Eva Maria Welskop-Deffaa im Gespräch mit Rainer Borsch, Vorstand Caritas Kleve, auf der Terrasse einer Wohngruppe der teilstationären und stationären Kinder-, Jugend- und Behindertenhilfeeinrichtung „Die Münze“.Julia Lörcks/Caritasverband Kleve e.V.
Frau Welskop-Deffaa, wir sitzen hier in einer Wohngruppe der teilstationären und stationären Kinder-, Jugend- und Behindertenhilfeeinrichtung "Die Münze" der Caritas Kleve. Welchen ersten Eindruck haben Sie?
Eva Maria Welskop-Deffaa Die Wohngruppe wirkt für mich offen, transparent, hell und freundlich. Das gefällt mir gut.
Die Einrichtungsleitung spricht von einem Zuhause.
Eva Maria Welskop-Deffaa Ja, ich habe hier auch eine Art "Wohnzimmer-Gefühl". Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das auch bei den Kindern und Jugendlichen so ist. Verglichen mit meiner Wohnumgebung fühlt sich das alles sehr passend an. Aber ich habe auch schon Wohnungen besucht oder Bilder von Wohnungen gesehen, aus denen die Kinder kommen. Dort wird klar, wie schwer es einigen Familien fällt, eine bestimmte Ästhetik zu sichern, aufzuräumen. Ich wüsste gerne, welchen ersten Eindruck die Kinder von der "Münze" haben. Vielleicht ist das gar nicht "Zuhause", sondern "puh, sieht das hier alles toll aus".
Wie stellen Sie sich die Arbeit Caritas vor Ort vor?
Eva Maria Welskop-Deffaa Meine Idealvorstellung von der Caritas vor Ort ist, dass sie sich durch ein großes UND beschreiben lässt. Die Altenhilfeeinrichtung UND die Kita. Das Krankenhaus UND die Freizeiteinrichtungen für Kinder mit Behinderungen. Dieses sowohl als auch - für die Alten UND die Jungen, für die Frauen UND die Männer, die Alteingesessenen UND die Neuankömmlinge - das ist ein entscheidender Beitrag für den sozialen Zusammenhalt. Keine Segmentierung, keine Kästchen und Schubladen. Caritas verbindet. Auch die hauptamtliche UND die freiwillige Arbeit sind im und durch den Caritasverband verbunden. Und zwar so, dass sich jeder gut aufgehoben fühlt. Mit der Breite ihres Angebotes vor Ort löst die Caritas ihre Zusage ein, ein Netz der sozialen Sicherheit zu sein. Das passiert aber nicht von allein und erfordert immer neue Anstrengungen.
Welche Herausforderungen kommen ihrer Meinung nach auf die Verbände zu?
Eva Maria Welskop-Deffaa Die ganz große Aufgabe besteht darin, das nötige Personal zu finden - sowohl im hauptamtlichen als auch im ehrenamtlichen Bereich. Es ist schwierig, Pflegefachkräfte zu finden, Erzieherinnen und Erzieher, auch Führungskräfte, Geschäftsführungen oder die Frau, die sich einerseits im Pfarrgemeinderat und andererseits bei der Caritas engagiert. Wir müssen um unsere Ehrenamtlichen werben. Zusammen mit den hauptamtlichen Kolleginnen und Kollegen bilden sie die Personalressource, die gehegt und gepflegt werden muss.
Apropos Zukunft: Welche Schwerpunkte setzen Sie für Ihre Arbeit?
Eva Maria Welskop-Deffaa Das Thema "Haupt- und Ehrenamt" ist mir sehr wichtig. Ein anderes ist das Zusammenspiel von nationaler und internationaler Arbeit. In dieser Sache bin ich neugierig. Ich will wissen, wie sich das vor Ort anfühlt und bin gleichzeitig beeindruckt, wie die Verbände und Einrichtungen die globale Verantwortung ganz selbstverständlich leben. Das fängt beim Weihnachtsbasar in der Kita an und hört noch lange nicht bei den großen Fluchtbewegungen auf. National UND international spiegelt die Gründungsgeschichte der Deutschen Caritas wider. Die Idee von zwei, drei Dutzend Männern, die den Verband 1897 in Köln gegründet haben, und die sich weltweit verbreitet hat. Diesen Gedanken weiterzugeben, dieses Netz der Solidarität, halte ich für immens wichtig. Denn die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind nicht mehr Herausforderungen, die sich in national oder international teilen lassen. Sie sind global, man denke nur an die Klimakrise.
Eva Maria Welskop-Deffaa ist seit gut einem Jahr Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes. Markus van Offern
Sie sind die erste Frau an der Spitze des Deutschen Caritasverbandes, ihre Antrittsrede am 16. November 2021 trägt den Titel "Gottes Dolmetscherdienst". Wie begegnen Sie all jenen, die mit Gott im Allgemeinen und mit der katholischen Kirche im Besonderen hadern?
Eva Maria Welskop-Deffaa Den Begriff "Dolmetscherdienst" habe ich Anlehnung an eine wahre Begebenheit in Südafrika entwickelt. Dort fragte eine junge Ordensschwester ihre Mitschwester, ob sie denn überhaupt in ihrer afrikanischen Muttersprache beten könne, ob Gott das wohl verstehe. Ihre Antwort: "Gott spricht alle Sprachen". Das hat mich so gerührt. Eben weil sich heute so viele Menschen fragen, ob Gott sie hört, ob er sich für seine Erde interessiert oder ob es ihn überhaupt gibt. Wir als Caritas können mit unserem Handeln entgegenwirken, zeigen, dass es eben doch eine Liebe gibt. Was nicht heißen soll, dass jeder der katholischen Kirche beitreten soll. Aber vielleicht denkt der ein oder andere: "Puh, da war was, das hat auf eine andere Dimension verwiesen, ich lass‘ mich noch einmal ein Stück drauf ein". Das Gleiche wünsche ich mir für die Kolleginnen und Kollegen. Denn natürlich hadern auch unsere eigenen Mitarbeitenden. Das ist mit Blick auf die schreckliche Situation unserer Kirche auch nicht verwunderlich. Umso wichtiger ist es, dass die Arbeit sinnstiftend ist.
Welche Sprache muss die Caritas sprechen, um von den Menschen gehört zu werden?
Eva Maria Welskop-Deffaa Das Wichtigste ist, dass wir uns auf den jeweiligen Menschen einlassen, der vor uns ist. Dass wir Stereotypen und Vorurteilen keinen Platz lassen. Und dass wir keine romantischen Vorstellungen von unserer Arbeit haben. Wir leben in einer Welt, die sich durch die Digitalisierung grundlegend verändert. Wir als Caritas müssen diese Entwicklungen mitgestalten. Beides hinzubekommen - die Aufmerksamkeit für den Einzelnen und die Gestaltungskraft für eine technisch sich weiterentwickelnde Welt - ist die Antwort.
Julia Lörcks, Stabsstelle Kommunikation & Medien, stellte die Fragen.