Rückkehrberater aus Europa tauschen sich in Augsburg aus
Augsburg, 21.06.2019 (pca).Wer über Afghanistan, Syrien und den Irak spricht, verbindet damit Bürgerkrieg, Terror, unsägliches Leid, Vertreibung, Flucht und dass es keine stabilen Strukturen für Bildung und Arbeit gibt. Trotz dieser schwierigen Situation zuhause entscheiden sich immer wieder Flüchtlinge und Asylbewerber aus diesen drei Ländern zur Rückkehr. Rückkehrberatungsstellen der Caritas, der Diakonie, des Roten Kreuzes und anderer Organisationen in der Europäischen Union helfen ihnen dabei durch Beratung, Information und finanzieller Unterstützung. Die Entscheidung zur freiwilligen Rückkehr liegt dabei beim Rückkehrwilligen selbst.
Rückkehrberatung kann aber nur so gut sein, wie gut die Berater über die Herkunftsländer informiert sind. Das Projekt Transnational Exchange IV hat deshalb unter Federführung des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg Rückkehrberater aus verschiedenen EU-Staaten nach Augsburg eingeladen. An drei Tagen hatten nun 38 Rückkehrberaterinnen und -berater aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Dänemark, Schweden, Belgien und den Niederlanden die Gelegenheit, sich mit Länderexperten auszutauschen, sich Zusammenhänge erklären zu lassen und sich so auf einen gemeinsamen Informationsstand zu bringen.
Allein in Deutschland lebten in 2018, so das Bundesamt für Migration auf seiner Homepage, rund 770.000 Syrier, 245.000 Iraker und 117.000 Afghanen. In den Irak gingen im vergangenen Jahr 1.834 Menschen zurück, nach Syrien 373. Nach Afghanistan kehrten offensichtlich in 2018 so wenige zurück, dass das Bundesamt sie auf ihrer Homepage nicht eigens erwähnt. Die Zentrale Rückkehrberatung Süd- und Südostbayern meldet dagegen für das vergangene Jahr 81 Ausreisen nach Afghanistan. In den Irak wollten 57 Personen, nach Syrien niemand.
Afghanistan, in das die Bundesrepublik Deutschland immer wieder abschiebt, wird nach wie vor von Terroranschlägen geplagt. Die UN-Kommission für Menschenrechte betont in ihrem Bericht für Afghanistan, dass in 2018 3,804 Zivilisten, darunter allein 927 Kinder durch Terroranschläge zu Tode kamen. 7189 wurden dabei verletzt. Damit stieg die Zahl der Toten der Zivilisten in 2018 um 1 Prozent gegenüber den Zahlen für 2017. Friederike Stahlmann, die selbst in Afghanistan lebte, als unabhängige Gutachterin zu Afghanistan für deutsche Gerichte arbeitet, bestätigte diese Zahlen.
Stahlmann bot keine beruhigende Einschätzung der Lage in diesem Land. Wer die Meinung vertrete, es gebe sichere Zonen in dem Land, der täusche sich nach ihren Angaben. Ihre Aussagen raubten jeden Zweifel. "Die Taliban können jederzeit an einem anderen Ort zuschlagen. Sie wissen Bescheid, wer nach ihrer Auffassung nicht dazu gehört, nicht mit ihnen zusammenarbeitet. Sie haben ein dichtes Informationsnetz und arbeiten mit lokalen Milizen zusammen. So können sie ihre Macht und ihren Einfluss ohne Rücksicht auf Zivilisten, auf Frauen und Kinder unkontrolliert ausüben."
Egal, wo sich ein Rückkehrer in dem Land bewege, die Taliban erführen davon. Es gebe keine Neutralität für Männer. Entweder sie arbeiten zusammen, oder sie gelten als Feind. Wer allein die "falsche" Musik höre auf seinem Handy verrate sich selber. Ob Bushaltestellen, Gesundheitsstationen, Sportanlagen, Stützpunkte humanitärer Einrichtungen, Postämter, Schulen oder öffentliche Plätze oder Märkte, "die Taliban greifen diese Plätze, die zum alltäglichen Leben gehören und die man deshalb nicht vermeiden kann, bewusst und gezielt an", so Stahlmann. Sie würden nichts anderes letztlich damit verfolgen, dass die Menschen überall schutz- und hilflos seien, es keinen sicheren Platz gebe und das beste Mittel dagegen sei, sich den Taliban anzuschließen.
Wen die Taliban zum Feind erklären, der muss wissen, dass dessen Verwandte und Unterstützer von ihnen genauso ins Visier genommen werden. Die soziale Kontrolle des Umfeldes helfe ihnen dabei, die betreffenden Personen aufzuspüren und zu verfolgen. Professionelle lokale Geheimdienste und bezahlte Informanten unterstützen sie dabei. Wer in sein Heimatland Afghanistan zurückkehre, der stehe zunächst einmal unter dem Verdacht der Verwestlichung. "Das kann das Todesurteil bedeuten", so Stahlmann.
Eine Rückkehr nach Afghanistan sollte daher sehr gut überlegt werden. Wer diesen Schritt trotz aller Gefahren und Risiken wagt, der, so Stahlmann, soll zuvor alte Netzwerke aktivieren und im Heimatort einflussreiche Personen für sich gewinnen, die Sicherheit gewährleisten könne. Eine mögliche Alternative, sich vor der Verfolgung durch die Taliban zu schützen, sei sich ihnen anzuschließen. Das wolle aber letztlich niemand. So beobachtet sie, dass jene, die sich nach der Rückkehr einer ständigen Lebensgefahr ausgesetzt sehen, sich wieder auf den Weg in Nachbarländer wie den Iran machten.
Auch im Fall Syriens ist die Frage der Rückkehr mit Unwägbarkeiten verbunden, auch wenn sich diese anders als in Afghanistan gestalten. Jüngst hat sich zur Sicherheitslage in Syrien auch der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Prälat Dr. Peter Neher, geäußert. Er hielt, so eine Pressemitteilung von Mitte Mai 2019, für "völlig unakzeptabel davon auszugehen, dass inzwischen eine Rückkehr nach Syrien möglich ist". Neher weist in dieser Pressemitteilung daraufhin, dass die Sicherheitslage weiterhin "hochgradig instabil" sei und nach wie vor eine weitere Eskalation drohe. Damit sprach er sich gegen die aktuelle Auffassung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus, das die Meinung vertritt, in Syrien herrsche mit Ausnahme der Provinz Idlib kein bewaffneter Konflikt mehr.
Dennoch werden Rückkehrberatungsstellen zunehmend auch von syrischen Personen angefragt, die freiwillig nach Syrien ausreisen wollen. Die Gründe hierfür sind die Trennung von Familienangehörigen durch teils jahrelange Verfahren des Familiennachzugs, ein Unterstützungsbedarf von engen Angehörigen in Syrien oder eine unklare Zukunftsperspektive in Deutschland. Was können Rückkehrberater nun angesichts der unsicheren Lage Rückkehrwilligen an Informationen geben?
Yassin Al Tayyan arbeitet in Deutschland als Agent bzw. Repräsentant der syrischen Fluggesellschaft ChamWings. Er sprach darüber, welche formalen Voraussetzungen für eine Rückkehr bzw. Rückreise nach Syrien nötig sind. Dazu gehöre ein offizielles Reisedokument, das bei der jeweiligen syrischen Botschaft beantragt werden könne. Je nachdem, ob man es schnell benötige oder Zeit habe, zahle man dafür egal wo in Europa 705 Euro bzw. 265 Euro. Die Flugreise erfolge dann beispielsweise von Frankfurt am Main über Teheran.
Simon Jacob, syrisch-orthodoxer Christ, der in Augsburg aufgewachsen ist und sich heute als Friedensaktivist engagiert, sprach sich gegen eine zu einfache Sicht der Lage in Syrien aus. Er bot in seinem Vortrag einen historischen Einblick in die innere Zerrissenheit des Landes. In verschiedenen Teilen des Landes sei ein geregelter Alltag noch nicht möglich, da entweder der bewaffnete Konflikt weiterhin schwelt oder die zerstörte Infrastruktur einer Rückkehr entgegensteht. Er rät Syrern, die vor ihrer Flucht politisch aktiv und/oder Journalisten waren, von einer freiwilligen Rückkehr ab. Den wichtigsten Erfolgsfaktor für eine Rückkehr erkennt er nur in der "Familie" und der "Stammeszugehörigkeit". Wer darin fest eingebunden sei, von ihnen Schutz und Sicherheit zugesichert und gewährleistet werde, der habe eine Chance. Ist das nicht gegeben, rät Jacob von einer Rückkehr ab. Den Rückkehrberatern gab Jacob gab deshalb mit auf den Weg, Rückkehrwilligen es ans Herz zu legen, sich von einer Rückkehr sich selbst so gut wie nur möglich darüber zu informieren, was sie zuhause in ihrem Heimatland erwarten müssen bzw. könne.
Im Irak stellt sich die Situation wieder anders da. Rückkehrer stehen dort, so Dr. Karin Köcher, nicht unter dem Verdacht mit der Flucht, das Land oder die Religion verraten zu haben. "Sie werden akzeptiert", sagte Dr. Köcher, die für das European Technology and Training Centre ETTC arbeitet und den Arbeitsmarkt im Irak sehr genau kennt. Das Problem der Rückkehrer sei vielmehr in der "ineffizienten Wirtschaftsstruktur" und der niedrigen Bildungsquote gegeben. 38 % der Bevölkerung hätten gar keine Ausbildung. Hinzu komme das starke Bevölkerungswachstum mit einer Geburtenrate von 4,5 Kindern pro Frau.
Neben wirtschaftlichen Herausforderungen leidet auch der Zentralirak unter Terroranschlägen und einer instabilen Sicherheitslage. Daher entscheiden sich vor allem Personen aus dem Nordirak für eine freiwillige Rückkehr: die autonome Region Kurdistan (Nordirak) gilt als relativ sicher und bietet Chancen für eine beruflichen Wiedereinstieg. Dieser gestalte sich aber dann am erfolgreichsten und sichersten, wenn einerseits das Netzwerk zuhause vor Ort mit eingebunden ist und der Rückkehrer mit Mut und neuen Ideen sich eine wirtschaftlich eigenständige Zukunft aufzubauen bereit ist.