Unsere Gesellschaft braucht mehr Sinnangebote." Es könne nicht sein, dass man unabhängig vom Ort Seelsorge und Beratungsangebote vorfindet. "Unsere Kirche darf sich nicht in die Sakristei zurückziehen." Den Hospizbegleiter*innen sprach Kostka sprach sie eine wichtige und nicht zu unterschätzende Rolle zu. "Sie sind - egal ob religiös oder nicht - Sendboten Gottes."
Der bekannte Religionspädagoge, Klinikseelsorger und Buchautor Josef Epp verwies im Plenum in einem kurzen Beitrag darauf hin, dass Depressionen der häufigste Grund von Selbstmord seien. "Sie sind die Hauptlöser des Selbstmordes." Es gebe Beispiele, wo man die vielfältigen Hilfsangebote von Caritas, der Diakonie und der beiden Kirchen in verbundenen Netzwerken bewusster und bekannter gemacht habe und dass dann dort Depressionen als Hauptlöser des Suizids zurückgegangen seien.
Am Nachmittag des Hospizfachtages des Augsburger Diözesan-Caritasverbandes begaben sich die rund 100 Teilnehmer*innen in Präsenz und hybrid in verschiedene Workshops. Josef Epp ging in seinem Workshop der Frage nach, was Hospizbegleiter*innen in dem Gewissenskonfliktfall einer Frage nach assistiertem Suizid durch eine begleitete Person stärken könne und sie gleichzeitig ihrer Aufgabe gerecht werden könnten. Die Augsburger Fachreferentin für Telefonseelsorge Michaela Grimminger zeigte auf, wie die Teilnehmer*innen mit einem suizidalen Menschen das Gespräch am besten führen können. Da ein Selbstmord auch immer Angehörige mit betrifft, die in diesen Situationen mit ihren Fragen nach dem warum allein sind, widmete sich Diakon Norbert Kugler beim Hospizfachtag der Frage der Trauerbegleitung und Krisenintervention sowie Nachsorge bei Selbstmord. Die Augsburger Fachärztin für Anästhesie, Intensiv- und Palliativmedizin Dr. Sarah Wohlfarth schenkte in ihrem Workshop einen tiefen Einblick, welche Rolle die Ernährung und der Flüssigkeitsbedarf am Ende des Lebens spielen, und damit auch ein besseres Verständnis dafür, wie der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit im Sinn eines Sterbefastens zu bewerten sei.
Antworten, wie Hospizbegleiter*innen mit einem Wunsch nach Suizid umgehen und wie sie dazu stehen sollen, erhielten die Teilnehmer*innen im Workshop des Klinikseelsorgers an den Wertachkliniken Schwabmünchen und Bobingen, Diakon Winfried Eichele. Für ihn ist klar: "Wir müssen eine Antwort zu diesen Herausforderungen finden, und in der Hospizarbeit sehr bald." Doch was sich wie eine klare Ansage anhörte, was akzeptiert werden könne und was nicht, zeigte sich am Ende als eine fortwährende Einladung, sich auf entsprechende Gespräche einzulassen. "Wir leben in Beziehungen, auch in der Hospizarbeit und in der Klinikseelsorge. D.h. es kommt darauf an, dass wir uns auf die Frage von Tod und Sterben einlassen müssen." Völlig falsch und auch unangemessen sei es, Anfragen und Gedanken an einen Suizid wegzuwischen oder vorgefertigte Antworten zu geben. "Das dürfen wir nicht. Dazu sind wir nicht da. Die Menschen wollen statt vorgefertigter Antworten eigentlich nur ein offenes Ohr, einen Gesprächspartner, vor dem und mit dem man offenen nachdenken und sprechen kann, um in ihrer Situation zu einer eigenen Haltung und Entscheidung zu kommen." Zu den Hospizbegleiter*innen, die an der Fachtagung teilnahmen, sagte er: "Nicht wir müssen die Antworten kennen, unser Auftrag ist es, den Menschen in ihrer Not, die darüber nachdenken, dabei zu helfen, eine Antwort zu finden." Wo das geschieht, so seine Erfahrung, werde in den meisten Fällen der Gedanke an einen Selbstmord nicht weiterverfolgt. Entscheidend sei, wie es eine Teilnehmerin des Workshops es für sich formulierte: "Ich möchte, dass man weiß, dass man zu uns im Hospizdienst kommen kann, wenn es soweit ist und die Frage kommt. Und dann möchte ich da sein."