Corona-Pandemie brachte neue Herausforderungen für Schuldnerberatungen - Dienste in Bayern gut aufgestellt
Augsburg, 30.11.2021 (pca). Corona ist "eine außergewöhnliche Kombination aus Gesundheits-, Sozial- und Wirtschaftskrise", fasste es Professorin Carmela Aprea vom Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik an der Universität Mannheim zum Auftakt der Jahrestagung der bayerischen Schuldner- und Insolvenzberatungen in Augsburg zusammen. Keinen, den die Pandemie nicht trifft, aber Menschen, die bereits in sozialen und finanziellen Notlagen waren, hatten und haben unter der Pandemie besonders zu leiden. Dennoch blieb an vielen Schuldnerberatungsstellen in Bayern der befürchtete Ansturm bislang aus, wie einige Schuldenberater bei der Veranstaltung im Haus St. Ulrich, die hybrid durchgeführt wurde, berichteten.
"Die Schuldnerberatungen in Bayern sind gut aufgestellt", so Landrat Thomas Eichinger, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege im Freistaat, in seinem Grußwort, "aber auch für sie brachte Corona neue Herausforderungen mit sich." Viele der Einrichtungen, die von den Wohlfahrtsverbänden beziehungsweise von den Landkreisen und kreisfreien Städten direkt betrieben werden, haben sich schnell auf Online-Beratungsaktivitäten umgestellt. Mehr solcher Angebote habe man sich für die eigene Klientel auch von den Job-Centern und dem Arbeitsamt erwartet, betonte eine Schuldnerberaterin in der Diskussion, "viele unserer Klienten sind nicht in der Lage, online einen Antrag auszufüllen, viele haben nicht einmal einen Laptop oder Computer, um dies zu tun." Corona, so zeigen es die ersten Erkenntnisse einer breit angelegten Studie, die von Professorin Aprea vorgestellt wurde, trifft die zuvor schon sehr "vulnerablen" Bevölkerungsgruppen wie Alleinerziehende, Soloselbständige, Menschen mit einem geringfügigen Einkommen und Arbeitslose besonders: finanziell, aber auch in sozialer und psychischer Hinsicht.
Der Lehrstuhl von Aprea führt die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderte Studie seit
dem September 2020 durch, beteiligt sind daran auch das Leibniz-Institut für Resilienzforschung Mainz und das Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie die Menschen in Deutschland mit den finanziellen Schocks in der Coronakrise umgehen, welche Belastungen auf sie zugekommen sind und welche sozialpolitischen Maßnahmen daraus resultieren sollen. Rund 1900 repräsentativ ausgewählte Personen wurden dazu befragt und in einer sogenannten "Tagebuchstudie" auch länger begleitet. Rund 27 Prozent hätten von massiven Änderungen in ihrer Erwerbssituation berichtet, ein Drittel der Befragten habe Vermögensverluste erlitten und jeder Fünfte gab an, im Laufe der Pandemie finanziell nicht mehr über die Runden gekommen zu sein. Ursachen waren Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, bei den Selbständigen die Einbrüche der Einnahmen.
Viele der Befragten hätten sich durch eine Reduzierung der Ausgaben oder durch geliehenes Geld aus dem Familien- und Freundeskreis geholfen, "nicht wenige gingen aber auch zu Einkäufen auf Rechnung oder Kreditaufnahmen über", so Aprea, "was langfristig zu einem Überschuldungsrisiko führen kann." Allerdings hätten auch nur 9,2 Prozent der Befragten staatliche Hilfen in Anspruch genommen, davon hauptsächlich Kurzarbeitergeld und das Bonus-Kindergeld sowie Soforthilfen. "Auffällig ist, dass nicht wenige glaubten, sowieso nicht anspruchsberechtigt zu sein oder schlichtweg nicht wussten, wie sie an die Unterstützung kommen können", berichtete die Wirtschaftsexpertin. Dies sei ein klarer Hinweis an die Politik, "dass die Hilfen so gestaltet werden müssen, dass sie auch jene erreichen, die sie wirklich brauchen."
"Alleinerziehende mit mehreren Kindern haben in dieser Zeit bereits viele Belastungen durch finanzielle Sorgen, meist engen Wohnraum, in dem dennoch Homeschooling stattfinden muss und vieles mehr", betonte Klaus Hofmeister vom Fachausschuss Schuldnerberatung, "sie bräuchten dringend einen einfachen Zugang zu Hilfen." Viele der anwesenden und per Zoom zugeschalteten Fachleute aus Schuldnerberatungsstellen in Bayern berichteten ähnliches: Trotz mittlerweile vierter Corona-Welle blieb die große Welle an ihren Stellen bislang aus. Mit Ausnahme des städtischen Raums: So gab es in München einen eklatanten Anstieg an Ratsuchenden, "viele Selbständige, Künstler, Messebauer, Veranstalter, viele aus dem Bereich der körpernahen Dienstleistungen", so Marc Wichlajew, Teamleiter bei der Schuldnerberatung des Sozialreferats München. Aber es seien erstmals auch Ratsuchende aus dem Kreis der Gutverdiener gekommen, beispielsweise Piloten, Kunsthändler und andere. Corona habe in machen Fällen strukturelle Probleme bei Selbstständigen und Kleinunternehmern freigelegt, die schon zuvor da waren, meint der Berater.
Ob die Situation an den Schuldnerberatungsstellen auch weiter so bleibt, ist ungewiss: Die Pandemie ist noch nicht überwunden und, so eine Diskussionsteilnehmerin, "wir wissen nicht, was aus den Menschen wird, die am Long Covid Symptom leiden und aus der Berufstätigkeit fallen." Die Langzeitfolgen der Krise sind noch nicht voll absehbar. Und auch die Studie der Mannheimer und Mainzer Wissenschaftler wird noch fortgesetzt: Erkenntnisse über die finanziellen Auswirkungen auf die Menschen in der Coronakrise gibt es auch weiterhin noch genügend zu sammeln.