Das tut er aber. Nur auf seine Weise. Max, der in Wirklichkeit anders heißt, steht für viele Kinder, die eine Autismus-Spektrumsstörung haben. Max kann die Tonlage des Lehrers nicht einschätzen, auch seine strenge Mimik kann er nicht deuten. Er hört nur „zum dritten Mal“. Und das stimmt. Max gibt also nur eine ehrliche Antwort, ohne Hintergedanken, auch ohne unhöflich sein zu wollen. Etwa ein Prozent aller Schüler sind laut Statistik Autisten. Ihre Beeinträchtigung sagt nichts aus über ihre Intelligenz. So können sie an alle Schulen gehen, denn sonderschulpädagogische Förderung steht ihnen an allen Schultypen zu. Das Problem ist, dass sich Schule, Lehrer und Schüler auf diesen Mitschüler einzustellen haben.
Das Kompetenzzentrum Autismus Schwaben-Nord des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg hat Johanna Hanser und Andrea Bihler vom Mobilen Sonderpädagogischen Dienst im Landkreis Aichach-Friedberg nach Augsburg ins Caritas-Haus eingeladen, Lehrern, pädagogisches Fachpersonal und Eltern nahe zu bringen, warum die Schule ein „reiz-volles“, d.h. an Reizen volles wenn nicht übervolles Lernfeld für Schülerinnen und Schüler mit Autismus ist. Irene Schick vom Kompetenzzentrum geht es um dieses Wissen. „Denn auch Kinder mit Autismus haben das Recht auf eine schöne Schulzeit.“
Bei Autismus geht es um tiefgreifende Entwicklungsstörungen , denen komplexe Störungen des Zentralnervensystems insbesondere im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung zugrunde liegen. So die Definition von Prof. Dr.Dr. Helmut Remschmidt, auf die sich Hanser und Bihler berufen. Die Folge sind Beeinträchtigungen in der Kommunikation, im sozialen Verhalten und der Wahrnehmung von Licht, von akustischen Reizen und Gerüchen. Auch ein repetitives, sich ständig gleichmäßig wiederholendes Verhalten gehört dazu. Auf einen Nenner lässt sich, so die beiden Referentinnen, allerdings kein Autist bringen. Die Beeinträchtigungen sind zu unterschiedlich ausgeprägt.
Mimik, Gestik, Blickkontakt und die Körpersprache machen 70 Prozent der Verständigung unter Menschen aus. Die autistischen Schüler haben aber genau darin ihre Schwächen. „Sie können es von ihrem Gegenüber nicht lesen, was der Gesprächspartner meint“, so Hanser. Smalltalk, der zum Alltag gehört, sei nicht möglich. Diese Schüler könnten zuweilen den anderen nicht ins Gesicht schauen, tun sich schwer, Kontakte zu knüpfen und vermissen das ansonsten so alltägliche Verständnis von Redewendungen. Wenn „Max“ hört „Da lasse ich die Katze aus dem Sack!“, dann meint er, jemand habe in einem Sack eine Katze dabei. Missverständnisse entstehen. Mobbing könne die Folge sein.
Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, Kindern und Jugendlichen mit einer Autismus-Spektrumsstörung das Leben an den Schulen zu erleichtern. Doch wenn man nicht weiß, dass das Kind diese Störung hat, wird die Schulzeit zur Qual. Sabrina Fromm aus Kissing, heute 20 Jahre alt und auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz, erzählte davon. Sie hatte während ihrer ganzen Zeit keine wirklichen und dauerhaften Freundinnen, die Pausenhöfe waren für sie der Horror, ihre schulischen Leistungen litten darunter, Schulwechsel waren für sie eine besondere Herausforderungen, war doch dort wieder alles anders. Intelligent, das ist sie, wie das Interview, das Hanser mit ihr vor dem Publikum führte, bewies. Aber die Rahmenbedingungen an der Fachoberschule, auf der sie war, passten nicht zu ihr. Ihre Noten wurden schlecht und sie musste die Schule verlassen. Während der ganzen Schulzeit wurde sie von den Mitschülern und den Lehrern als „schüchternes Mädchen“ eingeschätzt, weil sie nie mitmachte und sich dadurch von der Klassengemeinschaft ausschloss. Erst vor einem Jahr, als ein Schulpsychologe es anregte, wurde bei ihr Autismus diagnostiziert.
Es wäre aber um Vieles leichter für die junge Frau gewesen, hätte man ihre Beeinträchtigung im Schulverlauf berücksichtigt. „Schüler mit Autismus brauchen einen Rückzugsraum in der Schule. Das kann die Bibliothek sein, die das Kind während der Pause aufsuchen darf“, sagte Bihler. Auch andere Hilfen sind ganz einfach umzusetzen. Für diese Schüler wäre es zum Beispiel hilfreich, wenn beim Klassenwechsel das Schulzimmer beibehalten werden kann. Autisten tun sich schwer, die vielen akustischen Reize, die Unruhe in der Klasse insbesondere vor dem Stundenwechsel, Straßengeräusche von außen, Vogelgezwitscher und die Ansagen der Lehrkraft voneinander klar abzugrenzen. Ein Sitzplatz in der ersten Reihe ist hier hilfreich. Allerdings, so schränkte Hanser ein, könne es auch sein, dass ein Autist Menschen hinter sich nicht aushalten könne. „Den setzten wir dann in die hinterste Reihe.“
Gerade das Nebeneinander und Durcheinander von akustischen Reizen, die ein Autist in seinem Gehirn wegen des fehlenden Reizfilters nicht verarbeiten kann, könne dann zu weiteren Schwierigkeiten führen. „Er macht nie die richtigen Hausaufgaben. Er hört nicht richtig zu.“ So die Vorwürfe. Man könne ja, so Bihler, ein paar Minuten früher, wenn es noch ruhiger ist, die Hausaufgaben bekannt geben oder einen Zettel dem Autisten in die Hand geben.
Da Autisten mitunter Wert legen auf klare Raumstrukturen sei es, so Hanser, oftmals eine Hilfe, den Platz für den Schulranzen oder den Stellplatz, wo man sich in die Reihe zu stellen hat, klar zu markieren. Skiausflüge und das Schullandheim seien für autistische Kinder eine „brenzlige Sache“. Entweder man bereite die Kinder gezielt darauf vor, indem man z.B. das Schullandheim vor der geplanten Zeit besucht oder gibt dem Kind schulfrei, wenn der Ausflug für es zu viel ist. Auch Eltern könnten ihren Kindern mit einfachen Mitteln zur Seite stehen. „Erstellen Sie klare und übersichtliche Pläne, was alles in den Schulranzen gehört, wann in welcher Folge er welche Aufgaben zu machen hat.“
Info und Kontakt:
Kompetenzzentrum Autismus Schwaben-Nord
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Tel. 0821 3156 – 48/490
E-Mail: i.schick@caritas-augsburg.de und s.jacobs@caritas-augsburg.de
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Wenn der Pausenhof zur Qual wird
12.03.2018
Herausgeber:Auf dem Kreuz 41
86152 Augsburg