Johannesheim in Meitingen zeigt mit klaren Regelungen, wie es anders gehen kann
Meitingen, 25.10.2019 (pca). Sabine L. (Name geändert) ist Altenpflegerin. Seit kurzem ist sie glücklich über ihre Entscheidung, ihren Beruf zwar weiterhin auszuüben, aber den Arbeitgeber gewechselt zu haben. Sie arbeitet nun im Johannesheim in Meitingen. Sie ist froh nun dort angestellt zu sein, "denn hier habe ich viel mehr Freizeit und das ganz einfach, weil ich hier nicht so viele Überstunden arbeiten muss." Bei ihrem früheren Arbeitgeber hatte sie zum Schluss über 200 Überstunden und wusste nicht, wie sie sie je abbauen sollte. Im Johannesheim kommt sie nie auf über 20 Überstunden. Das gilt auch für alle ihre Kolleginnen und Kollegen dort.
Das ist ungewöhnlich, so scheint es. In Deutschland werden in der Altenpflege 9,5 Millionen
Überstunden geleistet, viele davon unbezahlt. So die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Jahr 2016. "Das muss nicht sein und es geht auch anders", hält Stefan Pootemans dagegen. "Und es ist auch nicht so schwer." Pootemans leitet das Johannesheim in Meitingen und hat Sabine L. auch eingestellt. Der Geschäftsführer des Johannesheims verweist auf eine "gute Planung und gute Mitarbeiterführung." Das Johannesheim bietet 95 Plätze. Insgesamt 97 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege, Hauswirtschaft und Verwaltung zählt das Heim.
Pootemans Ansatz beginnt damit, dass er sich selbst als Leitungskraft in die Pflicht nimmt. "Ich achte genau darauf, wo und bei wem Überstunden entstehen und warum das so ist. Dem gehe ich nach." Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter merken dadurch immer wieder, dass ihr Chef auf sie achtet. "Das ist meine erste Aufgabe." Doch das nützte alles nichts, wenn die Überstunden nicht auch tatsächlich abgebaut werden könnten. "Es muss ein Freiraum dafür vorhanden sein."
Zusammen mit der Pflegedienstleistung des Johannesheims, Waltraud Bottek, löst Pootemans das Problem auf eine praktische Art und Weise. Auf allen vier Wohnbereichen gilt die Regel, wonach nicht weniger als drei, aber auch nicht mehr als fünf Pflegekräfte in einer Schicht anwesend sein dürfen. "Das bremst manchen schon aus", sagt Pootemans. Das System bietet aber auch eine gute Gelegenheit, frühzeitig nach Hause gehen zu können. "Sind nämlich alle Pflegearbeiten in der Frühschicht z.B. etwa um zehn Uhr erledigt, kann die vierte und fünfte Pflegekraft früher nach Hause gehen, sofern nichts anderes ansteht", erklärt Bottek. "So werden bei uns immer wieder Überstunden abgebaut." Als Pootemans dieses System eingeführt hatte, musste er noch genau darauf achten und Sorge dafür tragen, dass es umgesetzt wird. "Heute handeln die Pflegekräfte hier weitestgehend selbständig. Da tun sich zeitliche Freiräume für private Vorhaben auf."
Dass dieses System auf Dauer nicht funktionieren kann, wenn es auf einem Wohnbereich beschränkt bleibt, war Pootemans von Anfang an klar. "Wir sind ein Team im ganzen Haus", sagt er. "Bei uns gibt es kein ‚Wir von der vierten Station‘." Die Pflegekräfte wie auch die hauswirtschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden immer wieder in anderen Wohnbereichen eingesetzt. Auch in den Nachtschichten werden alle immer auf allen Wohnbereichen eingeplant. "Das dient der Teambildung. Auch alle Bewohnerinnen und Bewohner kennen deshalb alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zudem eröffnet dieser wechselnde Einsatz Freiräume für den Überstundenabbau."
Pootemans als Geschäftsführer und Bottek als Pflegedienstleitung ist es bei aller Flexibilität in
der Dienstplanung wichtig, dass in der gegebenen Zeit alle Tätigkeiten korrekt und vollständig geleistet werden - und das ohne Hektik. "Es ist ja nicht so, dass nicht viel zu tun ist", sagt Pootemans. "Aber ich habe immer wieder beobachtet, dass Pflegekräfte Arbeiten wie Bettwäschewechsel oder das Aufwischen verschütteter Getränke zum Beispiel gleich selbst übernehmen." Im Johannesheim darf das nicht sein. "Die Pflegekraft soll ihre Zeit besser für Pflegeaufgaben verwenden. Hauswirtschaftliche Aufgaben wie z.B. Wäschewechsel und Reinigen sind Aufgaben der Hauswirtschaft." Pootemans erklärt, warum er eine klare Trennung will: "Wenn alle Aufgaben aus anderen Aufgabenbereichen zusätzlich zu ihren eigenen Aufgaben übernehmen, führt das automatisch zu Überstunden."
Man muss das Johannesheim besuchen, um zu verstehen, wie sich diese strengen und auch von Pootemanns immer wieder überwachten Regelungen auswirken. Dank dieser Regelungen können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter all das in aller Ruhe tun, wofür sie sich bei der Berufswahl entschieden hatten, nämlich alte pflegebedürftige Menschen gelassen und zugewandt pflegen zu können. Und so wirkt es fast ansteckend, wie ruhig es in den Gängen zugeht. "Die Menschen hier sollen ja im Alter zur Ruhe kommen können, auch um für sich selbst Zeit haben zu können", meint Pootemans.